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    Go
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Go
    Von Martina Moeller

    Ein atemberaubender Genremix aus Japan: „Go“! Schon nach den ersten aufregenden Minuten des Films weiß man nicht, wo man sich befindet. Ist es ein Videoclip, eine moderne Kampfsportfilmadaption, ein Revoltefilm oder soll es tatsächlich ein Liebesfilm sein, wie der junge Held Sugihara (Yosuke Kubozuka) immer wieder aus dem Off erklärt? Eins ist jedenfalls sicher: „Go“ sprengt alle Grenzen und setzt die altbekannten Elemente neu zusammen.

    Isao Yukisada hat mit seinem Film ein heißes Eisen der japanischen Minderheitenproblematik angefasst. Sugihara ist ein Ausgestoßener unter der japanischen Minderheit der Koreaner, sein Schimpfname lautet Zainachi. Aber der Regisseur erklärt nicht die komplizierten Hintergründe des problematischen Verhältnisses zwischen Japan und Korea - geprägt durch die japanische Besatzung von 1910 bis 1945; er nimmt mit absoluter Direktheit seinen Protagonisten Sugihara ins Visier und macht ihn zum Symbol für den Kampf gegen eingespielte Verhältnisse: Sugihara schlägt um sich, läuft Amok, wütet gegen alle und wird Ausdruck der erduldeten Erniedrigungen seines Volkes, das in Japan keine Anerkennung erhält und dessen Unterdrückung selbst ein gesellschaftliches Tabu ist. Nach dieser rasanten Exposition rast der Film weiter mit Tempo und nimmt hier und dort Einhalt, um zu deklarieren, man sähe eigentlich einen Liebesfilm. Neben der Minderheitenthematik zeigt Isao Yukisada die alltäglichen Probleme der japanischen Jugend, die im Kreuzfeuer von patriarchaler Gewalt und Autorität mit der Inhaltslosigkeit des kapitalistischen Japans konfrontiert ist und ihrem Zorn durch sinnlose Mutproben Luft macht. So erhalten die Bilder eine erstaunliche Dualität der Dichte, die durch schnelle Schnitte, originelle Kameraperspektiven, nicht lineare Erzählweise und dröhnende Rockmusik, das Drama der Adoleszenz andeuten und im Innehalten, in der plötzlich kontrastiven Langsamkeit die wahre Sehnsucht nach Innerlichkeit widerspiegeln. Als die Liebe ins Spiel kommt, schlägt der Film eine andere Gangart an und verlässt das MTV-Musik-Clip-Genre.

    Sugihara verliebt sich eine junge Japanerin und plötzlich wird seine südkoreanische Identität zum Makel. Er findet nicht den Mut, Sakurai (Kou Shibasaki) die Wahrheit über seine Herkunft mitzuteilen. Durch seinen Vater, einen ehemals berühmten Boxer, lernte Sugihara von klein auf sich einen Platz zu erkämpfen und bedient sich seiner Selbstverteidigungskünste, wann immer er sie braucht. Gewalt und Gegengewalt erscheinen in der autoritären, patriarchalen Welt seines Vater, der nordkoreanischen Schule und der repressiven japanischen Gesellschaft, der einzige Weg respektiert zu werden. Kontrastive zu diesem ästhetisierten Gewaltprogramm wird die Liebesgeschichte von Sugihara und Sakurai entwickelt. Die beiden nähern sich einander mit größtem Respekt und Vorsichtigkeit an, so etwas hat man schon lange im Kino nicht mehr gesehen.

    Die Langsamkeit ihres sich gegenseitig Zuwendens wird auch von angemessenen und respektvollen Bildern getragen. Hier geht es nicht um langweilige Sexszenen, die beschreiben sollen, dass zwei Menschen Gefühle füreinander entwickeln, sondern um das sich Annähern und gegenseitige Einfühlen. Als Sugiharas bester Freund ermordet wird, beschließt er, Sakurai zu sagen, dass er kein Japaner ist. Sie ist über diese Wahrheitsbekundung, den Regeln ihrer Erziehung nach erschrocken und verstört, sodass aus der geplanten Liebesnacht nichts wird. Sugihara geht und erkennt, dass er einen Schritt zu Erwachsenwerden unternommen hat. Wegrennen ist keine Lösung mehr und auch zwischen ihm und seinem Vater kommt es zu einem Kräftemessen, das die Standpunkte der beiden unterschiedlichen Generation einander näher kommen lässt! Vater und Sohn leiden unter dem selben Dilemma, jedoch will Sugihara sich eine Perspektive des Aufbruchs der gesellschaftlichen Situation nicht nehmen lassen. Er geht auf die japanische Universität. Als man es schon nicht mehr erwartet, meldet sich Sakurai und die beiden Versöhnen sich. Plötzlich wird klar, dass wir es sind die den Begriffen Nationalität, Grenze, Patriotismus etc. eine Bedeutung zuweisen und auch nur wir dies durchbrechen können. Sakurai hat sich über die Vorurteile ihrer Eltern und ihrer Erziehung hin für ihre Gefühle entschieden!

    Ein Happy-End, das vielleicht ein bisschen zu sehr nach Hollywood schielt, das aber hervorragend in die Gesamtkomposition des Films passt. „Go“ ist bezüglich seiner formal und inhaltlich aufeinander abgestimmten Inszenierung ein wahrhaftes innovatives Meisterwerk, das von dem Beobachtungsreichtum, dem Gespür für Atmosphäre und einem unorthodoxen dramatischen Aufbaus des Regisseurs zeugt! Sicherlich können wir von Isao Yukisada noch einiges erwarten und dürfen uns auf kreative Überraschungen freuen.

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