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    Léon - Der Profi
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Léon - Der Profi
    Von Ulrich Behrens

    Gebrochene, gescheiterte, zerrissene Familien sind in allerlei Schattierungen, Formen und unterschiedlichen Geschichten Liebslingsthema vieler Filme. In From Dusk Till Dawn z.B. ließen Robert Rodriguez und Quentin Tarantino zwei verbrecherische Brüder, davon einer psychopathisch, und einen nach dem Tod seiner Frau enttäuschten Prediger mit seinen beiden Kindern aufeinander prallen. Übrig, das heißt am Leben, blieben die Tochter des Predigers und der andere Bruder. In „Taxi Driver“ zeigte Martin Scorsese einen völlig vereinsamten Mann, der seine innere Zerrissenheit und Einsamkeit in latenter Verzweiflung und Wut auf den „Schmutz“ der Großstadt projiziert und nur in einem quasi religiösen Reinigungsprozesse per Gewaltakt eine Chance sieht, sein Scheitern zu demonstrieren: ein gescheiterter Versuch der Herstellung von Zusammenhang (um nur zwei wenige Beispiele zu nennen). In dem 1994 gedrehten „Léon“ konfrontierte Luc Besson („Das fünfte Element“, 1997) einen Profikiller, der seit seinem 19. Lebensjahr, als er aus Italien in die Vereinigten Staaten eingewandert bzw. geflohen war, allein durch die Großstadt New York zieht – als „Cleaner“, der Konflikte im kriminellen Milieu durch perfekten und „sauberen“ Mord löst –, mit einem 12jährigen Mädchen, das durch einen psychopathischen Cop und sein Team ihre gesamte Familie verliert.

    Mathildas Vater (Michael Badalucco) handelt mit Drogen und behandelt die 12jährige nicht gerade liebevoll. Ihre Stiefmutter (Ellen Greene) ist vor allem auf ihr Äußeres fixiert; ihre Stiefschwester (Elizabeth Regen) tut es der Mama nach. Nur ihr kleiner Bruder (Carl J. Matusovich) liegt dem Mädchen am Herzen. Nebenan wohnt Léon (Jean Reno), der mit Mütze und langem Mantel, unter dem er einen Teil seines Waffenarsenals verbirgt, durch die Gegend läuft und ausschließlich Milch trinkt. Léon ist „Cleaner“. Er tötet – durch Vermittlung der Aufträge durch Tony (Danny Aiello) – im kriminellen Milieu Konkurrenten: sauber, perfekt und ohne Spuren zu hinterlassen. Ausnahme: Frauen und Kinder, die sind für Léon tabu. Eines Tages sucht Norman Stansfield (Gary Oldman) mit einigen Männern Mathildas Vater auf. Er sucht nach Drogen und setzt dem Vater eine Frist. Als die Frist verstrichen ist, lässt er die ganze Familie töten, nur Mathilda, die gerade einkauft, überlebt das Massaker und steht leise weinend vor Léons Tür, der ihr nur zögernd aufschließt.

    Mathilda erfährt sehr schnell, welcher Tätigkeit Léon nachgeht. Sie sagt ihm, er solle ihr helfen, sich an den Mördern ihres vierjährigen Bruders zu rächen. Léon passt das gar nicht. Zeit seines Lebens hat er allein gearbeitet. Was soll er jetzt mit einem jungen Ding anfangen? Sie würde nur seine Arbeit und seine Deckung gefährden. Mathilda lässt nicht locker. Sie merkt, das Léon nicht schreiben kann. So handeln beide einen Deal aus: Léon bringt Mathilda den Umgang mit Waffen bei, zeigt ihr, mit welchen Tricks man an einen „Kunden“ herankommt, ohne sich selbst unnötig zu gefährden; Mathilda putzt, kauft ein und bringt Léon Lesen und Schreiben bei. So gehen beide auf Tour – bis Mathilda eines Tages die Zeit gekommen sieht, sich an Stansfield zu rächen. Schwer bewaffnet geht sie in das Polizeipräsidium. Stansfield ist ein skrupelloser, psychotischer Cop, ein Killer in Staatsdiensten, aber nicht dumm. Er kann Mathilda in die Enge treiben und festnehmen. Wo ist León? ...

    „Es wird immer so sein“, antwortet Léon schon bei der ersten Begegnung mit Mathilda dem Mädchen auf die Frage, ob das Leben immer so hart sei, oder nur, wenn man Kind sei. Léon hat sich gepanzert. Er kennt keine Gefühle; die kann er nicht gebrauchen, weil er Profikiller ist. Und er ist Profikiller, weil er seine Gefühle weg gesperrt hat. Nur einer Topfpflanze, die er hegt und pflegt, überall mit hinnimmt, wenn er mal wieder umzieht, gilt seine Zuneigung, einer Pflanze, die genügsam ist, nichts sagt, nicht widerspricht. Mathilda ist durch die Umstände erzogen, in denen sie aufwächst. In gewisser Weise ist sie nicht mehr ganz Kind und noch nicht ganz erwachsen, eine frühreifes, intelligentes Mädchen, deren ganze Liebe ihrem kleinen Bruder galt, der nun tot ist.

