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    Stroszek
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Stroszek
    Von Carsten Baumgardt

    Für nicht wenige Fans des Arthouse-Starregisseurs Werner Herzog ist „Stroszek“ eines seiner besten, wenn nicht gar das beste Werk seiner Laufbahn. Mit dem abgrundtief bitteren Drama um eine menschliche Tragödie versteht es der gebürtige Münchner trotz aller sozialer Ödnis, seinem Film eine ungeheure Warmherzigkeit zu verleihen. Getragen von brillanten, authentischen Darstellern begeistert „Stroszek“ mit einem genialen optischen Konzept einer extremen Farbgestaltung und wartet mit dem wohl abgedrehtesten Ende der Filmgeschichte auf.

    Der Berliner Straßenmusiker Bruno Stroszek (Bruno S.) wird gerade aus dem Gefängnis entlassen, handelt sich aber gleich wieder Ärger ein. Der schlichte, aber gutherzige Geist bietet der befreundeten Prostituierten Eva (Eva Mattes) einen Platz in seiner Wohnung an. Doch ihre beiden Zuhälter (Wilhelm von Homburg, Burkhard Driest) richten sie übel zu und auch Bruno wird verdroschen. Gemeinsam mit ihrem Nachbarn, dem alten Herrn Scheitz (Clemens Scheitz), wollen sie zu dessen Neffen (Clayton Szalpinski) nach Wisconsin auswandern. Um das Geld dafür zusammenzuklauben, ist Eva nicht zimperlich und arbeitet sich schon mal durch einen Bauwagen türkischer Gastarbeiter. Das skurrile Trio kauft sich in einem Kaff namens Plainsfield ein Wohnwagen-Haus. Die Idylle hält jedoch nicht lange an. Bruno läuft seine Freundin Eva weg, dazu wird das Geld immer knapper und die Bank will den Trailer versteigern lassen...

    Die Existenz von „Stroszek“ ist eigentlich nur einer Verlegenheit zu verdanken. Nach „Jeder für sich und Gott gegen alle“ (1974) versprach Regisseur und Autor Werner Herzog („Aguirre – Der Zorn Gottes“, „Nosferatu – Das Phantom der Nacht“, „Fitzcarraldo“, „The White Diamond“) dem Laiendarsteller Bruno S., der den Kasper Hauser gab, ihn für die Hauptrolle in „Woyzeck“ zu besetzen. Allerdings wurde ihm bald schlagartig klar, dass nur Klaus Kinski dies spielen könne. Peinlich berührt, suchte Herzog nach einem Ausweg und versicherte Bruno S., dass sie einen anderen Film zusammen machen würden. In fünf Tagen wollte Herzog Bruno S. ein fertiges Drehbuch nach Berlin schicken. Er hielt sein Versprechen und „Stroszek“ kam 1977 sogar noch vor „Woyzeck“ (1978) in die Kinos.

    Wie immer bei Werken des Regie-Exzentrikers, der das neue deutsche Kino der 70er Jahre mit Rainer Maria Fassbinder und Wim Wenders entscheidend prägte, gab es im Vorfeld Kritik. Er würde eine menschliche Freak Show inszenieren, maulten seine Gegner. Doch dieser Vorwurf ist wieder einmal nicht haltbar. Fakt ist allerdings, dass fast alle Darsteller mehr oder weniger sich selbst spielen. Bruno S., dessen Nachname übrigens nie bekannt wurde, hatte das gleiche harte Kindheitsschicksal zu teilen, wie sein Film-Alter-Ego Stroszek. Von seiner Mutter wurde er als Baby so sehr geprügelt, dass er in seiner Entwicklung etwas zurückblieb und insgesamt 23 Jahre in Heimen und Nervenheilanstalten verbrachte. Anschließend schlug er sich als Hinterhofsänger und Lagerarbeiter in Berlin durch.

    Obwohl Bruno S. ein einfacher Tor ist, der mit Vorliebe von sich selbst in der dritten Person spricht, hat er eine Menge „durchzugeben“, wie er seine Erzählungen nennt. Viele kleine Anekdoten des Films sind direkt aus dem Leben des Bruno S. gegriffen, die Schauplätze in Berlin real. Stroszeks Wohnung in Kreuzberg ist Brunos tatsächliche Bleibe der damaligen Zeit. Das Phänomenale an Bruno S. ist seine unglaubliche Authentizität. Aufgrund seiner Natur spielt er nicht, er ist die Person auf der Leinwand. Das schafft eine große Nähe, die der Betrachter zu Stroszek bezieht, ja beziehen muss. Herzog nimmt sein Publikum in die Pflicht, hinzugucken, wenn die Protagonisten auf das Fiasko zusteuern. Viele der Einstellungen wurden nur ein einziges Mal gedreht, da diese Lebendigkeit nicht wiederholbar wäre. Oft musste Fassbinder-Star Eva Mattes („Woyzeck“, „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“) aushelfen und Bruno S. in den Dialogen, die er teils frei interpretieren konnte, führen, um das gewünschte Ziel des Drehbuchs zu erreichen.

