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    Scream VI
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Scream VI

    Manhattan-Massaker mit durchgedrücktem Gaspedal

    Von Christoph Petersen

    Natürlich konnten die Regisseure Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett nicht ahnen, dass eine ihrer Hauptdarstellerinnen während der Arbeit an „Scream VI“ quasi über Nacht zu einem der größten (Social-Media-)Stars des Planeten aufsteigen würde. Aber genau das ist geschehen, als Jenna Ortega im vergangenen November mit ihrem Gothic-Tanz aus der Netflix-Serie „Wednesday“ so steil viral gegangen ist wie kaum jemand zuvor. Dabei passt dieser Zufall übrigens perfekt zum Thema des Films, denn im sechsten Teil wird die 1996 von Wes Craven und Kevin Williamson begründete Slasher-Reihe von der in „Scream 5“ eingeführten Horror-Expertin Mindy ganz offiziell zum „Franchise“ erklärt – mit allem, was dazugehört, also auch einer Extra-Portion Star-Power.

    Die von Mindy mitgelieferten Regeln für ein „Franchise“ sind dabei weniger konkret als etwa die für ein Sequel in „Scream 2“ oder die für eine Trilogie in „Scream 3“: 1. Die aufgebauten Erwartungen werden in jedem Teil eines Franchises aufs Neue unterlaufen! 2. Alles wird immer noch größer! 3. Wahrscheinlich wird diesmal jemand enthauptet! Aber selbst wenn die präsentierten Regeln diesmal eher unpräzise bleiben, hat man beim Rollen des Abspanns doch das Gefühl, gerade den „Fast & Furious“ unter den Slasher-Filmen gesehen zu haben. „Scream VI“ entwickelt sich vor allem in der zweiten Hälfte zu einem wahrhaft atemlosen Action-Horror, der diesmal zwar mehr auf spektakuläre Setpieces als auf Allein-mit-dem-Killer-im-Haus-Grusel setzt, dabei aber in Sachen (Meta-)Cleverness erneut voll abliefert.

    Der neue Ghostface ist die Tradition des Killers offenbar ziemlich egal – und so greift er eben auch schon mal zur Schrottflinte, um sich brachial seinen Weg durch New York zu bahnen.

    Inzwischen hat es die Überlebenden des letzten Woodsboro-Massakers nach New York verschlagen: Während Tara (Jenna Ortega), Mindy (Jasmin Savoy Brown) und Chad (Mason Gooding) am College studieren, ist Sam (Melissa Barrera) vor allem mit nach Manhattan gezogen, um weiterhin auf ihre kleine Schwester aufzupassen – und das erweist sich auch schon bald als bitter nötig: Ghostface meldet sich zurück und geht bei seinem Meuchel-Streifzug durch den Big Apple brutaler und rücksichtsloser vor als jemals zuvor. Vor einem solch brachialen Killer sind Sam und Tara tatsächlich nirgendwo mehr sicher – nicht mal in einem gut besuchten Supermarkt oder einer vollbesetzten U-Bahn.

    Zugleich muss Sam auch noch mit einer sich rasant verbreitenden Verschwörungstheorie klarkommen, laut der sie als Tochter von Original-Ghostface Billy Loomis (Skeet Ulrich) die Morde in „Scream 5“ selbst orchestriert haben soll. Aber es gibt auch Unterstützung für die Schwestern – etwa durch den besorgten Waschbrettbauch-Nachbarn Danny (Josh Segarra), den im Fall ermittelnden Cop Bailey (Dermot Mulroney), die inzwischen beim FBI beschäftigte „Scream 4“-Überlebende Kirby (Hayden Panettiere) und natürlich Gale Weathers (Courteney Cox), die Ghostface-Expertin schlechthin…

    Ein weiteres Pre-Credit-Highlight!

    Nachdem sich „Scream 5“ noch sehr spezifisch mit dem Trend zu sogenannten „Legacy Sequels“ (späte Sequels mit einigen Originalcharakteren) oder „Requels“ (eine Mischung aus „Reboot“ und „Sequel“) auseinandergesetzt hat, geht es diesmal wie gesagt etwas allgemeiner um „Franchises“. Und die erste Regel, laut der in Franchise-Filmen die Erwartungen stets konsequent unterlaufen werden müssen, um das Publikum auch im x-ten Teil noch bei der Stange zu halten, erfüllt „Scream VI“ sogar noch vor der Einblendung des Titels mit Bravour:

