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    Der Untergang
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Der Untergang
    Von Carsten Baumgardt

    Bernd Eichinger, ausgerechnet der letzte deutsche Filmtycoon, der bisher für groß angelegtes, erfolgreiches Popcorn-Kino stand, wagt sich an eine Thematik, um die sich seit Ende des Zweiten Weltkrieges kollektiv alle deutschen Filmemacher gedrückt haben: Die Schilderung der letzten Tage im dunkelsten Kapitel der deutscher Geschichte in einem abendfüllenden Spielfilm. Nach eigenem Drehbuch und mit Unterstützung von Regisseur Oliver Hirschbiegel gelingt Eichinger mit dem monumentalen Historien-Drama „Der Untergang" der wichtigste und bedeutendste deutsche Film seit Wolfgang Petersens „Das Boot". Mit einem grandios aufgelegten All-Star-Ensemble bebildert das Werk die letzten zwölf Tage der nationalsozialistischen Herrschaft und deren Untergang. In präzisen, aufrüttelnden und eiskalten Bildern wird ein Stück Geschichte für eine breite Masse greifbar gemacht.

    „Der Untergang" beschreibt lediglich die Zeit vom 20. April 1945, Adolf Hitlers 56. Geburtstag, bis zum 2. Mai 1945. Der Führer (Bruno Ganz) hat sich seit Wochen in seinem Bunker unter der Reichskanzlei verschanzt. Der Zweite Weltkrieg ist praktisch verloren. Die russischen Truppen stehen bereits vor den Toren Berlins. Mit einigen Generälen und Vertrauten hofft Hitler auf die große Wende, die nicht kommen wird. Während die Lage in der Stadt immer verheerender wird, nimmt der Diktator keinerlei Rücksicht auf eigene Verluste. Einige seiner treuesten Untergebenen warnen vor dem Untergang, haben aber nicht den Mut, den Führer zu stoppen. Obwohl das Dritte Reich zerfällt, ist seine uneingeschränkte Macht nicht gebrochen...

    Die spannende Frage, die sich vor diesem 13,5 Millionen Euro schweren Großprojekt stellte, war eindeutig: Darf so etwas gezeigt werden? Die Antwort gibt der Film. Es darf. „Man muss in der Lage sein, auch die eigene Geschichte zu betrachten", meint Produzent und Drehbuchautor Bernd Eichinger. Den Ausschlag und die Vorlage für dieses Mammutwerk gab Joachim Fests Buch „Der Untergang", das sich auf die Berichte und Erinnerungen von Hitlers Sekretärin Traudl Junge stützt. In Vor- und Abspann kommt die echte Traudl Junge zu Wort. Diese Bilder sind Andre Hellers „Im toten Winkel" entnommen. Das war für Eichinger der dramaturgische Schlüssel, wie er selbst sagt. Durch diesen Kniff, die letzten Tage des Regimes aus den Augen der naiven Sekretärin zu zeigen, hat „Der Untergang" einen roten Faden, der das Publikum durch den Schrecken geleitet. Das Skript selbst ist mutig, da es mit so ziemlich allen Grundregeln des klassischen Drehbuchschreibens bricht. Es gibt keine Protagonisten, keine Sympathieträger - die von Alexandra Maria Lara („Nackt") mit großen, naiven Augen gespielte Traudl Junge kommt dem noch am nächsten, aber auch sie ist keineswegs unschuldig. Sie stand bis zuletzt an der Seite des Führers und ist seinem Charisma ebenso erlegen wie das deutsche Volk. „Der Untergang" enthält keine großen Plot-Punkte, an der die Dramaturgie aufgehängt wird. Es werden keine Emotionen durch filmische Mittel erzeugt. Ein Höchstmaß an Authentizität war die Intension von Hirschbiegel („Das Experiment") und Eichinger („Das Geisterhaus", „Das Boot"). Dieses Vorhaben setzen sie herausragend in die Tat um. Die zweite brillante Idee besteht darin, die komplette Nazizeit in zwölf Tagen zu komprimieren. Rückblenden gibt es keine, alles ergibt sich aus den detailgenau rekonstruierten, messerscharfen Dialogen, die bis auf wenige Ausnahmen alle geschichtlich verbürgt sind.

