Mein Konto
    Crocodile
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Crocodile
    Von Björn Becher

    In Europa gehört Kim Ki-Duk (Hwal – Der Bogen, Time, Breath) zu den Dauergästen auf Festivals, ist beliebt bei Kritik und weiten Teilen des Arthouse-Publikums, während in seiner Heimat Südkorea die meisten seiner Filme im regulären Kinobetrieb eher unbeachtet bleiben oder nur durch Proteste von Frauenrechtsgruppen für Aufmerksamkeit sorgen. Was seine Anhänger so schätzen und ihm schon zahlreiche Filmpreise bei den bedeutendsten Festivals der Welt einbrachte, was seine Werke aber teilweise auch so schwer zugänglich macht, ist in seinem Erstling „Crocodile“ schon zu sehen. Kim Ki-Duks Frühwerk erweist sich als kraftvolles, rohes Debüt mit einem erstklassigen Hauptdarsteller.

    Crocodile (Jo Jae-hyeon) lebt mit einem kleinen Jungen und einem alten Mann als Obdachloser am Ufer des Han-Flusses in Seoul. Sein „Einkommen“ verdient er mit den zahlreichen Selbstmördern, die sich immer wieder nachts in die Fluten stürzen. Crocodile taucht zu den Leichen, um diese auszurauben. Und ein zweites Mal kassiert er ab, indem er nur gegen Bezahlung der Polizei und den Angehörigen sagt, wo die Leiche zu finden ist. Doch eines Nachts springt die schöne Hyung-Jung (Jae-hong Ahn) in den Fluss. Entgegen seiner Prinzipien beschließt Crocodile, sie auf Drängen seiner Begleiter zu retten. Da er nichts umsonst macht, vergewaltigt er die Frau anschließend. Sie verfällt nichtsdestotrotz in eine Art Abhängigkeit und bleibt bei ihm. Doch dann sucht sie den Kontakt zu ihrem Ex-Freund, was den aufbrausenden und rabiaten Crocodile zu neuen Gewaltexzessen verleitet.

    So genannte Autorenfilmer kommen fast alle immer auf die ähnliche Weise zum Film. Sie sind Filmfans seit ihrer Kindheit, haben die halbe Jugend im Kino verbracht, oft sogar in einem gearbeitet und intensiv die Werke ihrer Vorbilder studiert, um sich zu entschließen, das auch selbst zu versuchen. Über eine Filmschule oder die Lehre bei einem Regisseur wird dann die eigene Karriere gestartet. Kim Ki-Duk fällt in dieser Hinsicht deutlich aus dem Rahmen. Vom Land stammend, kam er zwar mit neun Jahren in die große Stadt nach Seoul, doch an Kino war dort nicht zu denken. In armen Verhältnissen verwurzelt, musste er früh die Schule abbrechen, verdiente Geld beim Militär und in einer Fabrik, um mit dem Traum, Maler zu werden schließlich nach Frankreich zu gehen. Zwei Jahre lang verkaufte er selbstgemalte Bilder in Montpellier am Strand, zudem auch in der Münchner Fußgängerzone und in Paris. Dort, schon über 30 Jahre alt, betrat er angeblich das erste Mal ein Kino, also zu einer Zeit, in welcher gleichaltrige Kollegen schon ihre ersten Gehversuche wagen oder diese längst abgeschlossen haben. Das Kino beeindruckt ihn allerdings so, dass er nach seiner Rückkehr nach Südkorea sich ein Scheitern als Maler eingesteht und anfängt Drehbücher zu schreiben.

    Er bekommt ein Stipendium und kann einige Zeit später 1996 mit „Crocodile“ sein Debüt realisieren, das in die Hände der Verantwortlichen des Pusan Film Festival gerät. Dort wird Ki-Duks Film - wie nahezu alle späteren Werke – gezeigt und dem Filmemacher so der Weg für Folgeproduktionen geebnet. Mit dem dritten Werk Birdcage Inn gelingt Ki-Duk ein weiterer Schritt. Es ist sein erster Film, der es auf ein ausländisches Festival (im tschechischen Karlsbad) schafft. 2000 ist seine Reputation so gestiegen, dass sein Werk „Seom – Die Insel“ nach Venedig eingeladen wird, dort die anwesende Presse verstört und für reichlich Gesprächsstoff sorgt. Der Rest ist Geschichte und der seitdem sehr umtriebige, jährlich mindestens einen Film drehende Kim Ki-Duk mit seinen Produktionen permanent auf den A-Fesitvals dieser Welt vertreten.

    Ki-Duks Debüt „Crocodile“ ist nur phasenweise anzumerken, dass es sich um ein mit wenig Geld gedrehtes Erstlingswerk handelt. Die eher grobkörnigen Bilder zeigen das niedrige Budget, doch wie schon in seinen späteren Filmen versteht sich Kim Ki-Duk als Poet mit der Kamera. Immer wieder werden wunderschöne, schwelgerische Unterwasseraufnahmen in die brutale Szenerie eingestreut. Nichtsdestotrotz ist der Film insgesamt viel roher und wütender als die Nachfolger des Arthouse-Regisseurs. Dazu tragen eher düstere Einstellungen bei, die im Widerspruch zu den poetischen Aufnahmen platziert werden. Die Mischung der sehr unterschiedlichen Stimmungen der Bilder gelingt dabei auf hervorragende Weise. Vor allem rutschen die ausdrucksstarken Passagen zu keinem Zeitpunkt in den Kitsch ab - diesen Vorwurf muss sich Kim Ki-Duk erst bei späteren Werken teils gefallen lassen.

    Der Protagonist ist - nicht ungewöhnlich für den Regisseur - ein Widerling, der dem Zuschauer zu keiner Sekunde näher gebracht wird. Nahezu jede gut aussehende Frau, der er begegnet, wird Opfer eines Vergewaltigungs- oder eines anderen sexuellen Annäherungsversuchs. Mit fast jedem Mann fängt er eine Prügelei ein, bei der es ihm nichts auszumachen scheint, auch mal deutlich den Kürzeren zu ziehen. Er stiehlt und erpresst, er unterdrückt seine Gefährten am Han-Fluss und geriert sich wie deren Chef. Trotzdem werden die verletzlichen Seiten dieses Unsympaths gezeigt, der so in nicht zu ferne Distanz zum Zuschauer gerückt wird. Das ist vor allem dem sehr kraftvollen Spiel von Jo Jae-hyeon zu verdanken. Der südkoreanische Darsteller, der später noch öfter mit Ki-Duk zusammen arbeiten sollte („Seom“, „Bad Guy“) stellt seine (teilweise Laien-)Nebendarsteller deutlich in den Schatten und dominiert, passend zum Charakter, die Szenerie. Zusätzlich bedient sich Kim Ki-Duk seiner - heute muss man sagen - üblichen Stilmittel. Die weitestgehende Sprachlosigkeit der Figuren spielt hier die zentrale Rolle und lässt tiefer in deren Innenleben blicken, als es tausend Worte erreichen könnten.

    An die Qualität der besten Werken des umstrittenen Filmemachers wie „Seom – Die Insel“, Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling oder dem mehrfach in Venedig preisgekrönten Bin-Jip kann „Crocodile“ zwar nicht ganz heranreichen, eine kleine, wenn auch noch bisweilen ein wenig unrunde Filmperle, hat er mit seinem Debüt aber geschaffen. Und etwas mehr von der Wut und Kraft, die darin steckt, würde einigen seiner jüngeren Arbeiten sogar ganz gut tun.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top