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    Birth
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Birth
    Von Claudia Holz

    An einem nebligen Tag, an dem man den Nieselregen fast schmecken kann, stirbt ohne Vorwarnung ein Jogger in einem Park. Zeitgleich wird ein Baby geboren. Schnitt. Zehn Jahre später steht auf der Titeltafel und Clara (Anne Heche) und Clifford (Peter Stormare) sind auf eine Party eingeladen. Im Fahrstuhl eines Wohnhauses der gehobenen Klasse irgendwo in New York entschuldigt sich Clara noch schnell. Sie hat das Band für das Geschenk vergessen. Clifford fährt allein hoch und Clara bleibt verwirrt, verloren und mit einem Geheimnis in der Lobby sitzen. In der Wohnung lässt Joseph (Danny Huston) verlauten, dass Anna (Nicole Kidman) nach neun Jahren Bitten und Betteln, endlich „Ja“ gesagt hat und seine Frau werden will. Wir vermuten mehr, als dass wir wissen, dass Anna die Witwe des Joggers im Park ist. Sein Name war Sean und sie hat ihn sehr geliebt. Am nächsten Tag sitzt die Familie - Annas Mutter (Lauren Bacall), ihre Schwester Laura (Alison Elliott), deren Mann Bob (Arliss Howard) und natürlich Danny und Anna – beim Lunch, als es plötzlich an der Tür klingelt. Das Hausmädchen öffnet und ein Junge (Cameron Bright), kaum älter als zehn Jahre, betritt die Wohnung. Er geht in das Esszimmer und verlangt nach Anna, die fragend von allen anderen am Tisch angestarrt wird. Sie nimmt das unbekannte Kind mit, in ein anderes Zimmer und der Junge spricht die Worte, die Annas Leben von da an, für immer verändern werden: „Ich bin Sean, dein Ehemann.“ Nun beginnt eine atmosphärische und kluge Geschichte, die vor allem auf Annas Glauben und der Hoffnung beruht, dass dieser Junge wirklich die Reinkarnation ihres verstorbenen Mannes sein könnte.

    Was das absurde Aufeinandertreffen von Sean und Anna in ihrem Leben verändern wird, das erzählt der Brite Jonathan Glazer auf beeindruckende und vor allem beklemmende Weise. Mit seinem Debüt „Sexy Beast“ katapultierte sich der 38-Jährige auf die Weltkarte vielversprechender Regietalente. Doch, wo sich bei dem Krimidrama mit Comedy-Elementen von 2000 (Ben Kingsley ist ein brutaler Gangster, der den, bereits in Rente gegangenen, Safeknacker Gal für einen letzten Job rekrutiert) Glazers Werbeclipvergangenheit nicht leugnen ließ, zieht dieser in „Birth“ vollkommen andere Saiten auf und beweist, dass von ihm stilistisch und auch inhaltlich, noch einiges mehr zu erwarten ist. „Birth“ ist ein langsamer und sehr behutsames Mystery-Drama und deshalb ist es eher unverständlich, warum Glazer bei der Premiere in Venedig ausgebuht wurde und sich Nicole Kidman öffentlich für angebliche Sexszenen mit einem Kind rechtfertigen musste.

    Sicherlich ist die Beziehung zwischen dem kleinen Sean und der erwachsenen Anna ein heikles Thema, doch gerade die beiden Szenen, die beim Publikum am meisten Verärgerung hervorgerufen haben (es gibt eine Szene in einer Badewanne sowie einen Kuss), wurden mit sehr viel Sensibilität und Fingerspitzengefühl angepackt und sind alles andere als geschmacklos - im Gegensatz zu den Vorwürfen einiger Journalisten. Vielmehr ruft die beklemmende Stimmung in diesen Szenen, die vor allem durch das reduzierte, erwachsene und geisterhafte Spiel des kleinen Cameron Bright erzeugt wird, ein Unwohlsein im Zuschauer hervor, das notwendig für das Verständnis des gesamten Films ist. Natürlich bewegt sich Glazer damit auf sehr dünnem Eis, doch vermutlich wurde die Atmosphäre, die er erzeugt, von vielen Zuschauern vorschnell und vielleicht sogar bewusst falsch gedeutet.