    Für die Besetzung stand das Who is who des deutschen Films zur Verfügung. Jeder wollte dabei sein und sei es in einer noch so kleinen Rolle. Die Frage nach dem Hitler-Darsteller war schnell geklärt, der Schweizer Bruno Ganz („Himmel über Berlin", „Brot und Tulpen", „Nosferatu - Das Phantom der Nacht") die erste Wahl. Nach kurzem Überlegen, ob er sich die Aufgabe zutraut, willigte er ein. Seine optische Transformation in Hitler ist perfekt. Er eignete sich den Sprach-Duktus - den öffentlichen wie privaten - an und liefert eine der außergewöhnlichsten Schauspielleistungen der letzten Zeit. Der Grat, auf dem er meisterhaft wandert, ist sehr, sehr schmal. Ganz gibt seinen Hitler nicht als Dämonen, als Monster oder Bestie, sondern viel differenzierter, präziser. Er karikiert, überzieht oder verharmlost ihn in keiner Sekunde, sondern gibt eine faszinierend vielschichtige Darstellung ab - von cholerischen Attacken bis hin zu fast schon fürsorglichen Momenten, die aber nicht in Verdacht kommen, verklärend zu wirken. Zwar heben Hirschbiegel und Eichinger nicht den Zeigefinger der Geschichte, aber für jeden denkfähigen Menschen ergibt sich aus dem Gesehenen ein klares Bild von Schrecken und Tod, den Hitler verbreitet hat. Er war zwar körperlich am Ende schwer gezeichnet, die linke Hand zitterte permanent, aber geistig hatte er sich kaum verändert. Er klammerte sich an jeden Strohhalm, das Blatt noch zu wenden. Ob er wirklich daran glaubte, ist zu bezweifeln, seine Macht wollte er jedoch nicht abgeben – bis zum Ende. Dieses Ende mit dem Doppelselbstmord zeigt Hirschbiegel nur hinter verschlossener Tür, weil nie wirklich geklärt werden konnte, wie sich Hitler und seine Ehefrau Eva Braun (Juliane Köhler) umgebracht haben. Dazu gibt es widersprüchliche Aussagen.

    Neben Bruno Ganz glänzen vor allem die weiblichen Darsteller. Juliane Köhler („Nirgendwo in Afrika") spielt die fröhliche Lebefrau Eva Braun, die Hitler kurz vor ihrem gemeinsamen Ende heiratete, mit großer Präsenz. Sie war Hitler einfach verfallen und folgte ihm bis in den Tod. Corinna Harfouch („Solo für Klarinette") gibt als herzlose Magda Goebbels, die als überzeugte Nationalsozialistin eigenhändig in einer maßlos bedrückenden Sequenz ihre sechs Kinder umbringt, mit präziser Schärfe das personifizierte Böse bzw. Fehlgeleitete. Alexandra Maria Lara kann gegen diese zwei starken Frauen nicht bestehen, ihr Spiel ist nicht ganz so differenziert, aber sie reizt ihre Mittel aus. Von der Herrenriege überragt in erster Linie Ulrich Matthes als Propagandaminister Joseph Goebbels. Mit steinerner Mine ist er Hitlers letzter Getreuer und weicht ihm nicht von der Seite. In kleineren, aber wichtigen Rollen sind noch Schwergewichte wie Heino Ferch („Comedian Harmonists") als Rüstungsminister Albert Speer, Ulrich Noethen („Das Sams") als SS-Führer Heinrich Himmler, Michael Mendl („14 Tage lebenslänglich") als Kampfkommandant Helmuth Weidling und Thomas Kretschmann („Der Pianist") als Hermann Fegelein, Generalleutnant der Waffen-SS, zu sehen. Das einzige moralische Gewissen des Films wird durch Christian Berkel („Das Experiment") als Professor Schenck verkörpert. Als Arzt kämpft er vergeblich gegen das Niedermetzeln des eigenen Volkes.

    Technisch ist „Der Untergang" auf internationalem Niveau. Der 250 Quadratmeter große Führerbunker, dieser „Betonsarg", wurde detailgenau rekonstruiert und bildet das Herzstück des Films. Die Szenen über der Erde sind nicht als Schlachtengemälde, was übrigens der größte Vorwurf an Sepp Vilsmaiers „Stalingrad" war, inszeniert. Nüchtern und erschütternd sind die in St. Petersburg gedrehten Kampfszenen, die den Schrecken vor allem durch Leichenteil-übersäte Kulissen erzielen. Die Russen treten bis auf die Schlussszenen als Masse auf. Die Schilderung hat nahezu dokumentarischen Charakter. Bei der Lichtsetzung verzichteten die Filmemacher weitgehend auf zusätzliche Quellen, um weitere Glaubwürdigkeit zu gewinnen und die Atmosphäre besser zu transportieren.

    Was leistet „Der Untergang"? Der Film ist zum Glück kein großes Unterhaltungskino à la Hollywood. Es geht darum, die letzten Stunden des NS-Regimes messerscharf zu rekonstruieren - gegen das Vergessen ankämpfend, die eigene Geschichte aufzuarbeiten. Er schildert das nackte Grauen, das beinahe den Untergang der deutschen Kultur bedeutet hätte. Daran wollen die Filmemacher erinnern. „Der Untergang" dokumentiert, wie es dazu kommen konnte, dass Hitler diesen fanatischen Gehorsam von seinem Volk und seinen Gefolgsleuten bekam. Deshalb ist der Film so wichtig für die Deutschen – und dabei emotional eiskalt, es kommt kein Mitleid mit dem Schicksal der Charaktere auf. Und wenn dies so wäre, hätten Hirschbiegel und Eichinger etwas falsch gemacht. Doch das haben sie keineswegs. Sie haben den Wochenschau-Inszenierungen der Nazis ihre eigene Interpretation entgegengestellt und dem Grauen ein reales, greifbares, schreckliches Gesicht gegeben.

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