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    Die Entdeckung des Himmels
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Die Entdeckung des Himmels
    Von Ulrich Behrens

    Harry Mulischs Roman aus dem Jahre 1993, vom dem 450.000 Exemplare verkauft worden sein sollen, galt bis vor kurzem als ein Buch, dass wegen seiner Komplexität, zahlreicher Exkurse und Abhandlungen innerhalb der Erzählung usw. nicht für die Leinwandadaption taugte. Mulisch selbst soll sich jahrelang gegen eine filmische Adaption gewehrt haben. Dann kam Jeroen Krabbé 1999 zu Mulisch, der mit dem Ergebnis des jetzt in Deutschland in die Kinos gekommenen Films zufrieden sein soll. 9,1 Mio. verschlang die Herstellung des Streifens, 600.000 Niederländer sollen den Film gesehen haben; auch die sollen größtenteils begeistert gewesen sein.

    Gott ist von der von ihm geschaffenen Menschheit enttäuscht. Er will den mit Moses geschlossenen Bund lösen und die Steintafeln mit den zehn Geboten zurückholen, die Erde also dem Teufel überlassen. Das ist allerdings – trotz der Allmacht des Herrn – nicht so einfach, wie es sich anhört. Um den Bund zu lösen, bedarf es eines Menschen, der die Tafeln übergibt. Um dies zu bewerkstelligen, wird ein Engel (Viv Weatherall) beauftragt – unter der Aufsicht des Engels Gabriel (Jeroen Krabbé) und den gestrengen Augen einer Art Oberengel (Maureen Lipman). Der Plan, den sich der junge Engel ausgedacht hat, ist äußerst kompliziert. Zwei Weltkriege mussten von himmlischer Seite vom Zaun gebrochen werden, um in den Niederlanden der späten 60er Jahre zwei skurrile Männer und eine junge schöne Frau aufeinander treffen zu lassen: den Politiker, angehenden Minister und Altphilologen Onno (Stephen Fry), der in seiner Freizeit die Aufschrift auf einem antiken Steindiskus entziffern will, ein schräger Vogel, der es nicht einmal fertigbringt, seine eigene Wäsche zu waschen, dafür – man könnte meinen: ausschließlich dafür – eine Freundin benötigt; – den Astronomen Max (Greg Wise), der durch ein Riesenteleskop im Norden des Landes das Geheimnis des Himmels hinter den Sternen endgültig erschließen will. Max Mutter war Jüdin und wurde von ihrem eigenen Mann an die Gestapo ausgeliefert. Sie wurde in Auschwitz ermordet, Max Vater als Kriegsverbrecher hingerichtet. Mit dieser Vergangenheit ist Max nie fertig geworden, daher wohl auch seine Berufswahl. Er will entschlüsseln, wie so etwas möglich war, was das für ein Himmel ist, der so etwas zuließ. Max kann keine feste Bindung eingehen; er hat eine Liebschaft nach der anderen; schließlich Ada, eine Cellistin, eine schöne Frau, die der Himmel mit Max und Onno in einer Bücherei zusammenführt.

    Beide Männer verlieben sich in Ada. Der besser aussehende und mit Anbändeln erfahrenere Max gewinnt Adas Liebe, doch Ada merkt sehr rasch, dass Max ihr etliches verheimlicht und sie nicht in sein Leben einweihen will. Sie wendet sich Onno zu. Als sie eine Einladung zum Konzert nach Kuba erhält, beschließt sie, die beiden Männer mitzunehmen. In Kuba schläft Ada in einer Nacht mit beiden Männern. Der Himmel hat dafür gesorgt, dass sie beide – trotz mancher Probleme – mehr mag, als das vielleicht sonst der Fall wäre. Kurz darauf ist Ada schwanger. Onno heiratet sie. Max weiß, dass das Kind auch von ihm sein könnte. Er bittet Ada abzutreiben, doch Ada will das Kind und ist erfreut darüber, dass ihr Kind zwei Väter haben könnte. Die Engel sorgen dafür, dass Ada nach einem Verkehrsunfall ins Koma fällt; das Kind wird mittels Kaiserschnitt zur Welt gebracht. Ein Junge, dem Onno den Namen Quinten gibt.

    Jahre später: Quinten ist von Anfang an ein einsames Kind mit dem Hang zur Philosophie und der anderen verborgenen Fähigkeit zu Übersinnlichem. Er kann mit der immer noch im Koma liegenden Mutter sprechen, er lernt von einem Nachbarn, alte Schlösser zu öffnen. Systematisch wird er von den Engeln in Situationen gebracht, die ihn auf den Weg zu den Steintafeln Moses führen sollen. Doch die Engel müssen immer mit dem freien Willen der Menschen rechnen. Und so passt Gabriel äußerst pedantisch darauf auf, dass jegliche Möglichkeit, Quinten vom rechten Weg zu den Tafeln abzubringen, zunichte gemacht wird. Um dies zu erreichen, schreckt er – gegen den Widerstand des jungen Engels – auch vor Mord nicht zurück. Inzwischen glaubt Max, das Geheimnis des Himmels hinter den Sternen entdeckt zu haben. Gefahr im Verzug für den Himmel: Die Engel schicken ihm einen glühenden Meteoriten. Auch in Onnos neuer Freundin Helga (Emma Fielding) sieht Gabriel eine ernste Gefahr. Er schickt ihr einen Autodieb mit Messer. Onno, der Verteidigungsminister werden soll, wird mit einem Bild von der Reise nach Kuba konfrontiert, auf dem er mit einer Maschinenpistole zu sehen ist. Die politische Karriere ist damit für ihn zu Ende. Er flieht vor seiner Vergangenheit nach Rom. Und Quinten sucht ihn dort auf – um seinen Vater zu finden und die Tafeln ...

