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    Mein linker Fuß
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Mein linker Fuß
    Von Asokan Nirmalarajah

    Daniel Day-Lewis – seit mehr als zwei Jahrzehnten steht der eingängige Name des britisch-irischen Ausnahmemimen für schauspielerische Kraftakte im Film. Während sich amerikanische Kollegen wie der wahllose Vielfilmer Robert De Niro („Happy New Year") oder der nur noch im Fernsehen wirklich engagiert aufspielende Al Pacino („Jack und Jill") inzwischen auf ihren Method-Acting-Lorbeeren aus jungen Jahren (von „Der Pate", 1972, bis „Wie ein wilder Stier", 1980) auszuruhen scheinen, sind der Eifer und die Leidenschaft, mit denen sich der höchst wählerische und sich akribisch vorbereitende Day-Lewis in seine Rollen wirft, ungebrochen. Nicht ohne Grund ist man gespannt auf seine darstellerische Tour de Force als US-Präsident Abraham Lincoln in Steven Spielbergs Biopic „Lincoln" (2012). Anlass genug, einen Blick zurück auf den ersten Film zu werfen, in dem Day-Lewis sein kompromissloses Faible zum Method Acting erstmals auslebte: „Mein linker Fuß", Jim Sheridans mitreißendes und eindringliches Biopic nach der Autobiographie des schwerbehinderten irischen Künstlers Christy Brown, für dessen umwerfende Verkörperung der damals 32-Jährige seinen ersten Oscar als bester Darsteller gewann.

    Christy Brown kommt am 5. Juni 1932 als zehntes von 13 Kindern einer irischen Familie in Dublin auf die Welt. Doch zur Verwunderung seiner Eltern bewegt sich Christy nicht. Die Diagnose der Ärzte lautet: Durch eine Athetose ist der kleine Junge von Kopf bis Fuß gelähmt. Während die Experten und die neugierigen Nachbarn davon ausgehen, dass der unter epileptischen Anfällen leidende Knabe, der von seinen Geschwistern in einem kleinen Karren durch die Straßen geschoben wird, auch geistig behindert sein muss, glaubt seine Mutter Bridget (Brenda Fricker) an den gesunden Verstand ihres Sohnes (Hugh O'Conor). Ihre Hoffnung bestätigt sich, als Christy unter größter körperlicher Anstrengung mit seinem linken Fuß ein Stück Kreide über den heimischen Fußboden bewegt und zum Staunen seines skeptischen Vaters Paddy (Ray McAnally) das Wort „mother" schreibt. Durch mehrere Therapien kann der erwachsene Christy (Daniel Day-Lewis) dann nicht nur sprechen, sondern auch schreiben, dichten und mit seinem Fuß malen. Eileen Cole (Fiona Shaw) lernt den künstlerisch begabten Mann aus der Arbeiterklasse kennen und macht ihn zu einer nationalen Berühmtheit. Doch dann verliebt sich Christy in seine Mentorin...

    Dass das Drehbuch von Shane Connaughton und Jim Sheridan nach der gleichnamigen Autobiographie Christy Browns die etwas pikanteren Details aus dem bewegten Lebens des außergewöhnlichen Künstlers ausblendet, etwa seinen späten Alkoholismus, ist nicht unbedingt als verklärende Historiographie zu werten. Zum einen endet das inspirierende Behindertendrama nicht mit Browns Tod 1981, sondern mit der Publikation seiner Autobiografie, und zum anderen wäre selbst ein Epilog, in der die Hauptfigur ihre menschlichen Makel offenbart, der großen emotionalen Wucht des Films nicht abträglich gewesen. Schließlich ist der vielleicht größte Verdienst des mehrfach prämierten Überraschungserfolgs von 1989, für dessen Oscar-Kampagne der damals noch kleine Verleih Miramax das Dreifache des Produktionsbudgets ausgab, dass er seinen behinderten Protagonisten nicht als ständig menschelnden, immer sympathischen Gutmenschen zeichnet. Stattdessen ist Christy Brown ein rotziges Kind der irischen Arbeiterklasse, das selbst als Erwachsener noch in manipulatorische Schreikrämpfe verfällt, wenn es nicht das bekommt, was es haben will.

    Sowohl Daniel Day-Lewis als erwachsener Christy, als auch der beeindruckende Kinderdarsteller Hugh O'Connor als junger Christy ziehen das Publikum virtuos in die Achterbahn der Gefühle, in der Brown als Schwerbehinderter steckt. Von seiner Freude, seinen Brüdern beim Straßenfußball als Torwart und selbst bei der anschließenden Prügelei eine Stütze zu sein, über die Frustration, von den Mädchen in seiner Nachbarschaft wiederholt abgelehnt zu werden, bis hin zum kalten Zynismus, den er sich in seinen späten Jahren als Schutzmantel anlegt – stets bleibt der Film hautnah an der konfliktreichen Figur. Jim Sheridan, der später mit seinem Landsmann Day-Lewis noch zwei weitere Filme über das raue Leben in Irland („Im Namen des Vaters", 1993, und „Der Boxer", 1997) machen sollte, beweist hier noch das sichere Gespür für das Innenleben seiner Figuren, das ihm mit „Get Rich or Die Tryin‘" (2005) etwas abhanden gekommen ist. Vor allem seine Schauspielerführung ist makellos: Neben dem grandiosen Day-Lewis begeistern vor allem Ray McAnally und die Oscar-prämierte Brenda Fricker als stimmgewaltiges Ehepaar wie aus dem Leben gegriffen.

    Fazit: Am Set von „Mein linker Fuß", einem der bewegendsten Biopics der Filmgeschichte, sollen sich Crew-Mitglieder darüber entrüstet haben, dass ihr Hauptdarsteller nie aus seiner Rolle als schwerbehinderter Rollstuhlfahrer fiel und deshalb auch überall hin transportiert werden musste. Der Lohn für diese Mühen war aber neben zwei gebrochenen Rippen durch die unnatürliche Sitzhaltung der Oscar für eine der außergewöhnlichsten schauspielerischen Leistungen der vergangenen Jahrzehnte.

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