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    Die Unglaublichen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Unglaublichen
    Von Jürgen Armbruster

    Betritt ein Besucher den gigantischen Bürokoplex von Pixar im kalifornischen Emeryville, wähnt er sich zunächst in einem Freizeitpark. Die Mitarbeiter fahren auf Skateboards durch die riesige Empfangshalle, sitzen in der Lobby Playstation spielend auf dem Sofa und klimpern auf der Gitarre. Keine Frage, der Firma geht es gut. Wirklich überraschend ist dies aber nicht. Die bisherigen Filme Pixars waren durch die Bank ein Inbegriff für durchschlagenden Kassenerfolg. Egal ob „Toy Story“ (weltweites Einspiel: 361 Millionen Dollar), „Das große Krabbeln“ (363 Millionen Dollar), „Toy Story 2“ (485 Millionen Dollar), „Die Monster AG“ (525 Millionen Dollar) oder zuletzt „Findet Nemo“ (864 Millionen Dollar). In der Summe überschreiten die Einnahmen das Bruttosozialprodukt eines Kleinstaats wie Liechtenstein! Da können den Mitarbeitern auch dererlei Freiheiten eingeräumt werden. Der Produktivität dürfte dies kaum schaden. Ganz im Gegenteil. Glücklichere Mitarbeiter – bessere Filme. So lautet hier offensichtlich die Devise. Doch die Jungs von Pixar treiben dieses Konzept auf die Spitze. Da lehnen sich John Lasseter und Andrew Stanton, die beiden großen kreativen Köpfe des Milliardenkonzerns, doch glatt in ihre Chefsessel zurück, rufen mit Brad Bird einen langjährigen Mitarbeiter zu sich und sagen ganz lapidar: „Du hattest uns doch von so einer coolen Superhelden-Idee erzählt. Mach da mal einen Film draus…“ So oder zumindest so ähnlich muss sich es ereignet haben, als Brad Bird den Auftrag erhielt, die Regie bei „Die Unglaublichen“ (OT: „The Incredibles“) zu übernehmen. Einem Filmkonzept, an dem er schon seit langem in seiner Freizeit herum tüftelte.

    Mr. Incredible ist Superheld aus Leidenschaft. Zum Workout stemmt er Eisenbahnwaggons, durchbricht Wände wie einen Fetzen Papier und wenn sich mal das Kätzchen einer alten Dame auf einen Baum verirrt, wird eben kurzerhand selbiger aus dem Erdreich gerupft. Der Mann hat Bärenkräfte, die er nur all zu gerne zum Wohl der Menschheit einsetzt. Ein Pfundskerl eben. Und obendrein wartet auch noch Elastigirl (der Name ist Programm) vor dem Traualter auf ihn. Herz, was willst Du mehr? Doch dann passiert etwas, mit dem eigentlich niemand rechnen konnte: Ein Mann stürzt sich von einem Hochhaus, möchte sich umbringen, unser Held fängt den Fall ab und wird daraufhin kurzerhand verklagt! Richtig gehört. Er wird verklagt, weil er nicht darum gebeten wurde, dem armen Kerl das Leben zu retten und sich dieser bei Mr. Incredibles Rettungsaktion das Kreuz verdreht hat. Und nun rollen die Mühlen der amerikanischen Justiz. Warum einen Schadensersatzprozess führen, wenn sich auch deren hundert führen lassen? Um die Superhelden zu schützen, ruft die amerikanische Regierung ein Superhelden-Schutzprogramm aus: Jedem Superhelden wird Immunität vor der Strafverfolgung gewährt, der fortan seinen Superhelden-Job an den Nagel hängt und mit seiner geheimen Identität ein „normales“ Leben führt.

    Jahre später: Mr. Incredible und Elastigirl leben mittlerweile in einem kleinen, unscheinbaren Häuschen unter den Namen Bob und Helen Parr. Er arbeitet für ein Versicherungsunternehmen und fährt einen Kleinwagen. Sie bleibt zuhause und kümmert sich um die drei Kinder. Normales Leben? Nun ja, dazu muss man wissen, dass auch die Kiddies die außergewöhnlichen Gene von Mami und Papi geerbt haben. Dash ist ein klitzekleines bisschen schneller als andere, Violet kann sich unsichtbar machen und ein schützendes Kraftfeld erzeugen und auch das kleine Baby besitzt eine besondere Fähigkeit, auf hier aber nicht eingegangen werden sollte. Unter diesen Vorraussetzungen versteht es sich von selbst, dass im Hause Parr immer Highlife angesagt ist. Damit nicht genug. Bob ist mit seinem Dasein als Versicherungsvertreter alles andere als zufrieden und vom stählernen Superhelden von einst ist auch nicht mehr viel übrig geblieben. Mittlerweile trägt Bob eine mächtige Wampe mit sich herum. Einmal in der Woche trifft er sich mit seinem alten Freund Frozone (er kann aus dem nichts Eis entstehen lassen). Die beiden schwelgen in Erinnerungen und schlagen sich die Nacht mir dem vereiteln kleinerer Verbrechen um die Ohren. Doch dann nimmt eine mysteriöse Geheimorganisation Kontakt zu Bob auf und so einiges ändert sich…

    Wenn nach den für ein Animationsabenteuer ungewöhnlich langen 115 Minuten der Abspann über die Leinwand flimmert, benötigt man als Zuschauer zunächst einige Zeit, um das Gesehene richtig einzuordnen. Die erste Erkenntnis stellt sich jedoch schnell ein: „Die Unglaublichen“ ist kein typischer Pixar-Film. Hier gibt es keine putzig-knuffigen Charaktere wie bei „Toy Story“ oder „Monster AG“. Eine ähnliche Hysterie wie seinerzeit bei „Nemo“ dürfte sich ebenfalls kaum einstellen. Und auch in Sachen Humor wird eine gänzlich andere Schiene gefahren. Hier herrscht weniger der von Pixar gewohnte, freche und doch kindliche Wortwitz vor. Irgendwie ist der Film anders, aber funktioniert für sich genommen doch prächtig.

