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    Der Duft der Frauen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Der Duft der Frauen
    Von Andreas Staben

    „Meine Serie ist durchbrochen!“ - Mit einem Ausruf des Erstaunens und der Erleichterung nahm Al Pacino 1993 den Oscar als bester Hauptdarsteller für „Der Duft der Frauen“ entgegen. Sieben Mal hatte er zuvor vergeblich auf die Auszeichnung gehofft, obwohl er für Rollen in Klassikern wie Der Pate, Serpico oder Hundstage nominiert gewesen war. Die Würdigung einer eindrucksvollen Karriere klang also sicher mit bei den Ovationen, die Pacino bei seiner Dankesrede entgegen brandeten, aber entgegen dem Vorurteil, dass Preise meist an die richtigen Leute für die falschen Filme gehen (oder umgekehrt), war diese Wahl hochverdient. Der blinde Ex-Offizier Frank Slade gehört dank Pacino sicher zu den denkwürdigen Leinwandfiguren der Neunziger. Der aus den bescheidenen Verhältnissen der Bronx stammende Schauspieler dominiert „Der Duft der Frauen“ mit dem Charisma eines Stars und dem technischen Können eines methodisch geschulten Darstellers, eine reine Ein-Mann-Show ist das Drama von Regisseur Martin Brest dennoch nicht.

    Charlie Simms (Chris O'Donnell) steckt in der Zwickmühle: Der Stipendiat am renommierten Internat Baird hat gemeinsam mit seinem Mitschüler George Willis (Philip Seymour Hoffman, Capote, Tödliche Entscheidung, Glaubensfrage) beobachtet, wie ein Streich vorbereitet wurde, der sich gegen den Schuldirektor Mr. Trask (James Rebhorn, Independence Day, Baby Mama, The International) und dessen nagelneue Luxuskarosse richtete. Trask setzt Charlie massiv unter Druck, sein Wissen preiszugeben und erpresst ihn. Der junge Mann erhält Bedenkzeit übers „Thanksgiving“-Wochenende, an dem er sich ein Zubrot als Betreuer des blinden Frank Slade (Al Pacino) verdienen will. Der Colonel im Ruhestand hat allerdings nicht vor, ruhig zu Hause zu bleiben und schleppt Charlie mit zu einem luxuriösen Kurztrip nach New York. Der verbitterte und des Lebens überdrüssige Ex-Soldat steht genauso wie der Schüler an einem Scheideweg...

    Martin Brest erzählt in seinen Filmen mit Vorliebe von unfreiwilligen Paarungen. Die Umstände führen sehr gegensätzliche Personen zusammen, die sich miteinander arrangieren müssen. Die Dynamik dieser Begegnungen treibt schon den ersten großen Erfolg des Regisseurs voran. In Beverly Hills Cop mischt Eddie Murphy als Polizist aus Detroit nicht nur einige Gauner auf, sondern setzt mit großer Klappe auch den Berufskollegen aus L.A. zu. Charles Grodin nervt Robert De Niro in Midnight Run gewaltig, ehe das ungleiche Duo aus Mafia-Buchhalter und Kopfgeldjäger sich auf einer gemeinsamen Odyssee doch näher kommt. Ähnliches gilt für das unwahrscheinliche Gaunerpärchen Ben Affleck und Jennifer Lopez in „Liebe mit Risiko“, und in Rendezvous mit Joe Black muss Anthony Hopkins gar den Tod in Gestalt von Brad Pitt in seinem Haus aufnehmen. Generell interessiert sich der Regisseur weitaus mehr für seine Figuren und ihre Beziehungen als für einen stringenten Handlungsaufbau, auch in „Der Duft der Frauen“ steht eindeutig das konfliktbeladene Verhältnis von Charlie und Frank im Mittelpunkt.

    Die an andere Schuldramen über Gruppenzwang und Gewissensdruck wie Der Club der toten Dichter erinnernde Rahmenhandlung ist in „Der Duft der Frauen“ nur der erzählerische Vorwurf. Im Ganzen ist der Plot, der nur grob der Vorlage des gleichnamigen italienischen Films von 1974 mit Vittorio Gassman folgt, ziemlich konstruiert und wenig bemerkenswert. Größte Sorgfalt lässt Brest dagegen bei der Auswahl der Schauplätze walten – vom Luxushotel bis zur Traditionsschule. Sein Augenmerk gilt den atmosphärischen Nuancen, für die er sich entsprechend Zeit nimmt. So gibt er seinen Darstellern Gelegenheit, Szenen bis zum Ende auszuspielen und Klischees mit neuem Leben zu füllen. Franks Erblindung etwa erhält auf diese Weise mehr als nur einen metaphorischen Sinn. Der nach und nach veränderte Umgang mit der Behinderung kennzeichnet subtil auch die Entwicklung der Beziehung der beiden Protagonisten. Nachdem sich Frank am Anfang jede unerbetene Berührung durch den Schüler verbittet, vertraut er dem Jüngeren in der Folge zunehmend.

    Al Pacino hat sich in gewohnter Manier in seine Rolle vertieft und sie sich mit Unterstützung von Blindenverbänden erarbeitet. Absolute Glaubwürdigkeit in der Darstellung des Gebrechens ist die Grundlage für eine ebenso flamboyante wie komplexe Charakterstudie. Wir begegnen ihm wie Charlie zunächst zögerlich, denn er hat sich einen abweisenden Panzer aus militärischer Ruppigkeit und provokanter Unausstehlichkeit zugelegt. Spätestens beim desaströsen Thanksgiving-Essen bei Franks Bruder deuten sich allerdings traumatische Verwerfungen an. Pacino lässt die Fassade punktuell bröckeln, zuweilen steht ihm eine mehr als körperliche Erschöpfung ins Gesicht geschrieben. Die Mischung aus Lebenslust und Überdruss, Müdigkeit und Elan ergibt ein so schillerndes Porträt, dass es für jeden Partner schwierig wäre, da mitzuhalten. Chris O'Donnell tut das einzig Richtige und nimmt sich zurück, er reagiert auf Pacino und lässt sich von ihm führen. Seine im Vergleich blass wirkende Darstellung sollte in ihrer kontrapunktischen Wirkung nicht unterschätzt werden und es ist bedauerlich, dass O'Donnell nach seinen beiden Auftritten als Robin in Batman und Robin und Batman Forever weitgehend in der Versenkung verschwand, ehe er in Max Payne zumindest in einer Nebenrolle mal wieder auftauchte.

    Drehbuchautor Bo Goldman (Einer flog übers Kuckucksnest, „Melvin und Howard“) verleiht Frank Slade vor allem beim Plädoyer vor der Schulversammlung am Ende rhetorische Finesse und legt ihm zudem das unverwechselbare „Hoo-ah“ in den Mund, einen militärischen Schlachtruf, den Pacino zum oft imitierten Markenzeichen werden ließ. Klassikerstatus hat auch die halsbrecherische Probefahrt des blinden Mannes im Ferrari, aber das Herzstück des Films ist der Tango von Al Pacino mit der zauberhaften Gabrielle Anwar (Body Snatchers) im stilvollen Ballsaal. Hier findet sich die Poesie des Filmtitels mit der Musik („Por una cabeza“ von Carlos Gardel) und einem feinen Gespür für Stimmung und Ambiente vereint.

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