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    Rom, offene Stadt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Rom, offene Stadt
    Von Ulrich Behrens

    „... aber es ist schwer, gut zu leben.“ (Don Pietro). „Der Film zeigt die historische Wahrheit überdreht. [...] Heute jedoch, in einer neuen europäischen Situation, müssen von einer öffentlichen Vorführung ‚völkerverhetzende’ Wirkungen befürchtet werden, die im Interesse einer allgemeinen, besonders einer europäischen Völkerverständigung, unbedingt zu vermeiden sind.“ (Aus der Begründung der FSK von 1950 zum Verbot der öffentlichen Aufführung des Films)

    „Roma, città aperta“ gilt nicht nur als ein Meisterwerk des italienischen Neorealismus bzw. dessen „Initialzündung“. Der Film ist ein Meisterwerk, auch wenn er auf manchen heutzutage vielleicht einen eher „antiken“ Eindruck machen könnte. Der „plastische Realismus“ des Dramas um die Zerschlagung einer römischen Widerstandsgruppe durch die nationalsozialistischen Machthaber 1944 verknüpft – nicht nur, weil er sich auf wahre Begebenheiten stützt – Realitätsbezug, Dramatisierung und unumwundene politische (wenn auch in keiner Weise parteipolitische) Klarheit in einer Weise, die den italienischen Neorealismus der 40er und 50er Jahre insgesamt prägte. Visconti hatte den Reigen dieser Filme 1942 mit „Ossessione“ eröffnet. Unter Mussolini gab es für die antifaschistischen Filmemacher trotz der schwierigen politischen Situation Möglichkeiten, ihre Anliegen zu verfolgen, anders als im „Dritten Reich“.

    Neorealismus bedeutete eine „harte“, d.h. frei von allen romantischen Gefühlsduseleien und abseits irgendeiner Beschönigung der Verhältnisse geprägte, visuelle und politische Antwort auf den Faschismus. Man drehte zumeist nicht im Studio, sondern auf der Straße, vielfach auch mit Laienschauspielern. Rossellini wollte mit „Roma, città aperta“ der Wirklichkeit so nahe wie möglich kommen. Neben Rossellini und Visconti gehörten Luigi Zampa, Federico Fellini und der Regisseur und Schauspieler Vittorio De Sica zu den Größen des Neorealismus, der durch den französischen „poetischen Realismus“, den Marxismus, aber auch etwa durch die Filme Eisensteins beeinflusst war.

    „Roma, città aperta“ erzählt die Geschichte einer italienischen Widerstandsgruppe in Rom 1944, das durch die deutschen Besatzungstruppen in gut ein Dutzend Bezirke aufgeteilt wurde, um den allenthalben vorhandenen Widerstand sowohl gegen die Deutschen, als auch gegen den italienischen Faschismus zu brechen. Der deutsche Major und Gestapo-Chef Bergmann (Harry Feist) jagt einen der Führer des antifaschistischen Widerstands, den als „Ingenieur“ titulierten Kommunisten Giorgio Manfredi (Marcello Pagliero), der sich bei der schwangeren Pina (gespielt von der unvergesslichen Anna Magnani), der Frau seines Freundes Francesco (Francesco Grandjaquet), meldet. Giorgio will Kontakt zu Don Pietro (Aldo Fabrizi) aufnehmen, den er für eine Geldübergabe an Widerstandskämpfer gewinnen will. Pater Don Pietro ist Pfarrer einer Kirche, arbeitet mit Jugendlichen und gegen die deutsche Besatzung.

    Für Bergmann gestaltet sich die Suche nach Manfredi schwierig. Doch er weiß von Marina Mari (Maria Michi), die als Revuegirl arbeitet, drogensüchtig ist und mit der Manfredi ein Verhältnis hat. Daher setzt Bergmann seine Bekannte Ingrid (Giovanna Galletti), die mit den Deutschen kollaboriert, auf Marina an. Ingrid versorgt Marina mit Drogen – und hofft auf Informationen über Manfredi.

    Während Don Pietro einen österreichischen Deserteur (Ákos Tolnay) bei sich versteckt, umstellen Gestapo und deutsche Soldaten den Wohnblock, in dem Pina und Francesco leben. Francesco wird wie viele andere verhaftet. Pina ist verzweifelt. Und dann kommt es zu einem tragischen Vorfall ...

