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    Reconstruction
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Reconstruction
    Von Carsten Baumgardt

    „Es ist nur Film, es ist alles konstruiert – aber es schmerzt trotzdem.“ Die sonore Stimme aus dem Off zeigt dem Zuschauer gleich am Anfang auf, was ihn bei Christoffer Boes surrealem Liebesdrama „Reconstruction” erwartet. Diese kleine dänisch-schwedische Co-Produktion provoziert zwangsläufig erbitterte Pro-und-Kontra-Diskussionen. „Reconstruction“ punktet durch seine wundervolle Bildsprache, gibt dem Publikum bei der Deutung des Gesehenen aber einige Rätsel auf, sodass sich unendlich viel Raum für Interpretationen bietet.

    „Reconstruction“ schildert 24 Stunden im Leben des Fotografen Alex (Nikolaj Lie Kaas). Der wird von seiner Freundin Simone (Maria Bonnevie) geliebt, verführt aber dennoch die hübsche Aimee (ebenfalls Bonnevie). Die wiederum ist mit dem älteren Schriftsteller August (Krister Henriksson) verheiratet, der sehr verletzt über ihre Affäre ist. Das heißt, ist er es wirklich? Oder inszeniert er nicht sogar ihr Treffen? Als Alex nach einer leidenschaftlichen Nacht nach Hause kommt, behaupten seine Familie und seine Freunde, ihn noch nie gesehen zu haben. Ein nicht enden wollender Albtraum beginnt. Oder ist Alex vielleicht nur eine Figur in Augusts neuem Roman? Das sonst so idyllische Kopenhagen, monochrom ausgewaschen zur graustichigen Stadtlandschaft, wird zum Spiegel von Alex’ düsteren Visionen.

    Bei den 56. Internationalen Filmfestspielen von Cannes erhielt „Reconstruction“ 2003 die „Caméra d’Or“ für den besten Debütfilm und den „Label Regard“ für den besten Spielfilm. Christoffer Boes Werk ist in seiner Konstruktion so komplex verwoben, dass der Filmemacher den Zuschauer auffordert, seine eigenen Schlüsse über den Inhalt zu ziehen. Wer sich diesem Ansatz widersetzt, wird „Reconstruction“ sicherlich kopfschüttelnd oder gar fluchend verlassen. Dagegen war Christopher Nolans brillantes Thriller-Puzzle „Memento“ vergleichsweise einfach zu enträtseln. Schon eher schlägt „Reconstruction“ in die Richtung von David Lynchs faszinierender, aber im Endeffekt nicht zu lösender filmischer Kopfnuss „Mulholland Drive“.

    Den Aspekt der Sinnzusammensetzung rigoros außer Acht gelassen, funktioniert und begeistert Boes Film vor allem über seine berauschende Bildsprache. Die Anziehungskraft zwischen den beiden Hauptfiguren Alex und Aimee ist in jeder Einstellung spürbar. Dazu passend präsentiert Kameramann Manuel Alberto Claro faszinierende Aufnahmen, die von dem atmosphärischen Score unterstrichen werden. Das Beste ist es, sich dieser Stimmung hinzugeben. Das verhindert allerdings nicht, dass der Zuschauer zwangsläufig permanent versucht, das filmische Puzzle zusammen zu setzen. Ob es eine universelle Lösung gibt, ist zweifelhaft. Zunächst bieten sich einmal drei mögliche Deutungen an. Vielleicht spielt sich die irrationale Handlung nur in Alex’ Kopf ab. Oder aber der Plot deckt sich mit dem, den Schriftsteller August im Film für sein neues Buch konstruiert. Alles möglich, aber die populärste Interpretation widmet sich mehr einem philosophischen Ansatz. Wenn Alex sich wie von Simone gefordert, ganz der Liebe hingibt, kann dies soweit gehen, dass er darüber komplett die Kontrolle über seine Identität verliert. Das ist reichlich surreal, aber Christoffer Boe hat einen Heidenspaß daran, sein Publikum rätseln zu lassen.

    Neben der exzellenten Photographie und dem stimmungsvollen Score glänzen Dänemarks Jungstar Nikolaj Lie Kaas („Green Butchers“, „In China essen sie Hunde“) und die in Norwegen aufgewachsene Schwedin Maria Bonnevie, die in einer Doppelrolle als Aimee und Simone eine mysteriöse Aura ausstrahlt. Auch Nicolas Bro („Green Butchers“) und Krister Henriksson überzeugen in ihren kleinen Rollen.

    Die Frage, ob „Reconstruction“ den Zuschauer nun in Verzückung versetzt oder einfach ratlos im Kinosaal zurücklässt, muss jeder mit sich selbst ausmachen. Interessant ist Boes Patchwork-Drama auf jeden Fall. Und der Film schreit gerade danach, mehrfach gesehen, analysiert und Stück für Stück enträtselt zu werden. Wer das auf sich nehmen will, wird mit „Reconstruction“ seine Freunde haben - wer nicht dazu bereit ist, bleibt besser gleich zuhause. Wie sagte Hauptdarsteller Nikolaj Lie Kaas in einem Interview noch so schön: „The film is not so much about the plot, and don’t try to make sense of it...“

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