Mein Konto
    Alles über meine Mutter
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Alles über meine Mutter
    Von Ulrich Behrens

    Der mit etlichen Preisen versehene Film "Todo sobre mi madre" ist tatsächlich so etwas wie ein Höhepunkt im Schaffen Almodóvars. Er selbst sagte zu seinem Film: "Gegen den Machismo meiner Heimat, der La Mancha, haben sich vor vierzig Jahren die Frauen mit den Mitteln der Täuschung, der Lüge und des Versteckspiels behauptet und so dafür gesorgt, dass das Leben in die richtigen Bahnen gelenkt wurde. Damals ahnte ich es noch nicht, aber dies sollte eines der Motive meines 13. Films werden, die Begabung der Frau für das Theaterspiel, die Maskerade; weitere sind die Verlustgefühle einer Mutter und die spontane Solidarität unter Frauen." (1) Heraus gekommen ist noch weit mehr.

    Manuela (Cecilia Roth) hat einen 17jährigen Sohn, Esteban (Eloy Azorín), der davon träumt, Schriftsteller zu werden, der aber auch unbeantwortete Fragen an seine Mutter hat: Wer war sein Vater, ist die wichtigste. Manuela ist Krankenschwester (entstanden aus einer Person in Almodóvars Film "Mein blühendes Geheimnis"), die in einer Abteilung für Organtransplantationen im Madrider Krankenhaus arbeitet und dort in einem Kurs für Ärzte eine Mutter spielt, der Ärzte offenbaren müssen, dass ihr Kind tot ist, und von der man die Zustimmung zur Organentnahme benötigt.

    Zu seinem 17. Geburtstag besuchen Manuela und Esteban das Theaterstück "Endstation Sehnsucht". Die Hauptrolle spielt Huma Rojo (Marisa Peredes), deren großes Vorbild Bette Davis ist und die auch Kette raucht wie die Grande Dame des Films. Huma ist lesbisch und nicht nur nach Zigaretten, sondern auch nach Nina (Candela Peña) süchtig, einer drogenabhängigen Kollegin, mit der sie eine Beziehung hat.

    Als Esteban unbedingt ein Autogramm von Huma haben will, rennt er ihrem Taxi nach der Vorstellung hinterher und wird von einem Auto überfahren. Nun ist es Manuela, die sich von Ärzten den Tod ihres Sohnes bestätigen lassen muss und nach ihrer Zustimmung zur Organentnahme gefragt wird.

    Manuela hält es in ihrer Wohnung in Madrid nicht mehr aus. Sie beschließt, Estebans Vater zu suchen und ist sich darüber bewusst, dass diese Suche sie hart mit der Vergangenheit konfrontieren wird, vor der sie 17 Jahre zuvor geflohen war. In Barcelona angekommen, weiß sie genau, wo sie suchen muss: Auf dem Straßenstrich. Doch nicht den Vater von Esteban, Lola (Tony Cantó), einen Transvestiten, trifft sie, sondern ihre alte Freundin Agrado (Antonia San Juan), eine Transsexuelle mit silikonvergrößerten Brüsten. Über sie lernt sie Rosa (Penélope Cruz) kennen, eine Schwester, die sich für Prostituierte einsetzt, deren Mutter (Rosa María Sardà) über den geplanten Fortgang von Rosa nach El Salvador entsetzt ist und deren Vater (Fernando Fernán Gómez) ausschließlich in seiner eigenen Welt der Erinnerungen lebt.

    Manuela kümmert sich, nicht nur um Rosa, die schwanger ist und der ein Arzt bescheinigt, dass sie HIV positiv ist, auch um Huma, die sie besucht, weil sie der äußere Anlass für den Tod von Esteban war. Und sie muss erfahren, wer der Vater des Kindes ist, das Rosa erwartet ...

    Mit einer unvergleichlichen Intensität ist der Meister der filmischen Konstruktion in "Todo sobre mi madre" wieder ans Werk gegangen. Die farbenprächtige Ausstattung des Films – nicht mehr comic-artig wie in "Pepi, Luci, Bom und die anderen Mädchen vom Haufen", nicht mehr durch die Konsum- und Werbewelt bestimmt wie etwa in "Kika" oder "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs" – kontrastiert nur scheinbar mit der – wie immer bei Almodóvar vorhandenen – Verschränkung verschiedener Handlungsabläufe, die am Schluss zu einer einzigen Geschichte zusammengefügt sind.

    Manuela steht für die schier grenzenlos scheinende Fähigkeit einer Frau, aus einer Tragödie, dem Tod ihres geliebten Sohnes, die Kraft zu gewinnen, nicht nur mit diesem Schmerz zu leben, sondern aus diesem Leid etwas Positives zu gewinnen. Manuela ertränkt ihren Schmerz nicht, sie kehrt immer wieder zu ihm zurück, in der Begegnung mit Agrado, die sie an ihre Vergangenheit erinnert, mit der jungen Rosa, deren Kind denselben Vater hat wie Esteban, mit Huma Rojo, die sie an ihre eigene Zeit als Laienschauspielerin erinnert.

    Die Leidenschaft und große Sympathie für die spontane, unbefangene, vorurteilsfreie Solidarität zwischen den Frauen wird besonders in einer Szene deutlich, in der Manuela, die schwangere Rosa, Agrado und Huma in der Wohnung Manuelas sitzen, trinken, essen, reden, sich anlügen und eins zu sein scheinen: eine Art Familie.

    Die Kraft dieser Bilder, die in solchen Szenen zum Ausdruck kommt, lässt Männer vergessen. Die Männer, die im Film auftauchen, sind gescheiterte Existenzen wie der todkranke Manuel (Lola), der kranke Vater Rosas und der Schauspieler Mario (Carlos Lozano), der es auf nichts anderes abgesehen hat, als dass Agrado ihm sexuell zu Diensten ist.

    "Todo sobre mi madre" ist ein Film über die Suche nach der Familie, der Zuneigung, der Liebe, die Almodóvar nur in der anscheinend unbeugsamen Kraft der Frauen findet. Die Frauen leiden, aber sie scheitern nicht wie die Männer; die Frauen gehen einen Schritt nach vorn, und noch einen; die Männer bleiben stehen, erscheinen unwichtig. Doch der Schein trügt, denn Manuela kümmert sich am Ende des Films zum zweiten Mal in ihrem Leben um einen Mann: nach Esteban, ihrem Sohn, jetzt um den gleichnamigen Sohn der toten Rosa. Esteban lebt weiter.

    Die großartigen schauspielerischen Leistungen v.a. von Cecilia Roth, Marisa Paredes, Antonia San Juan und Penélope Cruz, ihre Fähigkeit, diese Kraft der Frauen überzeugend und hautnah zu vermitteln, ja teilweise selbst "zu sein", mit einem gehörigen Schuss Wortwitz und Humor, macht diesen Film zu einem unvergesslichen Kinoereignis. "Todo sobre mi madre" ist auch eine leise, aber in ihrer Aussage sehr bestimmte Anklage: eine Anklage an eine Männerwelt, erhoben nicht nur von Frauen, sondern auch vom dem toten Esteban, der vielleicht für eine andere Art von Mann steht, in dessen Seele – im Gegensatz zum Machismo – die weiblichen Mentalitäten der (gefühlten und gefühlvollen) Solidarität, der spontanen, ungebundenen Kraft und der bedingungslosen Liebe einen Platz gefunden hatten.

    (1) Zit. n. http://www.rhein-zeitung.de (11/1999)

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top