    Rossellini zeichnet ein (realistisches) Rom, eine Stadt, in der die meisten Menschen nicht nur unter der Besatzung leiden, sondern auch hungern müssen. Italienische Polizisten sind von der Gestapo als Blockwarte in ihren Wohnbezirken eingesetzt, um Plünderer und Lebensmittelschmuggler ausfindig zu machen und zu verhaften. Die Menschen stehen Schlange vor den Lebensmittelgeschäften. Don Pietro holt die Kinder von der Straße, spielt mit ihnen Fußball und versucht zu helfen, wo es nur geht. Pina macht sich Sorgen um Francesco und vor allem um ihren Sohn aus einer früheren Ehe, Marcello (Vito Annichiarico), der sich mit anderen Jungen, wie sie meint, zu viel herumtreibt. Aber Marcello scheint erwachsener, als seine Mutter glaubt. Zusammen mit seinen Freunden plant er einen Anschlag auf die deutschen Besatzer.

    Rossellini – und sein (Mit-)Drehbuchautor Federico Fellini – lassen kein gutes Haar an dem Protagonisten der Besatzungsmacht, dem Gestapo-Chef Bergmann, der als ein nicht nur skrupelloser, sondern auch schmieriger, hinterhältiger und zynischer Folterknecht gezeigt wird – eine keineswegs fantasierte Darstellung.

    Anna Magnani spielt die schwangere Pina als eine Frau, die sich zunächst jedenfalls durch Verzweiflung und Angst nicht unterkriegen lässt. Doch schon bald verliert Marcello seine Mutter, als Francesco verhaftet wird und Pina, die dem Lkw mit den Verhafteten hinterher rennt, erschossen wird.

    Der hart an der Realität entlang inszenierte Film konzentriert sich aber nicht nur auf dieser Tragik des Geschehens, die sich zum Schluss noch grauenhaft zuspitzt. Ebenso spielen Verrat aus gekränkter Eitelkeit (bei Marina Mari) und politische Unbedarftheit und Desinteresse, gepaart mit Egoismus, etwa in der Rolle der Schwester Pinas, Lauretta (Carla Rovere), eine tragende Rolle bei der Schilderung der Ereignisse. Hinzu kommt, dass in den Rollen von Don Pietro und Giorgio Manfredi zwei Helden vorgestellt werden, deren ethische Integrität abseits übertriebener oder gar heroisierender dramaturgischer Mittel außer Frage steht.

    Rossellini bereitete, ohne es vielleicht zu ahnen, so etwas vor, wie den später von vielen politischen Kräften in Italien propagierten „historischen Kompromiss“ zwischen Katholiken und Kommunisten bzw. der Linken, zu dem es allerdings praktisch nie gekommen ist. Der Film visualisiert Lüge, Verrat, Gleichgültigkeit und Brutalität der deutschen Besatzer und des noch faschistisch beeinflussten Teils der italienischen Bevölkerung einerseits, stark humanistisch beeinflusste Katholiken, Kommunisten, Sozialisten andererseits und benennt damit – im Unterschied zu der Nachkriegssituation in Deutschland – bereits kurz bzw. nach Kriegsende die politischen Kräfte, auf die allein ein demokratisches Italien aufgebaut werden könne.

    „Roma, città aperta“ wurde 1950 von der FSK mit der anfangs auszugsweise zitierten Begründung in Deutschland verboten. Die Aufklärung über die Verbrechen der Deutschen, auch in Italien, widersprachen angeblich der europäischen Völkerverständigung – ein mehr als zynisches Argument. Auch als der Film endlich 1961 in der Bundesrepublik gezeigt werden durfte, verlangte die FSK einen Vorspann, in dem behauptet werden musste, der Film richte sich nicht gegen Deutsche und deutsche Soldaten. Auch durch die deutsche Synchronisation wurde versucht, die Aussagen des Films zu verfälschen. Aus dem Kommunisten Manfredi wurde ein Atheist bzw. Sozialist, aus den Deutschen, wie die Besatzer im Film benannt wurden, wurden „nur“ Nazis – so als ob es sich um eine Art Minderheit gehandelt hätte –, und die in der Originalfassung vorhandene Folterszene wurde geschnitten.

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