    Ich habe den Roman von Harry Mulisch nicht gelesen und kann mir daher kein Urteil über diesen Bestseller erlauben. An einigen Stellen des Films kann man erahnen, um was es Mulisch geht. Er scheint – wie auch Krabbé in seinem Film deutlich werden lässt – die Menschen zu lieben und die Religion zu hassen. Allerdings – und ich beziehe das folgende nur auf den Film – ist bereits die Ausgangsposition der Geschichte etwas verworren. Im Himmel herrschen erbarmungslose, skrupellose Geschäftspraktiken und Konkurrenz. Dem jungen Engel, der sich am Schluss gegen den Himmel und für die Menschen entscheidet, droht bei Nichterfüllung seines Auftrags die Ausweisung auf die Erde und damit Sterblichkeit. Gabriel ist ein brutaler, gewissenloser Engel, der dem Gegenüber weiter unterhalb, dem Teufel, in nichts nachsteht. Der Himmel ist ein kaltes, düsteres Verlies mit verwinkelten Gängen, spartanischen Räumen und etlichen Treppen, die ins Nichts zu führen scheinen. (Die Atmosphäre, aber auch die Thematik des Films erinnern an Ecos „Der Name der Rose“.) Wenn aber der Himmel so garstig und höllisch ist – was unterscheidet ihn dann noch von der Hölle? Wenn der Himmel für die zwei Weltkriege verantwortlich ist, wozu regt sich dieser kaltblütige Gott dann über die Menschen auf?

    Nun gut. Stephen Fry und Greg Wise spielen in der ersten Hälfte des Films mehr oder weniger skurrile Personen, die durch Themen wie Philosophie und Physik, Politik und Kunst, Auschwitz und Kommunismus (Kuba) Ende der 60er Jahre spazieren, als wenn sie sich auf einem Einkaufsbummel befänden. In diesen Bummel durch Weltgeschichte und Weltphilosophie – die allerdings immer nur sehr kurz angeschnitten werden –, Alltag und Zeitgeist, Kultur und menschliche Schwächen hat Krabbé stellenweise humorvolle Szenen eingebaut, die diesen ersten Teil weitgehend zur Groteske machen, wobei immer wieder Eingriffe himmlischer Heerscharen das Leben der Handelnden beeinflussen. Onno und Max, die davon natürlich keine Ahnung haben, lassen sich durch Schicksalsschläge, das Koma Adas, Eifersucht und Niederlagen anderer Art jedoch nie unterkriegen. Hier liegt sicherlich eine wichtige Aussage des Films: dass Menschen in der Lage sind, trotz allmächtiger Eingriffe ihr Leben einigermaßen selbst zu bestimmen oder zumindest in den Griff zu bekommen.

    Doch die makabre Abrechnung mit Gott bzw. der christlichen Religion bleibt im zweiten Teil des Films auf der Strecke. Das beginnt schon mit der blassen, äußerst mageren Leistung von Neil Newbon als Quinten, der durch den Film hechelt wie ein Leistungssportler. Hinzu kommt, dass auch Stephen Fry ab dem Zeitpunkt, als er als Onno in Rom untertaucht, seine schauspielerischen Fähigkeiten verloren zu haben scheint. Fry wie Newbon erstarren zu Charaktermasken, die Handlung verkommt zu einer kriminalistischen Klein-Klein-Suche nach den Tafeln. Diese Suche hat nur noch mechanischen Charakter: eine Vermutung hier, eine Mosesfigur dort, ein paar Bilder von der Papstkapelle der Basilika San Giovanni und den Überbleibseln des jüdischen Tempels in Jerusalem, und das war’s dann. Der Schluss des Films steigert sich zu pathetischen Höhen und die ursprünglich Intention wird durch hastige und oberflächliche Spielereien zerstört. Alles in allem war „Die Entdeckung des Himmels“ für mich eine Enttäuschung. Das spricht nicht gegen Mulischs Buch. Der Film aber – immerhin gute zwei Stunden lang – führt nach einem insgesamt ganz guten ersten Teil in der zweiten Hälfte in eine Sackgasse: Man weiß nicht mehr als zu Anfang, ist nicht weiser als vorher, und der Schlussakkord des „Abstiegs“ des jungen Engels auf Erden verblasst als kitschig angesichts dessen, was man die letzte Stunde vorher präsentiert bekam.

    (Zuerst erschienen bei CIAO)

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