    Wie dem auch sei, es lässt sich nicht leugnen, dass „Birth“ einen angenehm bedrohlichen Sog auf einen ausübt. Bereits die erste Szene, in der man den Jogger im Park für lange Zeit beobachten darf, zieht einen hinein und macht klar, dass dies ein Film mit eigenen Regeln ist. Dabei fühlt sich der Zuschauer nie verloren und schließlich schafft es Glazer sogar, fast alle losen Enden zusammenzuführen. Zunächst ist es trotz des ganzen Trubels um Anna und Sean fraglich, welche Rolle Clara und Clifford vom Anfang spielen? Doch ruhig Blut, die Antwort wird geliefert.

    Neben dem wirklich interessanten Spiel von Cameron Bright, das vor allem deshalb so beängstigend ist, weil der Junge seine Behauptungen mit soviel Nachdruck und Ernsthaftigkeit vorträgt, kann auch Nicole Kidman glänzen. Ihre Reise in diesem Mystery-Drama ist der eigentliche Link zum Zuschauer. Sie nimmt einen an die Hand und man kann bei jedem Schritt, den sie macht, überprüfen, ob das auch der eigene gewesen wäre. Dabei hat sie keinen leichten Stand, denn ihre Figur ist alles andere als eindimensional. Zunächst zweifelt Anna vehement an den Behauptungen des kleinen Sean. Doch nach und nach wird klar, dass er kein psychisch kranker Teenager sein kann, denn er weiß Dinge, die nur der echte Sean gewusst haben kann. Dinge, die nur er und Anna gewusst haben können. Und Dinge, die kein Zehnjähriger wissen sollte. Nun wird Anna auf die Probe gestellt: Was, wenn es wahr wäre?

    Diese Entscheidung zeigt Glazer in einer einzigen Szene. Anna sitzt in einem Konzert und Glazer zeigt Kidmans Gesicht in einem Close-up für fast ganze zwei Minuten. In dieser endlosen Einstellungen offenbart sie ihr Innerstes und den Entschluss, den sie in diesen Minuten fassen wird. Auch die Nebenrollen sind großartig besetzt. Angefangen bei Danny Huston, der als Verlobter nur daneben stehen kann, lediglich zuschauen muss und schließlich feststellt, wie machtlos er einem Kind gegenüber geworden ist. Lauren Bacall als Annas Mutter ist ebenfalls wundervoll. Sie liefert den dringend benötigten Witz, in einer vertrackten und unheimlichen Situation, und hat dennoch ein paar Nagel-auf-den-Kopf-treffende One-Liner („Ich konnte Sean noch nie leiden.“ oder „Wie schmeckt unserem Mr. Reinkarnation sein Kuchen?“).

    Allerdings ist „Birth“ trotz Lob, alles andere als perfekt. Glazer arbeitet hart daran, aus allen Geheimnissen, die er spinnt, ein funktionierendes Ganzes zu machen, scheitert aber, wenn nicht schon früher, vor allem am Schluss. Ohne etwas vorweg zu nehmen, verleugnet das Ende leider die Prämisse des Films und auch des Stils und lässt nur wenig übrig, von der dreisten Behauptung zu Beginn. Allerdings muss man auch zugeben, dass „Birth“ kein einfacher Sack war, den Glazer zubinden wollte und somit ist das auch zu verzeihen. Mit ein paar Geheimnissen zu viel, die im letzten Drittel gelüftet werden (obwohl großartig ausgeführt – man kann es nicht oft genug betonen) und ein, zwei verheizten Schauspielern (ja, Peter Stormares Figur ist tatsächlich vollkommen überflüssig), ist „Birth“ trotzdem einer der interessantesten Filme dieser Saison. Nicht zuletzt wegen der intelligenten Informationsverteilung, die bereits in „Sexy Beast“ für Twists gesorgt hat, eines Themas, das längst überfällig war, gemacht zu werden und des Stils des Regisseurs, der sich durch alle Bereiche des Films hindurchzieht (Schauspieler, Kameraführung, Musik!), ist „Birth“ ein Film, der bestimmt nicht so schnell in Vergessenheit gerät.

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