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    Unbesiegbar
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Unbesiegbar
    Von Carsten Baumgardt

    Gut zehn Jahre waren nach „Schrei aus Stein” ins Land gezogen, bevor sich Autorenfilmer Werner Herzog 2002 wieder mit einem Spielfilm auf der großen Leinwand zurückmeldete. Der erhoffte Paukenschlag blieb leider aus. Das in der Nazi-Zeit angesiedelte Drama „Invincible“ glänzt zwar mit einigen Herzog’schen Tugenden, wirkt aber in letzter Konsequenz zu leidenschaftslos und offenbart dramaturgische Schwächen.

    Der einfältige Schmied Zishe Breitbart (Jouko Ahola) ist in seinem ostpolnischen Heimatdorf der stärkste Mann weit und breit. Als ihn ein Talentspäher 1932 nach Berlin ans Varieté vermitteln will, lehnt der bodenständige Familienmensch zunächst ab. Seinem kleinen Bruder Benjamin (Jacob Wein) würde es das Herz brechen. Doch Zishe wirft seine Bedenken über Bord und heuert in der deutschen Hauptstadt bei dem dänischen Adligen Hanussen (Tim Roth) als Kraftmensch im „Palast des Okkulten“ an. Nach großen Erfolgen, die Nazis bewundern die unmenschliche Kraft Zishes, nimmt seine Karriere schnell ein jähes Ende, als er sich als Jude bekennt. Der gerissene Hanussen biedert sich bei den Nazi-Größen an, versucht aber gleichzeitig auch noch, die Juden in seine Show zu locken. Dieses riskante Spiel geht bald schief. Zishe droht weiterer Ärger, als er sich in Hanussens Freundin, die Pianistin Marta (Anna Gourari), verliebt...

    Auch wenn Werner Herzog („Aguirre – Der Zorn Gottes“, „Fitzcarraldo“, „Stroszek“ ), einer der großen Stars des Neuen Deutschen Films der 70er Jahre, mehr als eine Dekade keinen Spielfilm mehr gedreht hatte, war er keinesfalls in der Versenkung verschwunden. 1999 erstrahlte sein Glanz durch die liebevoll-geniale Kinski-Hommage „Mein liebster Feind“ in neuem Licht, dazu war er mit kleineren Dokumentationen präsent. Der Erfolg setzte sich mit „Invincible“ allerdings nicht fort. Die Kritiken waren durchwachsen. Anachronismus warfen ihm einige vor. Mit Sicherheit ist das Nazi-Drama altmodisch inszeniert, aber das muss nicht gleich negativ besetzt sein. Herzog behält seinen Stil bei und arbeitet nach gewohntem Muster. Kameramann Peter Zeitlinger („Mein liebster Feind“) liefert betörend schöne Aufnahmen, bleibt in der Innovation der Bilder aber hinter Herzogs Stammkräften Thomas Mauch („Aguirre – Der Zorn Gottes“, „Stroszek“, „Fitzcarraldo“, „Auch Zwerge haben klein angefangen“) und Jörg Schmidt-Reitwein („Jeder für sich und Gott gegen alle“, „Herz aus Glas“, „Woyzeck“, „Nosferatu - Das Phantom der Nacht“) zurück.

    Schauspielerisch wird „Invincible“ von einem exzellenten Tim Roth („Pulp Fiction“), der sich die Seele aus dem Leib spielt, getragen. Sein ambivalenter Charakter des Hanussen birgt das größte Konfliktpotenzial und die beste Chance, zu glänzen - was Roth mit vollem Einsatz und Hingabe nutzt. Der Schwindler Hanussen ist eine echte Kinski-Rolle, welche der 1991 verstorbene Egomane zu Lebzeiten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit übernommen hätte. Roth vertritt Kinski in Würde und spielt dabei den Finnen Jouko Ahola mühelos und glatt an die Wand. Dem oft hölzern wirkenden Laiendarsteller ist allerdings kaum ein Vorwurf zu machen. Zwei Mal wurde er zum „Stärksten Mann der Welt“ gekürzt. Diese Authentizität wollte Herzog nutzen, um die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte des naiven, aber furchtlosen Kraftmenschen Zishe Breitbart zu erzählen. Ein Nachfahre trug die Idee zu dem Film übrigens an den legendären Filmemacher heran. Herzog unterfüttert seine Handlung mit Anleihen im Mythischen - vom biblischen Samson, über den germanischen Siegfried bis zum amerikanischen Superman. Die jüdische Welt, die bereits von den Nazis unterdrückt und gegeißelt wird, sehnt sich nach einem Helden, einem Erlöser. Und der Tor reinen Herzens mit Bezügen zum mythischen Sisyphos stellt sich mit einem religiös verankerten Selbstverständnis der Aufgabe, an der er nur scheitern kann. Der Irrglaube der titelgebenden Unbesiegbarkeit wird Zishe schließlich zum Verhängnis.

    Dass der Regie-Berserker, der stets sein Leben für einen guten Film bereit ist, zu geben, seinem eigenen Mythos zumindest einen Kratzer verpasst, liegt vordergründig an zwei Makeln, die „Invincible“ zeichnen. Die Figur des Zishe langweilt in keiner Minute, aber die große Leidenschaft, die nötig wäre, diese explosive Zeit mit mehr Elan anzureichern, kommt dem Film abhanden. Das ist alles sehr, sehr hübsch anzusehen und gefällig gespielt, aber der zündende Funke will nicht überspringen. Herzog hält sich mit seiner Inszenierung zurück und lässt gerade die Energie vermissen, die ihn früher so auszeichnete. Als zweiter Patzer erweist sich die verschenkte Dramaturgie. Zu früh verschießt Herzog sein Pulver und ist nach Tim Roth’ Verschwinden ohne dramaturgischen Schwerpunkt unterwegs. Jouko Ahola trottet wie ein Schaf seinem Untergang entgegen. Die berühmte russische Konzertpianistin Anna Gourari, die zweite Laiendarstellerin in einer Schlüsselposition, meistert ihre Rolle ebenso wie Ahola mit Anstand, ohne dabei mitzureißen. Neben dem auftrumpfenden Tim Roth ist es vor allem Udo Kier („Armageddon“, „Dogville“), der als Graf Helldorf für schauspielerische Glanzlichter sorgt. Mit listiger Courage rettet der latent Liberale dem mutigen Zishe in einer sehenswerten Szene auf dem Boot das Leben.

    Diejenigen, die Werner Herzog nach dem mittelprächtigen „Invincible“ aufs Abstellgleis schieben wollten oder den künstlerischen Tod des letzten Stars des Neuen Deutschen Films prognostizierten, sahen sich indes getäuscht. Sicherlich besitzt der Film nicht Herzogs berühmt-berüchtigten gnadenlosen Biss, aber durch die erstklassigen Dokumentationen „Rad der Zeit“ (2003) und „The White Diamond“ (2005) bewies der Exzentriker, dass mit ihm mehr denn je zu rechnen ist. Ob es in absehbarer Zeit noch einen Spielfilm geben wird, bleibt abzuwarten. Aber seiner Passion, dem Dokumentarfilm, wird der Münchner treu bleiben. Und im Grunde sind Herzogs Dokus wie Spielfilme aufgebaut und inszeniert.

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