    In erster Linie ist „Die Unglaublichen“ gleichermaßen eine Hommage als auch eine Parodie auf die großen Superhelden-Comics der vergangenen Jahrzehnte. Es gibt kaum ein Klischee, dass nicht aufgegriffen und auf originelle Weise weiter verarbeitet wird. Was Brad Bird und sein Team aus der Grundidee einer Superhelden-Familie herausholen, ist einfach herrlich amüsant. Einen Großteil seines Unterhaltungswerts zieht der Film aus den kleinen Reibereien der Charaktere untereinander. Dass sich Bruder und Schwester im Kindesalter immer wieder mal in den Haaren liegen, ist ja normal. Doch wie diese Streitereien zwischen zwei Kiddies mit Superkräften ausgetragen werden, ist neu und tierisch komisch. Warum ist auf diese Idee vorher eigentlich noch niemand gekommen? Auch die Konflikte zwischen Männlein und Weiblein sorgen immer wieder für Erheiterung. In einer Szene verwüstet ein gigantisches Ungetüm die Stadt und Frozone sucht verzweifelt sein Superheldenkostüm. Es stellt sich heraus, dass sich dieses bei seiner Frau befindet. Doch diese will es nicht rausrücken, bevor er ihr nicht sagt, wozu er es denn braucht. Einfach herrlich, wie selbst Superhelden ihren Frauen ausgeliefert sein können. Das macht Mut! Selbst Mr. Incredible, der Held des Films, steht aber so richtig unter dem Pantoffel von Elastigirl.

    In der zweiten Filmhälfte entwickelt sich „Die Unglaublichen“ zu einem reinrassigen Action-Abenteuer. Flugzeuge werden vom Himmel geholt, Raketen abgeschossen und Teile unserer Superheldenfamilie geraten in Gefangenschaft. Tempogelandene Verfolgungsjagden stehen genau so auf dem Programm wie das behutsame Schleichen durch feindliches Terrain. Und wenn sich doch mal ein Schurke in den Weg unserer Helden stellen sollte, bekommt der eben so richtig eins auf die Mütze. Selbst die anfänglichen recht schreckhaften Kinder Dash und Violet wachsen allmählich richtig über sich hinaus. Da kann einem Oberschurke Syndrome fast Leid tun.

    Technisch bewegt sich, wie von Pixar gewohnt, alles auf allerhöchstem Niveau. Die einzelnen Figuren sind von ihren Proportionen her so gestaltet, als entschlüpfen sie direkt einem Comicbuch. Hier war es den Machern offensichtlich wichtiger, sympathische Figuren mit Wiedererkennungswert zu gestalten, als sich an der Realität zu orientieren. Was erneut blendend gelungen ist, sind die Animationen und vor allem die Mimiken der einzelnen Figuren. Kaum zu glauben, dass ein am Computer erstellter Charakter dermaßen dumm aus der Wäsche gucken kann.

    Ein leidiges Thema ist und bleibt bei Animationsfilmen die Synchronisation. Es scheint sich zum Standard entwickelt zu haben, dass hier nicht auf professionelle Synchronsprecher gesetzt wird, sondern auf deutsche Schauspieler und Comedians. Frozone wurde im englischen Original von Samuel L. Jackson gesprochen. In der deutschen Fassung hat ihm Sat1-Allzwecksoftie Kai Pflaume seine Stimme geliehen. Na super. Das passt ja wie die Faust aufs Auge. Doch dies ist glücklicherweise der einzige richtig peinliche Ausrutscher. Wie immer gilt in solchen Fällen jedoch: Wer der englischen Sprache mächtig ist, sollte unbedingt den Originalton vorziehen.

    Immer wieder finden sich in „Die Unglaublichen“ versteckte Seitenhiebe auf andere Filme. Der Arbeitsplatz von Bob im Versicherungsunternehmen ähnelt beispielsweise frappierend dem vom Neo im ersten Teil der „Matrix“-Trilogie. Nun stellt sich natürlich die Frage, ob ein 10-jähriges Mädchen mit solcherlei Gags im Speziellen oder einer Superhelden-Persiflage im Allgemeinen überhaupt etwas anfangen kann. Nun ja, wahrscheinlich eher nicht, aber das Mädchen lacht dafür an anderen Stellen des Films. Dafür haben Bird und sein Team schon gesorgt. Die Filme aus dem Hause Pixar sind und bleiben Familienfilme. Das ist so und wird auch für immer so bleiben. Egal ob der Regisseur nun Lasseter, Stanton oder Bird heißt. Nur spricht „Die Unglaublichen“ mehr die ältere Generation an, als dies beispielsweise „Toy Story“ tat. Ganz besonders angesprochen fühlen dürfen sich jetzt natürlich all diejenigen, die in ihrer Kindheit Superhelden-Comics verschlungen haben und dies vielleicht immer noch tun…

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