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    Ipcress - Streng geheim
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Ipcress - Streng geheim
    Von Björn Becher

    Als 1962 mit James Bond jagt Dr. No der erste Teil der legendären und heute noch immer weiter fortgesetzten Reihe um den Agenten mit der Lizenz zum Töten ihren Lauf nahm, bekamen Geschichten rund um Geheimagenten schnell Hochkonjunktur und auch andere Filmemacher zogen nach. So entstanden Rip-Offs oder spaßige Hommagen wie Heiße Katzen. Auch der legendäre Bond-Produzent Harry Saltzman wollte sich noch ein zweites Zugpferd ins Haus holen. Nach drei Bond-Abenteuern plante er daher 1965, einen weiteren Agenten ins Rennen zu schicken. Ein Kandidat war schnell gefunden, begeisterte doch gerade Len Deightons Buch „The Ipcress File“ Leser und Kritiker. Im Mittelpunkt der Agentengeschichte „Ipcress – Streng geheim“ steht Harry Palmer, der alles andere als ein Abklatsch von 007 ist, sondern perfekt wie ein Gegenentwurf zu diesem funktioniert. Gedreht in den legendären Pinewood-Studios nahe London (wo auch heute noch Teile der „Bond“-Filme entstehen) und mit Bond-Hauskomponist John Barry setzte Saltzman zwar einerseits auf Bewährtes, sorgte aber mit der Verpflichtung des jungen Regisseurs Sidney J. Furie auch für eine ganz andere Tonart. Ein zusätzlicher Glücksgriff gelang mit der Besetzung des Hauptdarstellers: Michael Caine, mittlerweile zum „Sir“ geadelt, nutzte die Rolle zum großen Durchbruch bei Publikum und Kritik.

    Das Leben eines Geheimagenten im Dienst der britischen Regierung ist nicht unbedingt aufregend. Morgens wacht man mit zerwühlten Haaren in seiner kleinen Wohnung auf, die man mit seinem kargen Gehalt sich gerade so leisten kann, um dann mal wieder einen langweiligen Tag mit einer Observation zu verbringen. Das ist der Tagesablauf von Harry Palmer (Michael Caine), der allerdings kein ganz gewöhnlicher Agent ist. Denn seine Vorgesetzten sind nicht unbedingt zufrieden mit ihm. Attribute wie arrogant, anmaßend, renitent und undurchsichtig finden sich in seiner Personalakte, auch kriminelle Neigungen werden dort vermutet. Von Befehlen, stramm stehen und „Ja“-Sagen hält Palmer sowieso nicht viel. Überraschend versetzt in sein Boss Colonel Ross (Guy Doleman, James Bond 007 – Feuerball) eines Tages in die kleine Abteilung des umtriebigen Major Dalby (Nigel Green). Dort hat man aktuell große Sorgen. Der Forscher Radcliff (Aubrey Richards) ist verschwunden und Palmers Vorgänger wurde ermordet. Palmers Spurensuche verläuft erst einmal ähnlich dröge wie im alten Job und dazu nicht gerade erfolgreich (und ist zu allem Überfluss noch mit unangenehmer Mehrarbeit am Samstag verbunden). Doch plötzlich stößt er auf ein Tonband mit der Aufschrift „Ipcress“ und gerät mitten hinein in eine Verschwörung und nach einem fatalen Fehler auf die Abschussliste der CIA und einer Verbrecherorganisation.

    Produzent Saltzman und Regisseur Furie versuchen glücklicherweise zu keinem Zeitpunkt das populäre „Bond“-Vorbild zu kopieren, sondern setzen ihren Harry Palmer von Anfang an klar dagegen. Das Ganze ist auf Realismus ausgelegt. Gerade in der ersten Hälfte wird mehrfach verdeutlicht, dass Agentenarbeit selten im Smoking, in Casinos oder in Betten schöner Frauen erfolgt. Stattdessen gilt es, langwierige Observationsjobs zu bewältigen, Akten zu sichten und Befragungen durchzuführen. Da diese Verdeutlichung ein wichtiges Element darstellt, muss sich der Zuschauer allerdings in der ersten Hälfte auf ein gemächlicheres Erzähltempo einstellen. Action ist hier noch Fehlanzeige und auch die Spannung stellt sich nicht sofort ein. Die wird dann erst im zweiten Abschnitt auf die Spitze getrieben, wenn sich in schneller Folge plötzlich die Ereignisse überschlagen und Palmer in gefährliche Situationen gerät.