    Eine unmögliche Situation. Irgendwie spürt Léon, dass er in Mathilda eine Art Mensch vor sich hat, an dessen Existenz er schon lange nicht mehr geglaubt hat. Mathilda ist geschickt und ehrlich zugleich. Wenn du mich bei Dir aufnimmst, was du ja getan hast, dann zeigst du, dass du etwas für mich empfindest. Wenn du mich jetzt wieder wegschickst, machst du das wieder zunichte – sagt sie zu Léon. Das leuchtet ein. Das ist keine emotionale Erpressung, sondern drückt die Logik der Gefühle aus, der sich Léon eigentlich nie wieder hingeben wollte. Mathilda stellt ihn vor die Wahl: Entweder er nimmt sie auf oder sie erschießt sich mit einer Pistole. Als sie die Waffe lädt, an den Kopf setzt, verhindert Léon in letzter Sekunde den Selbstmord. Léon ist seinen Gefühlen unterlegen, die er doch so perfekt weg gesperrt zu haben glaubte.

    Mit einer Schweine-Handpuppe bringt er Mathilda am Tag nach dem Massaker an ihrer Familie zum Lachen. Mathilda veranstaltet eine Verkleidungsshow: Léon soll Filmschauspieler raten. Sie verwickelt ihn in eine Wasserschlacht. Seit langen Jahren ist es Léon, der zum ersten Mal wieder lacht. Mathilda erschüttert Léons „Weltbild“. Ihn, der aus Liebeskummer zum Killer wurde, holt die Liebe wieder aus dem Alltagstrott des abgefeimten Killers. Er macht seine Arbeit weiter, weist Mathilda in diese Arbeit ein. Aber eines Tages taucht er verwundet nach einem Auftrag wieder zu Hause auf. Mathilda sagt an einer Stelle zu Léon, sie sei schon erwachsen. Léon antwortet: „Du bist erwachsen und wirst nur noch älter; ich bin alt genug und muss erst noch erwachsen werden.“ Das drückt die Situation und das Verhältnis beider sehr deutlich aus. Léon ist der kleine Junge geblieben, der in seinem tiefsten Innern von einem schönen Leben träumt. Mathilda erweckt ihn aus der Lethargie. Sie verliebt sich in Léon, sagt ihm dies auch, obwohl beide letztlich wissen, dass dies nicht die Liebe zwischen Mann und Frau sein kann. Es ist der Ansatz einer Liebe zwischen Vater und Tochter.

    León bittet Tony, sein Geld, dass der für ihn aufbewahrt, im Fall seines Todes Mathilda zu geben. Das ist der Ansatz für einen guten Vater. Mathilda fängt an, Léon zu gehorchen. Als er mit Tony über einen neuen Auftrag spricht, steht Mathilda vor der Tür und spricht mit einem jungen Mann. Léon springt auf, reißt das Mädchen zur Seite und verbietet ihr, zu rauchen und mit solchen Typen, die gefährlich sein könnten, zu sprechen. Mathilda antwortet: OK. Künftig hält sie sich fern, raucht aber ab und zu – das typische Bild einer pubertären Situation, in der Kinder lernen zu entscheiden, welche Verbote sie beachten und welche nicht. Das Gegenstück zu Mathilda und Léon ist der psychopathische Cop Stansfield. Schon in der Mordszene zu Anfang des Films ist kein Unterschied zwischen der Tätigkeit der Polizei und einem Killerkommando zu erkennen, auch in der Schlussszene nicht. Stansfield, der Pillen einwirft, um seine Leidenschaft zu töten noch zu steigern, ist die ständig präsente Gefahr für die beiden. Stansfield befindet sich im Zustand des permanenten Rauschs, der Mordlust. Er ist Drogenfahnder, weil er als Auftragskiller nicht diesen Rausch erleben könnte. Als krimineller Killer wäre er allein, als staatlich sanktionierter Cop kann er seinen Rausch in einer Art „sinfonischen“ Umgebung ausleben. Beethoven begleitet seine Mordzüge. Gary Oldman beweist in dieser Rolle einmal mehr seine Prädestination für solche psychopathischen Rollen. Jean Reno und Nathalie Portman waren eine ideale Besetzung für das „verhinderte“ Bonnie-and-Clyde-Paar. Nathalie Portman spielt eine ähnliche Rolle wie Jodie Foster in Taxi Driver. Besson untermalt die ständig gefährliche Situation mit der Musik von Eric Serra, die wie eine Art „Hintergrundrauschen“ dokumentiert, wie angespannt und manchmal dem Zerbersten nahe die Situation für Léon und Mathilda ist.

    Bessons Geschichte ist äußerst unwahrscheinlich. Aber in diesem Fall erzeugt diese Unwahrscheinlichkeit eine durchschlagende Wirkung. Gut und Böse geraten in diesem Film heftig durcheinander. Die Sympathien stehen eindeutig auf seiten eines Killers und des Mädchens und gegen den staatlich legitimierten Drogenfahnder. Besson klopft, manchmal leise, manchmal deutlich die Bedingungen ab, unter denen sich Zusammenhang zwischen zwei Menschen herstellen kann, auch wenn der Tod immer gegenwärtig ist. Der Tod steht auch am Ende des Films, aber auch der Trost und die Liebe.

     

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