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    Der Mieter
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Der Mieter
    Von Christian Horn

    Alfred Hitchcock, das weiß jedes Kind, hat eine stattliche Zahl an bahnbrechenden Thrillern inszeniert. Als Vater des Suspense ist er bis heute eine feste Bezugsgröße im Genre. Als Hitchcock mit Filmen wie Das Fenster zum Hof und Psycho endgültig zur Ikone wurde, blickte er auf eine bereits mehr als dreißigjährige Karriere zurück. Schon den englischen Stummfilmen ist die unverwechselbare Handschrift des Regisseurs im Rückblick anzusehen. In dieser Phase hat er 1927 seinen ersten Thriller gedreht, den er später selber als ersten „richtigen“ Hitchcock bezeichnete: „Der Untermieter“, im Original „The Lodger“. Der in Deutschland nur auf DVD erhältliche gleichnamige Film von David Ondaatje ist zwar kein direktes Remake von Hitchcocks Werk, basiert aber auf demselben Erfolgsroman wie dieses: „Jack The Ripper“ von Marie Belloc Lowndes. Zudem orientiert sich Ondaatje unübersehbar am Inszenierungsstil des Altmeisters. Über weite Strecken funktioniert das auch sehr gut, gegen Ende driftet „The Lodger“ jedoch zunehmend in Belanglosigkeit ab. Dies geschieht ironischerweise gerade dadurch, dass eine von Hitchcocks Lektionen missachtet wird: Der Regisseur darf den Zuschauer gerne an der Nase herumführen, ihn auf falsche Fährten locken und zuvor für bare Münze genommene Szenen (etwa in einer Rückblende) als Lüge entlarven, solange er damit die Erzählung vorantreibt. Setzt er eine solche willkürliche Wendung dagegen am Ende des Films ein, dann kommt der Zuschauer sich veräppelt vor. Und genau das bleibt ihm in David Ondaatjes höchst mittelmäßigem Thriller leider nicht erspart.

    West Hollywood: Ein Jack-The-Ripper-Imitator verübt serienweise Morde an Prostituierten. Der routinierte, ein wenig abgehalfterte Cop Chandler Manning (Alfred Molina, Spider-Man 2, Frida) ist gemeinsam mit seinem jungen, noch unerfahrenen Partner Street (Shane West, Nur mit dir) mit den Ermittlungen betraut. Ein erster Hauptverdächtiger findet sich in einem mysteriösen Fremden (Simon Baker, Land Of The Dead), der sich in das Gartenhaus des krisengeschüttelten Ehepaars Ellen (Hope Davis, Hearts In Atlantis) und Bunting (Donal Logue, Max Payne) eingemietet hat...

    „Ist ne Nutte, Sir. Schlimm zugerichtet.“ – „Irgendwelche Zeugen?“

    Mit diesem lakonischen Dialog fängt „The Lodger“ an: Zwei Cops stehen in der verregneten Nacht am Sunset Boulevard, die Leiche der Prostituierten wird mit einer Plane zugedeckt, im Hintergrund der Schein der Neon-Reklamen und das blaue Licht der Polizei-Sirenen. Klassischer kann ein Thriller kaum anfangen. Im weiteren Handlungsverlauf werden vom Polizisten-Duo aus altem Haudegen und Anfänger bis zum geheimnisvollen Unbekannten noch weitere Versatzstücke des Genres ins Spiel gebracht. Auch der Schriftsteller Raymond Chandler, der dem Film Noir der 40er Jahre nicht nur mit seiner Philip-Marlowe-Figur entscheidende Impulse geliefert hat, hat für „The Lodger“ ganz explizit Pate gestanden, schließlich benannte Ondaatje seinen Protagonisten nach ihm. Die düstere, fatalistische Grundstimmung des Films und die hartgesottenen Dialoge orientieren sich gleichfalls an den klassischen Werken der Schwarzen Serie.

    Trotz der erwähnten Referenzen an andere Vorbilder scheint Regisseur und Drehbuchautor David Ondaatje vor allem ein großer Hitchcock-Fan zu sein. Vor „The Lodger“ hat er zwei Kurzfilme gedreht, von denen einer „Waiting für Mr. MacGuffin“ heißt – eine Anspielung auf einen Hitchcock zugeschriebenen Kniff aus der dramaturgischen Trickkiste. In „The Lodger“ geht Ondaatje noch weit über den Einsatz von Verweisen und Zitaten hinaus: So wie der Mörder in seinem Film Jack The Ripper imitiert, ahmt er selbst sein Idol Hitchcock nach. An vielen Stellen gelingt ihm das sogar sehr gut, etwa in einer waschechten Suspense-Szene in der Mitte des Films, manchmal geht es aber auch gehörig schief – vor allem gegen Ende, wenn unmotivierte Verdachtsmomente wie ungenießbare Pilze aus dem Boden sprießen.

    Bei aller Wertschätzung und Nostalgie für seine historischen Vorgänger passt Ondaatje den Stoff aber auch an die Gegenwart an. So gibt es eine Szene, in der ein Polizist Jack The Ripper „googelt“, um an Informationen über die historische Mordserie zu kommen. Und die klassische Inszenierung wird immer wieder von verspielten, zeitgenössischen Einlagen wie Zeitraffern vom Straßenverkehr in der Art von Wong Kar-wai (Fallen Angels) durchbrochen. Einmal bereitet die Vermieterin das Frühstück im Fast-Forward-Modus zu und erinnert dabei mehr an Darren Aronofskys Requiem For A Dream als an Hitchcock, der aber als übermächtiges Vorbild dennoch stets der entscheidende Einfluss bleibt.

    David Ondaatje legt mit „The Lodger“ einen halbwegs passablen Thriller vor. Einige starke Momente können die an vielen Stellen fade Inszenierung jedoch nicht vollständig wettmachen. Vor allem krankt „The Lodger“ an seiner schwachen Auflösung, die in allen Belangen misslungen ist. Als Appetit-Anreger für einen „richtigen“ Hitchcock taugt „The Lodger“ allemal, Lust auf den nächsten Thriller von David Ondaatje macht er aber nur sehr bedingt.

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