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    Der Schatzplanet
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Der Schatzplanet
    Von Ulrich Behrens

    Gerne erinnere ich mich an die vorweihnachtlichen Wochen, als ich im Alter von 11 oder 12 – gespannt wie ein Flitzebogen – auf Jim Hawkins Abenteuer wartete. 1966 adaptierten Jaques Bourdon und der langjährige damalige Fernseh-Profi Wolfgang Liebeneiner Robert Louis Stevensons „Die Schatzinsel“ für das Fernsehen in einem Vierteiler mit Michael Ande (bekannt aus der Krimi-Serie „Der Alte“) als Jim, dem kauzigen, glatzköpfigen Ivor Dean als Long John Silver und Jaques Godin als Israel Hands. Das war ein Abenteuerspaß nach meinem Geschmack, und noch heute würde ich diesen Vierteiler mit einigem Vergnügen wieder ansehen. Von den etlichen anderen Adaptionen des Stoffes (1) sticht ansonsten eigentlich nur noch der Klassiker unter der Regie von Victor Fleming aus dem Jahr 1934 heraus, mit Wallace Beery, Jackie Cooper und dem unvergesslichen Lionel Barrymoore in den Hauptrollen. Dass der Stoff nun in den Disney-Studios für einen Zeichentrickfilm herhalten musste, ist kaum verwunderlich. Per Folienanimation und CGI wurde allerdings der Ort der Handlung von der Erde in die Weiten des Weltraums verlegt. Statt Menschen treten vor allem allerlei Phantasiegestalten auf und aus der Schatzinsel des alten Seeräubers Flint wurde ein hochtechnisierter Schatzplanet.

    Jim Hawkins las schon als kleiner Junge gerne die Abenteuer über Captain Flint, der angeblich seinen riesigen geraubten Schatz auf einem fernen Planeten versteckt haben soll. Jim hat diese Geschichte immer geglaubt. Jahre später vertreibt sich der Junge, der mit seiner Mutter, die ein Gasthaus betreibt, alleine lebt, seit sein Vater von heute auf morgen für immer verschwand, mit einem propellergesteuerten Surfbrett seine Zeit, mit dem er durch die Lüfte saust – zum Ärger der Polizei und seiner Mutter. Eines Tages landet ein Unbekannter, der offenbar verfolgt wird, vor dem Gasthaus der Hawkins und stirbt. In einer Truhe findet Jim eine Kugel. Als er an ihr dreht öffnet sich ein holographisches Bild des Alls mit der Lage des Schatzplaneten. Es gibt ihn also doch. Und gemeinsam mit dem alten Dr. Doppler, einem Stammgast im Restaurant, heuert Jim ein Weltraumschiff unter Führung Captain Amelia an, um sich auf die Suche nach dem Schatz zu machen.

    Die Mannschaft, die Doppler angeheuert hat, sieht allerdings nicht besonders vertrauensselig aus. Sie steht offenbar unter dem Einfluss des Schiffskochs John Silver, einem Cyborg mit einer vielseitig verwendbaren Armprothese. Silver gefällt der junge Hawkins, wenngleich er nur eins im Sinn hat: ihm die Kugel-Karte zu entwenden, um sich Flints Schatz unter den Nagel zu reißen. Jim vertraut dem alten Seebären, bis er eines Tages zufällig Silvers Gespräch mit seinen Leuten mitbekommt. Nur auf Doppler und Amelia kann er sich nun noch verlassen, denn Skroopf, eine Mischung aus Spinne und Skorpion, hat den ersten Offizier an Bord schon in die ewigen Weltraumgründe versenkt. Obwohl sich Doppler, Jim und Amelia, letztere schwer verletzt, in einer Höhle auf dem Schatzplaneten verstecken können, scheint die Lage aussichtslos. Silver und seine Armee der Finsternis bereiten sich zum Angriff vor. Nur B.E.N., ein Roboter mit Macken, den Jim auf dem Planeten getroffen hat, und Morph, eine kleine, meist grüne Gestalt, die sich in alles mögliche verwandeln kann, Silvers kleiner Freund, haben sich zu ihnen gesellt. Der Kampf um den Schatz beginnt ...

    Auch ich bin manchmal so etwas wie ein Purist. Phanatische Puristen werden angesichts dieses Trickfilms die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und den berühmt-berüchtigten Satz von sich geben: Robert Louis Stevenson würde sich im Grabe herumdrehen ... Jenseits allen Purismus allerdings sollte man bedenken, dass die Adaption des Stoffes für einen Trickfilm anderen Regeln folgt als denen des Spielfilms. Sicherlich, Disney Productions haben nicht nur Ort und Zeit des Abenteuers drastisch verändert. Auch die Geschichte selbst wurde in andere Bahnen gelenkt – die familiären Bahnen, die man aus dem Hause Disney so sattsam kennt. Aus dem ambivalenten Verhältnis des alten John Silver zu Jim Hawkins zaubern Clements und Musker eine schon nicht mehr halbe, sondern ganze Vater-Sohn-Geschichte, die den alten Seeräuber zum Schluss sogar den Schatz vergessen lässt. Das ist wohl ein absolutes Muss, an dem kein Regisseur oder Drehbuchautor bei Disney vorbeikommt. Denn schließlich: Familie steht über allem, sogar über einer Romanvorlage. Bei Michael Ande als Jim und Ivor Dean als John Silver in dem Fernsehvierteiler von 1966 gab es auch so etwas wie gegenseitigen Respekt, ja sogar Ansätze von Freundschaft. Aber zwischen Jims jugendlicher Unschuld und Silvers Skrupellosigkeit gab es nie einen wirklichen Kompromiss. Disney sieht das anders. Nun gut. Dafür fehlt dem Film – bis auf die nur nebenbei angedeutete Annäherung zwischen Doppler und Amelia – eine durchgehende Liebesgeschichte.

    Die Verlagerung der Handlung in die Weiten des Alls, das Auftauchen von allerlei lustigem Getier, sprich: Phantasiegestalten wie einem Seeräuber mit fünf (oder sechs) Augen, einem furchtbaren Skroopf, einem Silver als Cyborg, dem wendigen, lustigen, ja manchmal schelmisch-verspielten Morph, dem leicht behinderten B.E.N., dem der alte Flint einen wichtigen Chipsatz (oder ähnliches) amputiert hatte, damit er nicht das Geheimnis des Schatzplaneten verraten kann, auch die Irrsinnsfahrten durch den Weltraum, die Kämpfe und die technisch aufgerüstete Umgebung – all das ist (zumeist jedenfalls) brillant gemacht und erinnert oft an die guten alten Zeichentrickfilme, nicht nur aus dem Hause Disney.

    Das alles taugt für einen lustigen Kinoaufenthalt für die ganze Familie. Obwohl der Film den Vorteil hat, Silver als jemand erscheinen zu lassen, der nicht nur böse ist, dem Charakter zugeschrieben wird, war mir die Vater-Sohn-Geschichte, die immer weiter in den Vordergrund rückt und das Ende der Geschichte bestimmt, zu dick aufgetragen. Tricktechnisch ist „Treasure Planet“ nicht der letzte Schrei, aber mit einiger Phantasie bezüglich der Figuren etc. kann ich hier dem Film nichts anlasten. Alles in allem: Trotz vergnüglicher 95 Minuten bleiben für mich Michael Ande und Ivor Dean Jim Hawkins und Long John Silver par excellence.

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