    Mattes, die einzige professionelle Schauspielerin unter den Hauptdarstellern, glänzt durch ihre Mimik und kleine Gesten, die mit minimalem Aufwand ausdrücken, wie es in ihr vorgeht. Der Dritte aus dem Trio Infernale, Clemens Scheitz („Jeder für sich und Gott gegen alle“, „Herz aus Glas“, „Nosferatu – Das Phantom der Nacht“), bringt seine eigene liebevolle Schrulligkeit mit ein. Wie Bruno S. spielt auch er sich im Grunde selbst – mit allen Macken und Spinnereien. Das Schlagwort Authentizität trifft selbstverständlich auch auf Wilhelm Prinz von Homburg (alias Norbert Grupe) und Burkhard Driest zu, die beide privat über jede Menge kriminelle Energie verfügen und diese Bedrohlichkeit bestens auf die Leinwand übertragen. Auch die Laiendarsteller des USA-Teils wissen durch absolute Natürlichkeit zu überzeugen. Einst war Herzog in einem Kaff in Wisconsin mit seinem Auto liegen geblieben. Automechaniker Clayton Szalpinski half dem Regisseur und reparierte dessen Wagen. Herzog erinnerte sich daran und besetzte ihn einfach für die Rolle des Mechanikers.

    „Stroszek“ lebt von mehreren Dingen. Es ist absolut faszinierend, diese skurrilen Typen auf ihrem Weg in den sicheren Untergang zu begleiten. Mit kleinen Anekdoten vertieft Herzog die Charaktere. Der Ton des Films ist bitter und rau. Es sind praktisch nur gescheiterte Existenzen zu sehen, die verzweifelt und vergeblich um ein kleines bisschen persönliches Glück kämpfen und dennoch gelingt Herzog das Kunststück, trotz aller Trostlosigkeit, seine Figuren menschliche Wärme und Humor ausstrahlen zu lassen. Optisch ist „Stroszek“ äußerst interessant. Trotz der großen Tristesse der Szenerie gelingt es Herzogs Hauskameramann Thomas Mauch („Fitzcarraldo“, „Aguirre – Der Zorn Gottes“, „Auch Zwerge haben klein angefangen“, „Lebenszeichen“) auf atemberaubende Weise, durch extreme Farbgebung poetische, stilisierte Bilder zu kreieren, die trotzdem nicht im Kontrast zum düsteren Ton des Films stehen. In nahezu jeder Szene ist zum Beispiel ein knallrotes Element zu sehen - sei es ein Kleidungsstück, ein Auto oder Türen und Treppen.

    „Stroszek“ ist sicherlich ein unbequemer Film, der aber durch seine spröde Poesie der Figuren die grenzenlose Bitternis des Odyssee in den Abgrund auf wundersame Weise versüßt. Die kulturpessimistische Ballade atmet förmlich das Milieu, das sie darstellt - von den Hinterhöfen Berlins bis hin in die Einöde des amerikanischen Hinterlands. Herzogs schuf mit „Stroszek“ sein eindringlichstes und persönlichstes Meisterwerk, das in seiner Intensität und Glaubwürdigkeit nahezu dokumentarischen Charakter besitzt. Am Schluss hält der Regie-Fanatiker für seine Anhänger noch ein ganz besonderes Zuckerl bereit. Nicht nur, dass er dem Kino den skurrilsten versuchten Bankraub der Geschichte schenkt, mit dem zutiefst verstörenden, völlig durchgedrehten Ende, dessen tanzende Hühner als Metapher auf Stroszeks Leben zu verstehen sind, beweist er wieder einmal eindrucksvoll, dass diese Symbiose aus Genie und Wahnsinn auf der Leinwand exzellent funktioniert. Herzog lädt dem Zuschauer Bilder in den Kopf, die er niemals mehr vergessen wird. Wie sagte Star-Kritiker Roger Ebert, bekennender Herzog-Fan, so treffend: „Who else would end the movie with a policeman radioing: We've got a truck on fire, can't find the switch to turn the ski lift off, and can't stop the dancing chicken. Send an electrician.”

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