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    American Splendor
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    American Splendor
    Von Claudia Holz

    Spider-Man, Hellboy, Catwoman. Das ist die eine Seite von Comic-Verfilmungen, die vor allem mit einer Menge Fantasy-Ideen, überdimensionalen Gegnern und durchaus zweigesichtigen, aber dennoch einfach gestrickten und deshalb sofort ins Herz zu schließenden Helden, das gemeine Kinovolk, mehr oder weniger erfolgreich, begeistern können. Und dann gibt es die andere Seite, Filme wie "American Splendor", die uns den Typus eines realistischsten, autobiografischen Comics näher bringen.

    Harvey Pekar, gespielt von Paul Giamatti, ist ein komplizierter und mega-zynischer Zeitgenosse, der in einem Krankenhaus als Verwaltungsangestellter arbeitet und in seiner Freizeit zu Hause in einem heruntergekommenen Apartment alte Bücher und Jazz-Platten sammelt. Der kleine, unordentliche, übergewichtige Mann nörgelt, mit einer Stimme wie aus Sandpapier, regelmäßig über alle möglichen Ungerechtigkeiten dieser Welt. Als er den Underground-Comic-Künstler Robert Crumb (James Urbaniak) kennen lernt, beschließt er, seiner schlechten Angewohnheit ein Ventil zu verschaffen und einen Comic zu schreiben. Er selbst ist die Hauptfigur und der ganz normale, alltägliche Wahnsinn sind seine Geschichten. Als er später Joyce Brabner (Hope Davis) kennen lernt, entdeckt er in ihr eine Seelenverwandte und Geliebte und gemeinsam bekennen sie sich aufrichtig zu ihren Fehlern, was die Beziehung zwar kompliziert, aber nicht weniger liebenswert macht (Harvey zu Joyce, als sie das erste Mal seine Wohnung betritt: "Ich hätte ja aufgeräumt, aber ich wollte dir nichts vormachen."). Dennoch bleibt die Beziehung zwischen den beiden gespannt, vor allem als Harvey mit seinem Comic "American Splendor" zu unverhofftem Ruhm gelangt und bei ihm Krebs diagnostiziert wird. Eine wahre Geschichte.

    "American Splendor", was übersetzt so etwas wie „amerikanische Pracht“ bedeutet, ist ein sowohl inhaltlich als auch formal recht ungewöhnlicher Film. Wie die gleichnamige, in Deutschland vollkommen unbekannte Comic-Reihe beschäftigt sich der Streifen ausnahmslos mit seinem Schöpfer Harvey Pekar, erzählt seine Lebensgeschichte von vorne bis hinten und zeigt somit, dass ganz normale Menschen und ihre Erlebnisse, mindestens genauso spannend sein können, wie industriell gefertigte Fantasy-Erzählungen. Das erfolgreiche Real-Life-Comic, das an sich schon eine komplexe Form aufweist, da einem als Leser der reale Spiegel mehr als bewusst gemacht wird, wurde auf interessante Art und Weise umgesetzt. Außer dem gespielten Harvey Pekar tritt nämlich auch der echte Pekar auf und untermalt in dokumentarischen Interviews sein Leben mit Rekapitulationen und mit Abstand betrachteten Gefühlen.

    Zwischendurch gibt es noch eine Ebene echter Comic-Strips, die dem Ganzen eine visuelle Struktur geben. Der Film geht an einer Stelle sogar so weit, dass er ein reales Interview mit David Letterman und Harvey Pekar in den 80ern und dieselbe Situation als nachgedrehte Szene mit Paul Giamatti vermischt. Den Höhepunkt an Spiegelbildern bildet allerdings eine Szene, in der Paul Giamatti und Hope Davis ein Theaterstück besuchen, das ebenfalls auf "Amercian Splendor" beruht. Auf der Bühne werden Harvey und Joyce von Donal Logue und Molly Shannon gespielt. Fassen wir also kurz zusammen: Ein autobiografisches Comic wird zu einem Theaterstück, in einem Film, der manchmal dokumentarisch, manchmal inszeniert, ein autobiografisches Comic erzählt. Kein Wunder, dass der Untertitel des Films und das Motto Harvey Pekars lautet: Das Leben ist ziemlich kompliziert.

    Auf dem Sundance Festival 2003 gewann "American Splendor" den großen Preis der Jury und 2004 wurde das Drehbuch, welches die beiden Regisseure Shari Springer Berman und Robert Pulcini selbst geschrieben haben, für einen Oscar nominiert. Das Script beruht übrigens genau genommen auf zwei Comics. Nämlich dem von Pekar und dem Comic "Our Cancer Years" (Unsere Jahre mit dem Krebs) von Joyce Brabner. Zu Recht erreichte der Film bereits in den USA ein großes Indie-Publikum (Einspiel: 6 Mio Dollar) und sehr viel Zuspruch, denn "American Splendor" ist ein post-modernes Goldstück und vor allem den Schauspielern gebührt Lob.

    Paul Giamatti - bekannt aus Filmen wie "Der Mondmann", Paycheck oder dem eher unbekannten, aber absolut sehenswerten "Traumpaare" an der Seite von Gwyneth Paltrow und Huey Lewis -

    der sonst für die abgehalfterten Nebenrollen reserviert ist, kann hier zeigen, was er drauf hat. Sein Portrait des Comic-Sonderlings ist intelligent, witzig und genau auf den Punkt. Zu keiner Minute steht zur Debatte, ob der echte Pekar und Paul Giamatti als seine Impression, ein und derselben Person sind. Das kauft man nämlich einfach blind. Auch Hope Davis weiß zu überzeugen und schafft es, dass Joyce, die mitunter zur Hypochondrie neigt und gerne ihren Mitmenschen mögliche Psychosen andichtet, keine Pappfigur bleibt. Diverse Nebenfiguren machen "American Splendor" zu einem Potpourri aus interessanten Charakteren und man schaut deshalb gerne zu, weil man sich in mindestens einem dieser Menschen, freiwillig oder nicht, hundertprozentig wieder erkennen kann.

    Bei "American Splendor" darf gelacht werden, doch niemals wird für einen plumpen Witz die Großmutter verkauft, denn dies ist kein einfacher Film und auf gar keinen Fall die geschönte Kost, die man sonst so freitags abends im Kino vorgesetzt bekommt. Allerdings fällt die zweite Hälfte des Films ein bisschen ab, da viel zu viele wichtige Themen verwurstet wurden, dennoch lässt sich "American Splendor" durchaus für jedermann empfehlen. Denn genau darum geht es: um den Jedermann in uns. Vielleicht ist Harvey Pekar ein Freak und auf den ersten Blick alles andere als leicht zu durchschauen, aber schlussendlich steckt er wohl in uns allen. Also warum nicht mal einen Blick in den Spiegel riskieren?

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