    Natürlich hat die Reihe auch nach „Scream – Schrei!“, dessen Eröffnungsszene mit Drew Barrymore nicht von ungefähr Horrorfilmgeschichte geschrieben hat, immer wieder überraschende Pre-Credit-Sequenzen hervorgebracht – aber wenn Ghostface hier schon nach nicht einmal zehn Minuten xxx (hier natürlich keine Spoiler!), dann wird man selbst als „Scream“-Kenner*in direkt zum Auftakt erstmal so richtig schön aus der Bahn geworfen. Offensichtlich reicht es nicht mehr, einfach nur die Regeln aus der Kino-AG zu kennen – und so erklärt „Scream VI“ schon relativ zu Beginn den ganzen Filmnerds-Kram für beendet, um sich stattdessen auf frisches Terrain zu begeben …

    Melissa Barrera und Jenna Ortega entwickeln in „Scream VI“ ihre ganz eigene Art von „Badass“-Heldinnentum.

    … und dieses bringt es unter anderem mit sich, dass Ghostface eine ganz neue Durchschlagskraft an den Tag legt: In der bereits im Trailer angerissenen Szene im Supermarkt schnetzelt er sich eben notfalls auch schon mal durch die versammelte Kundschaft plus den mit einer Schrotflinte bewaffneten Besitzer, um zu seinem eigentlichen Ziel zu gelangen – mit dem Sprung von Woodsboro nach New York hat offensichtlich auch der Killer zugelegt, wenn er hier in einigen Szenen fast schon an einen Michael Myers oder Jason Voorhees statt an den mitunter auch schon mal ganz schön verplanten Ghostface aus früheren Teilen erinnert.

    Getreu dem „Franchise“-Thema setzt das Regieduo Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett deshalb auch sehr viel weniger als im Vorgänger auf Variationen klassischer Slasher-Situationen (man erinnere sich nur an die großartige Kühlschrank-Sequenz mit dem blondierten Dylan Minnette). Stattdessen liefert „Scream VI“ vor allem größer gedachte Setpieces, die zwar weit weniger persönlich, aber dafür in den meisten Fällen keinesfalls weniger intensiv daherkommen. Vor allem die Szenen auf der Leiter und in der U-Bahn werden geschickt bis auf den letzten Spannungstropfen gemolken.

    Vom toxischen Fantum zu Verschwörungstheorien

    Nachdem die harsche Auseinandersetzung mit toxischem Fantum in „Scream 5“ noch richtig wehgetan hat, kratzt „Scream VI“ in Sachen Verschwörungstheorien – so brandaktuell die Thematik auch sein mag – doch nur an der Oberfläche. Dasselbe gilt leider auch für den Schauplatz New York, aus dem Bettinelli-Olpin und Gillett abseits der U-Bahn-Sequenz doch enttäuschend wenig herausholen (und sich zudem das Glaubwürdigkeits-Problem aufladen, dass die Polizei hier erneut erstaunlich untätig bleibt, was bei einer Kleinstadt-Station wie in Woodsboro allerdings mehr Sinn ergibt als beim NYPD).

    Aber das ändert eben nichts daran, dass „Scream VI“ das Tempo, sobald er nach der üblichen Vorstellung der neuen Figuren erst mal in die Gänge gekommen ist, so konsequent hochhält, dass man kaum noch zum Atemholen kommt. Dabei jonglieren die „Scream 5“-Autoren James Vanderbilt und Guy Busick auch diesmal wieder mit den Regeln und der Historie der Reihe, dass einem die Ohren schlackern – bis hin zur finalen Auflösung, die diesmal auch noch eine gehörige Portion Agatha Christie in den natürlich wieder schwer überraschenden Twist einfließen lässt. Wenn sich zudem auch noch Melissa Barrera und Jenna Ortega zu ihrer ganz eigenen Art von Badass-Heldinnen aufschwingen, dann ist man tatsächlich kaum noch traurig, dass Neve Campbell diesmal nach Gagen-Zwistigkeiten ausgesetzt hat und Sidney Prescott so nur an einer Stelle kurz nebenbei erwähnt wird. Und Vin Diesel ist ja schließlich auch nach sogar zwei Filmen Pause zu seinem „Franchise“ zurückgekehrt…

    Fazit: „Scream VI“ wächst mit seinem neuen Schauplatz New York mit – und erinnert so mitunter fast schon mehr an einen Horror-Action-Blockbuster als an einen klassischen Slasher. Bei diesem Manhattan-Massaker wird manch Genre-Purist*in womöglich mit der Nase rümpfen. Aber wer sich auf die neue hochtourigere Gangart einlässt, wird auch im sechsten Anlauf mit einem gnadenlos blutigen und vor allem gnadenlos cleveren Meta-Trip belohnt.

     

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