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    A Scanner Darkly - Der dunkle Schirm
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    A Scanner Darkly - Der dunkle Schirm
    Von Jürgen Armbruster

    Beim Namen Philip K. Dick horchen in aller erster Linie Science-Fiction-Fans auf. Die Romane und Kurzgeschichten des 1982 an einem Schlaganfall verstorbenen Visionärs sind untrennbar mit diesem Genre verbunden. Verfilmungen wie Ridley Scotts Blade Runner, Paul Verhoevens Total Recall oder Steven Spielbergs Minority Report sind bis heute absolute Referenzwerke. Wer nun hofft, dass Richard Linklaters „A Scanner Darkly" in dieselbe Kerbe schlägt, wird enttäuscht sein. Die Adaption von Dicks wahrscheinlich persönlichstem Werk „Der dunkle Schirm" ist eine vielschichtige Parabel rund um das Thema Drogenkonsum mit nur marginalen Sci-Fi-Einflüssen.

    Im Mittelpunkt von „A Scanner Darkly" steht Drogenfahnder Fred (Keanu Reeves). Als sein Alter Ego Bob Actor ist er als verdeckter Ermittler in der Drogenszene von Kalifornien unterwegs. Sein Kampf gilt der Modedroge „Substance D", die zu einer gespaltenen Persönlichkeit führt. Um seine wahre Identität zu schützen, trägt Fred auf der Polizeidienststelle und bei offiziellen Anlässen einen so genannten „Jedermanns-Anzug". Dieses futuristische Ganzkörper-Kondom ändert permanent das Gesicht und die Gestalt des Trägers, so dass seine wahre Identität selbst vor seinen Kollegen geschützt bleibt. Nicht einmal Freds Freundin Donna (Winona Ryder) oder seine Mitbewohner James (Robert Downey Jr.) und Ernie (Woody Harrelson) wissen von seinem Doppelleben. Mit dieser schwierigen Situation hat Fred sich arrangiert. Die richtigen Probleme beginnen erst, als er von seiner eigenen Behörde auf sich selbst angesetzt wird. Bob Actor wird verdächtigt, der Kopf eines Drogenrings zu sein. Und da Fred mit der Zeit selbst der „Substance D" verfallen ist, kann er niemanden von diesem Missverständnis erzählen, ohne sich selbst zu belasten...

    Betrachtet man Dicks Werk als Ganzes, sticht „A Scanner Darkly" zweifelsohne heraus. Im Roman verarbeitet Dick bis zu einem gewissen Grad autobiografische Erfahrungen. Der Roman endet mit einer außergewöhnlichen Widmung: einer Aufzählung von Menschen, die Dick persönlich kannte und die entweder wegen Drogenkonsums verstarben oder ihr Dasein mit Hirnschäden oder Psychosen fristen mussten. Linklater hat diese Widmung zwar etwas gekürzt, aber doch übernommen. Und spätestens hier müsste dann auch dem Letzten klar werden, dass Dick für seine Verhältnisse ungewöhnlich viel an persönlichen Ereignissen verarbeitet. Zwar abstrakt und verklausuliert, aber doch nie zu leugnen. „A Scanner Darkly" ist sowohl als Roman und Film ein Werk, das reflektiert werden möchte und muss. Die Erkenntnis, die Fred am Ende macht, ermöglicht nochmals neue Deutungsansätze. Bis zu diesem Punkt enthält sich Dick (und Linklater) größtenteils einer Wertung. Hier enthüllt die vielschichtige Parabel dann letztlich aber doch ihre Intention. Kritisiert wird primär nicht der Drogenkonsum an sich, sondern wie die Gesellschaft in ihrem Wahn nach totaler Kontrolle mit diesem und seinen Opfern umgeht.

    „A Scanner Darkly" ist also ein ungewöhnlich nachdenklicher Film mit mehreren doppelten Böden. Daher sollte dem Publikum auch im Vorfeld bewusst sein, auf was es sich hier einlässt. Wie auch für Fred verschwimmen für den Zuschauer zusehends Realität und Fiktion und es fällt schwerer, die Geschehnisse auf der Leinwand voneinander zu trennen und ihnen zu folgen. Linklater fordert die volle Aufmerksamkeit seines Publikums ein. Zwar fließen auch immer wieder erheiternde Elemente ein – so ist es beispielsweise faszinierend, wie lange sich drei Junkies über eine Fahrradgangschaltung oder eine offene Türe unterhalten können – aber letztendlich bleibt doch ein unheimlich bitterer Eindruck zurück.