    Sowohl für Hauptdarsteller Michael Caine als auch für Regisseur Sidney J. Furie war der Auftakt zur dreiteiligen „Harry Palmer“-Reihe (1966 folgte „Finale in Berlin“ unter der Regie von Guy Hamilton, 1967 „Das Milliarden Dollar Gehirn“ unter der Regie von Ken Russell) ein wichtiger Karriereschritt. Caine, der sich langsam von Kleinstrollen über das Fernsehen nach oben gebracht hatte, avancierte mit dem Publikumserfolg zum Superstar. Eine anschließende, und aufgrund seiner, vor allem im harten Finale, großartigen Leistung hoch verdiente, Nominierung als bester Darsteller bei den BAFTA-Awards, dem britischen Filmpreis, macht den Triumph perfekt. Im Folgejahr war er als smarter Casanova in „Alfie“ erneut als bester Darsteller bei den BAFTAs nominiert und heimste gleichzeitig auch noch eine Oscarnominierung ein. Danach folgte lange Zeit Schlag auf Schlag ein Erfolg dem anderen (u.a. Mord mit kleinen Fehlern, Get Carter), bis er gegen Ende der Achtziger in eine Krise rutschte und wieder verstärkt in Mittelklassefilmen sowie im TV tätig war. Mitte der Neunziger drehte er sogar noch zwei weitere „Harry Palmer“-Filme, die aber nicht das erhoffte Comeback bedeuteten. Das kam erst völlig überraschend 1999 mit der Literaturverfilmung Gottes Werk und Teufels Betrag und dem dafür gewonnenen Oscar als bester Nebendarsteller. Seitdem läuft Caines Karriere wieder rund (u.a. Der stille Amerikaner, The Statement, Batman Begins) und er gilt zu Recht als einer der besten Charakterdarsteller seines Alters.

    Interessant ist auch die Karriere des Kanadiers Sidney J. Furie. Nach anfänglicher Arbeit fürs kanadische Fernsehen drehte er in Großbritannien u.a. B-Horror-Movies, die seine Leidenschaft waren. Mit „Ipcress – Streng geheim“ bekam er plötzlich die Chance, einen großen Film zu machen und nutzte sie. Sein Thriller wurde für die Goldene Palme in Cannes nominiert, gewann den BAFTA-Award als bester britischer Film und Furie selbst wurde von der amerikanischen Regisseursgewerkschaft als einer der fünf besten Regisseure des Jahres nominiert. Doch wiederholen konnte er den Erfolg nicht. Furie probierte sich in verschiedenen Genres aus, wollte dabei auch weiter B-Movies drehen und fand später seine Hauptbeschäftigung in Kriegs- und Actionfilmen. 1986 gab es mit „Der stählerne Adler“ noch einmal einen kleinen Erfolg (dem auch ein paar schwache Sequels folgten) und im selben Jahr mit Superman IV dann ein großes kommerzielles Debakel. Danach wanderte er ins Fernsehen ab und dreht heute im Alter von über 70 Jahren nur noch billige Actionfilme für Sparten-TV-Kanäle oder die hintersten Videothekenecken. Dass aus seiner Karriere viel mehr hätte werden können, beweist sein bester Film. Die Agentengeschichte wird geschickt mit Anleihen am Film Noir verknüpft, die sich nicht nur im Erzählstil, sondern auch in der Bebilderung zeigen. Dabei fällt auf, wie sehr Furie das Breitbild nutzt und Geschehen auch an den Bildrändern platziert. Der oft leicht schräge Blick der Kamera auf das Geschehen gibt „Ipcress – Streng geheim“ einen besonderen Touch, der ihn von ähnlich gelagerten Werken weiter abhebt (Otto Heller, „Peeping Tom“, bekam verdient den BAFTA-Award als bester Kameramann).

    Auch wenn „Ipcress - Streng geheim“ lange Zeit das Tempo verschleppt und mit seiner bis dato eher nüchtern geprägten Schilderung des so aufregend klingenden Berufs des Geheimagenten bisweilen auch ein wenig die Geduld des Zuschauers strapaziert, muss eine sehr deutliche Sehempfehlung für Fans des klassischen Thriller-Stoffes ausgesprochen werden. Denn der langsame Aufbau bereitet das hoch spannende Finale vor, in dem schließlich Harry Palmer die schwersten Stunden seines Lebens durchmacht und der zuvor schon als dick bebrillter Zyniker Harry Palmer brillierende Michael Caine in aller Deutlichkeit seine Klasse ausspielen kann.

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