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    Science of Sleep - Anleitung zum Träumen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Science of Sleep - Anleitung zum Träumen
    Von Deike Stagge

    Der Name Michel Gondry wird bei den meisten Kinogängern zunächst keine Assoziationen auslösen. Der Film Vergiss mein nicht hingegen schon eher. Im Jahr 2004 galt der Film mit dem ätzenden deutschen Titel als einer der stärksten überhaupt und sorgte bei Kritikern und Zuschauern für Furore. Nun ist Regisseur Gondry zurück - mit einer neuen Vision und einem grandiosen Hauptdarsteller im Gepäck.

    Stephané (Gael Garcia Bernal) ist das Kind eines Mexikaners und einer Französin. Eigentlich lebt der junge Zeichner in Mexiko, aber seine Mutter (Miou-Miou) lockt ihn unter dem Vorwand eines attraktiven Jobs nach Paris. Der Job entpuppt sich als langweilige Tätigkeit, die den Künstler überhaupt nicht fordert. Kollege Guy (Alain Chabat) kümmert sich aber um Stephané und überredet ihn, vorerst zu bleiben. In die Nachbarwohnung zieht die junge Stepahnie (Charlotte Gainsbourg), an der der schüchterne Mann mit den begrenzten Französischkenntnissen sofort gefallen findet. Denn in Stephanie sieht er eine Verbundenheit zu Fantasie und fast kindlich anmutendem Spiel, dem er selbst seine ganze Freizeit widmet. Er taucht in eine Fantasiewelt ein, seine eigene TV-Show, in der er die Erlebnisse des realen Lebens einbindet und verarbeitet. Vor allem im Schlaf verdaut sein unterbewusstes Ich die Realität.

    Diese Traumwelt, die seinen Vorstellungen und seinen Wünschen nach Erfolg, Anerkennung und Liebe gehorcht, greift zunehmend auf seine wache Persönlichkeit über. Stephané kann nicht mehr zwischen Fantasie und Wirklichkeit unterscheiden. Das stellt seine Beziehung zu Stephanie auf eine harte Belastungsprobe, denn die junge Französin kann sein Verhalten nicht mehr verstehen. Kollege Guy wird immer mehr zum Anker und auch Stephanés Mutter bemüht sich sehr um ihren Sohn. Aber um seine Liebste zu gewinnen, muss der junge Künstler sich selbst unter Kontrolle bekommen…

    Das Thema Liebe steht bei Michel Gondry wieder ganz groß im Vordergrund. Diesmal verzichtete der Franzose, der auch bei Human Nature Regie führte, auf die Zusammenarbeit mit dem Drehbuch-Genie Charlie Kaufman, dessen unglaubliches Talent bei Vergiss mein nicht voll in Erscheinung trat, und arbeitete selbst harte acht Jahre an dem Stoff. Ergänzt wird diese Geschichte durch das Motiv der parallelen Fantasiewelt. Er wollte das Thema Traum und Unterbewusstsein bearbeiten, sagt der französische Regisseur: „Träume verbinden alle Menschen, jeder hat sie. Ich habe als Kind selbst viele Träume gehabt, die mich ängstigten oder nach dem Aufwachen beschäftigten, da dachte ich, dann kann ich doch wenigstens damit etwas Geld verdienen.“ Im Vergleich zu seinem letzten Film Vergiss mein nicht, in dem der Protagonist aus dem Traum heraus für seine Realität kämpfte, geht Gondry in Sachen Irrealismus und Vision noch einen Schritt weiter und lässt die Figur Stephané beide Ebenen zunehmend vermischen. Die Inszenierung dieser Visionen ist von einem fantastischen, aber sehr abgehobenen Stil gekennzeichnet. Genau diesen Schritt wird ein Teil des Publikums nicht mitmachen wollen, denn man muss sich komplett dem Regisseur und seiner surrealen Inszenierung anvertrauen, um den Film zu genießen. Viele Traumerscheinungen sind nur für „echte“ Fans noch nachvollziehbar und wirken daher zu abgehoben. Im Vergleich zum ansprechenden Mix zwischen Traum und Realität von Vergiss mein nicht werden einige Zuschauer in Anbetracht des surrealen Stils und des Übergewichtes der Traumwelt eher abschalten als jubeln.

    „The Science Of Sleep“ zeichnet sich aber durch viele kleine Ideen gegenüber dem Mainstream aus. Diesen Einfallsreichtum kennt man von Michel Gondry. So versüßt Stephané seiner Angebeteten mit vielen kleinen Erfindungen den Alltag, die auch ein breites Lächeln auf die Lippen des Zuschauers zaubern. Die Traumsequenzen werden als TV-Show mit vielen spitzfindigen Ideen eingeleitet. Dramaturgische Feinheiten ergänzen dieses Bild und verleihen „The Science Of Sleep“ einen außergewöhnlichen Rhythmus zu seiner an Freud orientierten Aussage. Mit dem Mexikaner Gael Garcia Bernal hat Gondry auch den perfekten Darsteller gefunden. Der junge Mime, der in seiner kurzen Karriere bereits außergewöhnliche Leistungen wie die Verkörperung eines problembeladenen Transvestiten als Dreifach-Rolle in Pedro Almodovars La Mala Education oder die Verkörperung des legendären Che Guevaras in Die Reise des jungen Che vorweisen kann, legt auch hier einen grandiosen Auftritt hin. Er porträtiert nicht nur die kindliche Verspieltheit, sondern gerade die Verletzlichkeit und ihre Konsequenzen und legt das Gewicht auf die vielen experimentellen Ausdrucksformen, die er in den Traumsequenzen ausprobieren kann.

    Schon allein wegen seiner Performance ist „The Science Of Sleep“ sehenswert. Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass der Film sich sehr radikal ausdrückt und der surreale Stil der Traumsequenzen nicht hinterfragbar ist und einfach akzeptiert werden muss. Wer bereit ist, sich auf dieses Experiment einzulassen und seine Träume erforschen möchte, findet in diesem Film das geeignete Material dazu. Aber das Massenpublikum wird Michel Gondry mit dieser abgefahrenen Vision nicht überzeugen können.

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