    Auf keinen Fall täuschen lassen sollte man sich von der ungewöhnlichen Optik des Films. Wer nur Poster und Bilder sieht und ein zweites Sin City erwartet, wird bitter enttäuscht sein. Hier ist die Optik lediglich Mittel zum Zweck. Linklater und sein Team haben den Film zunächst mit realen Darstellern fertig gedreht und geschnitten, um anschließend ein Rotoskopie genanntes Verfahren anwenden zu können. Dies ist eine besondere Tricktechnik, bei der die realen Bilder mit Zeichentricktexturen überlagert werden. Mit der gleichen Technik hat Linklater bereits bei Waking Life experimentiert und wer das Musikvideo zu „Take On Me" von a-ha kennt, kann sich ebenfalls ein genaues Bild vom fertigen Ergebnis machen. Dieses ist gleichermaßen gewöhnungsbedürftig wie Kopfschmerz-tauglich. Stil ordnet sich hier eindeutig der Substanz unter. Dicks Abgesang auf die Drogenkultur ließ sich nur auf diese Weise adaptieren. Ohne diesen Kniff wären einige Ideen – insbesondere der Jedermanns-Anzug – nicht umsetzbar gewesen. Apropos Jedermanns-Anzug: Dieser Einfall Dicks ist symbolisch natürlich etwas platt, passt allerdings blendend in das von ihm erschaffene Szenario und ist für einen entscheidenden Story-Twist verantwortlich.

    Hinter all den grellen, verwaschenen Pastellfarben bleibt von den echten Schauspielern natürlich wenig übrig. Trotzdem erkannten einige illustere Namen das künstlerische Potenzial des Projekts. So konnte Linklater Keanu Reeves (Matrix, Das Haus am See), Robert Downey Jr. (Kiss, Kiss, Bang, Bang, Gothika) und Woody Harrelson (Natural Born Killers, After The Sunset) trotz eines Budgets von gerade 8,5 Millionen Dollar vom Projekt überzeugen. Besonderer Zündstoff steckte in der Besetzung von Winona Ryder ( Durchgeknallt - Girl Interrupted, Night On Earth) für die Rolle der Donna. Im Roman lässt diese gerne hier und da das eine oder andere mitgehen. Frau Ryder hat ihm wahren Leben auf diesem Gebiet bekanntermaßen schon selbst weitreichende Erfahrungen gesammelt. Doch leider fiel dies bei der Straffung der umfangreichen Vorlage der Schere zum Opfer, so dass der Film auf diese ironische Unternote verzichten muss. Dass sich ausgerechnet Richard Linklater an diesen komplizierten Stoff herangewagt hat überrascht zunächst, passt jedoch absolut zu seiner konsequenten Verweigerungshaltung, sich irgendeiner Schublade zuordnen zu lassen. Zwischen seichter Komödie (School Of Rock, Die Bären sind los) und anspruchsvoller Romanze (Before Sunrise, Before Sunset) hat der bekanntermaßen exzellente Handwerker schon alles gemacht. Und nun kommt eben noch eine weitere Facette hinzu, die er mit „Waking Life" zuvor schon angeschnitten hatte.

    Der Zuschauer muss wissen, wie der das von George Clooney und Steven Soderbergh produzierte Werk zu nehmen hat. Leichte Kost setzt Linklater seinem Gefolge hier sicherlich nicht vor. „A Scanner Darkly" ist ein Film, auf den sich der Zuschauer bedingungslos einlassen muss. Nur dann kann er seine ganzen Qualitäten entfalten. Massenkompatibel ist der „A Scanner Darkly" sicherlich nicht. Wer sich bereits nach fünf Minuten fragt, was hier gespielt wird, ist definitiv im falschen Film. Fragen sollte sich der Betrachter erst nach dem Abspann stellen. Eigentlich gehört der Film ins Arthaus. Aber diese Klientel wird sich dann womöglich von den großen Namen abschrecken lassen. Eine spannende Frage gilt es also noch zu beantworten: Wie wird Warner „A Scanner Darkly" vermarkten, ohne mit dem Film oder der Vorlage zu brechen? Einfach wird das nicht...

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