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    München
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    München
    Von Björn Helbig

    Steven Spielberg gehört nicht nur zu den besten, sondern auch zu den produktivsten und vielseitigsten Filmemachern. Ihm gelang nicht nur, in den verschiedensten Genres vertreten zu sein, vielmehr ist er oftmals der Begründer unterschiedlicher filmischer Richtungen. Spannung, Lachen, Gruseln, Weinen – Spielberg beherrscht alle Facetten der Kinounterhaltung. Doch er ist nicht nur ein Meister des fantasievollen und warmherzigen Entertainments. Er ist ebenfalls ein Könner, wenn es um die sensible Bearbeitung ernster Themen geht, wie Schindlers Liste oder Der Soldat James Ryan eindrucksvoll zeigen. Ausgangspunkt für sein Terror-Drama „München“ ist kein weniger heikles Thema: Das Attentat während der 20. Olympischen Sommerspiele, welches heute als Schlüsselmoment des internationalen Terrorismus gilt und viele Gewalttaten nach sich zog.

    Zum Hintergrund: Im September 1972, der zweiten Woche der Olympischen Spiele, welche unter dem Motto „Spiele des Friedens und der Freude“ in München ausgetragen wurden, drangen palästinensische Extremisten in das kaum bewachte Olympische Dorf ein. Sie erschossen zwei Mitglieder der israelischen Olympia-Mannschaft und nahmen neun weitere als Geiseln. Die Gruppe der Extremisten, die sich „Schwarzer September“ nannte, forderte die Freilassung von 232 Palästinensern aus israelischen Gefängnissen, ebenso wie die Freilassung der deutschen Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Die israelische Regierung machte klar, dass mit Terroristen nicht verhandelt wird; die deutschen Behörden lehnten das israelische Angebot, die Geiseln von einem israelischen Antiterrorkommando befreien zu lassen, ab. Auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck, zu dem die Geiselnehmer samt ihren Geiseln nach Scheinverhandlungen ausgeflogen worden waren, kam es dann zum Massaker, als schlecht ausgebildete deutsche Scharfschützen einen wenig koordinierten Befreiungsversuch starteten. Dabei kamen alle Geiseln sowie alle bis auf drei Mitglieder der Gruppe „Schwarzer September“ ums Leben.

    Diese tatsächlichen Ereignisse (in Spielbergs Film mitunter mit Originalfilmmaterial bebildert) nehmen nur einen Bruchteil der Spielzeit von „München“ ein. Die Handlung des Films ist in großen Teilen inspiriert durch das Buch „Vengeance“ von dem ungarischen Journalisten George Jonas (dessen Wahrheitsgehalt allerdings umstritten ist). Film wie Buch schildern die Racheakte Israels. Nachdem am 29. Oktober 1972 die sich in deutschem Gewahrsam befindlichen Gefangenen des Olympia-Attentats nach der Entführung eines deutschen Flugzeuges ohne Konsultation Israels erfolgreich freigepresst wurden, schickte Israel unter dem Decknamen „Operation Zorn Gottes“ ein Killerkommando auf den Weg, elf Hintermänner des Olympischen Attentates zur Strecke zu bringen. Kopf des Killerkommandos ist der inoffizieller Mossad-Mitarbeiter und Patriot Avner, überzeugend gespielt von Eric Bana (Hulk, Troja, Chopper). Von seinem Vorgesetzten Ephraim (dargestellt von Geoffrey Rush, u.a. bekannt aus Fluch der Karibik) wird er instruiert, alle Kontakte abzubrechen, seine schwangere Frau zu verlassen und sich in Europa mit seinem Team zu treffen: dem Südafrikaner Steve (gespielt vom künftigen Bond-Darsteller Daniel Craig, Layer Cake), dem Deutschen Jans (Hanns Zischler, „Kommissar Beck“), dem bedächtigen Carl (Ciáran Hinds, Die Journalistin) sowie dem Sprengstoffexperten Robert (Mathieu Kassovitz, Das fünfte Element). Ein deutscher Kontakt (Moritz Bleibtreu, Solino, Lola rennt) vermittelt Avner an den Franzosen Louis (Mathieu Amalric), der sie mit Namen und Hinweisen versorgt, so dass sich die Gewaltspirale unweigerlich in Gang setzt.

    Ehe man sich in Diskussionen verliert, ob Spielbergs Film nun der einen oder der anderen Seite den Vorzug gibt, oder wie viel von dem filmisch Dargebotenen wahr, halbwahr oder Fiktion ist, sollte man sich klar machen, was für einen hervorragenden Film man mit „München“ zu sehen bekommt. Spielbergs neuestes Werk ist auf den ersten Blick ein grandioser Thriller, der visuell bestechend im Siebziger-Jahre-Look daherkommt. Der Meisterregisseur und seine Stammcrew, bestehend aus Produzentin Kathleen Kennedy, dem Cutter Michael Kahn, dem Kameramann Janusz Kaminski und Filmkomponisten John Williams, liefern mit „München“ etwas ganz Großes ab; und auch das Produktionsdesign von Rick Carter – eine großartige Mimesis der siebziger Jahre – ist beachtlich. So erwacht die Vergangenheit vor den Augen des Zuschauers zum Leben. Aber nicht nur Ausstattung und das geschaffene Ambiente wirken authentisch – auch die bis in die kleinste Nebenrolle sehr gut besetzten Darsteller leisten ihren Teil, um für eine passende, authentische Atmosphäre zu sorgen. Vielleicht ist dem einen Michael Lonsdale (Der Name der Rose, Ronin, Der Schakal) als „Papa“ etwas zu seltsam, vielleicht wirken die Mitglieder der Killertruppe auf den anderen etwas zu unspektakulär, doch zweifellos sind alle Figuren markante Charaktere, die durch ihr zurückhaltendes und trotzdem effizientes Spiel einen angenehmen Kontrast zu dem häufig zu Übertreibungen neigenden amerikanischen Schauspiel.

    Auf den ersten Blick also ein toller Politthriller. Und auf den zweiten? Sicher hat „München“ viele wunde Punkte und bietet eine Menge Angriffsfläche. Das ist wohl der Preis, den man zahlen muss, wenn man ein derart sensibles Thema bearbeitet, das gleichzeitig – mit Blick auf den heutigen Konflikt – ein heißes Eisen ist. Am fruchtbarsten ist es vielleicht, den Film nicht als Geschichtslektion, als Aufarbeitung des Attentates von München und dessen Folgen, sondern als Illustration einer Gewaltspirale (anhand eines historischen Beispiels, das aber genauso gut ein anderes hätte sein können), zu verstehen. Eindringlich zeigt „München“ sein Rache-Domino, an dessen Ende es keine Gewinner, sondern nur mehr und noch mehr Leid gibt. Spielberg geht es in seinem Film folgerichtig nicht um die Schuld von Personen, es geht ihm um die Entlarvung der unmenschlichen und überdies inadäquaten Mechanismen einer „Auge um Auge …“-Philosophie, deren ständiger Teufelskreis durch das Bild der Twin Towers gegen Ende des Films illustriert wird. Es ist als würde uns Spielberg eine „dunkle“, für uns meist unsichtbare Welt zeigen, die parallel zu der sichtbaren Wirklichkeit existiert. A History Of Violence, der Titel des jüngsten Films von David Cronenberg, hätte ebenso gut zu Spielbergs „München“ gepasst. Auch hier verändert Gewalt den Menschen, auch hier löst sie eine unkontrollierbare Kettenreaktion aus. Spielberg kann keine einfachen Lösungsansätze liefern wie dieser Teufelskreis durchbrochen werden kann. Aber er kann durch einen sensiblen Umgang mit dem Thema und durch das Ernstnehmen seiner Figuren dazu anregen, nachzudenken. Er lässt seine Figuren sich rechtfertigen, lässt sie Gründe für ihr Handeln nennen, lässt sie zweifeln. Er begeht nicht den Fehler, die Gewalt in irgendeiner Form zu rechtfertigen oder zu beschönigen, sondern sorgt dafür, dass die Figuren des Films – Täter wie Opfer – als Menschen, fern von Schwarz und Weiß, von Gut und Böse, dargestellt werden. Was ist eine angemessene Reaktion auf Terrorakte? Wie viele unschuldige Opfer darf es geben?

    „München“ ist inhaltlich erfrischend vielschichtig und optisch so gelungen, dass man kleinere Mängel gerne verzeiht. Zum Beispiel die etwas monotone Story, in der die Racheakte von Avners Team von Fall zu Fall präzise durchexerziert werden; oder auch die misslungene Sequenz aus „Liebesspiel“ und „Rückblenden“, in denen Avner die realen Ereignisse des Geiseldramas in München imaginiert. Wo kommen diese Bilder, die vor Avners geistigem Auge ablaufen, her? – Wie gesagt, „München“ bietet schon durch sein Thema eine Menge Angriffsfläche. Einige Kritikpunkte sind sicherlich begründet, viele allerdings nur Luftblasen. Wahr ist: Mit „München“ liefert einer der besten Regisseure einen sehr, sehr guten und wichtigen Film, der sicher nicht fehlerfrei ist, aber dennoch vor Engagement des Regisseurs und cineastischem Können seines Teams nur so strotzt. Es bleibt dem Zuschauer überlassen, ob er sich durch „München“ zum Innehalten und zum Nachdenken anregen oder einfach „nur“ unterhalten lassen will.

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