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    Ghost World
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Ghost World
    Von René Malgo

    Die High School ist geschafft. Nun sind die beiden Freundinnen Enid (Thora Birch) und Rebecca (Scarlett Johansson) auf der Suche nach einem Job und einer Wohnung. Enid beginnt, einen sommerlichen Kunstkurs zu besuchen, während Rebecca in einem Cafe arbeitet. Die zwei sind Außenseiterinnen, halten zusammen und treiben besonders gerne Spott mit anderen Leuten. Als ihnen die Lust ausgeht, ihr Lieblingsopfer Josh (Brad Renfro) zu ärgern, antworten sie auf eine Kontaktanzeige und lassen das wartende Opfer einfach sitzen. Doch Enid beginnt sich anfangs aus Mitleid, dann aus einer gewissen Faszination heraus, für ihr Opfer zu interessieren. Sie lernt den Mann näher kennen und freundet sich mit dem wesentlich älteren, eigenartigen Plattensammler Seymour (Steve Buscemi) an.

    Wer eine peinliche High-School-Klamotte erwartet, ist fehl am Platz. Wer einen weit vom Mainstream entfernten Problemfilm erwartet, desgleichen. Denn Terry Zwigoffs „Ghost World“ ist Unterhaltung. Unterhaltung mit Substanz und einer Aussage. Die sieben Millionen Dollar teure Coming-Of-Age-Tragikomödie basiert auf dem gleichnamigen Comic von Daniel Clowes, der auch gemeinsam mit Regisseur Zwigoff das Drehbuch schrieb. Der superheldenabgeneigte Zuschauer braucht sich jedoch nicht vor der üblichen Comicumsetzung zu fürchten. Weder schlägt ein Batman bizarre Gestalten vor gotischer Kulisse in die Flucht, noch schlingert sich ein Spider-Man bei Sonnenuntergang und wehenden Fahnen durch die Häuserschluchten New Yorks. Diese Helden tragen keine Strumpfhosen und Capes, sondern erweisen sich als aus dem Leben gegriffene Figuren. Der Betrachter wird auf zahlreiche Freaks und Außenseiter treffen. In solch einem Falle kommt die Vorlage in Form eines Comics dem Film zugute; jene Kunstform, die fast immer von Außenseitern erzählt. Überraschenderweise entwickelt „Ghost World“ aber mehr Lebensnähe als so manche vermeintlich tiefgründige Literaturverfilmung und wird dem Zuschauer lange im Gedächtnis bleiben.

    Der Beginn ließe dem unbedarften Zuschauer eine typische Teenie-Komödie erwarten bzw. befürchten. Doch wenn die Heldin Enid zum ersten Mal ihren Mund öffnet, ist klar: Hier ist etwas anders. Ihre Kommentare bezüglich ihrer Umwelt sind bissig und schön politisch unkorrekt. Dem wortsicheren Biss begleitet eine gewisse Doppelbödigkeit und auch dadurch eine Tiefe, die in sonstigen Teenie-Komödien nicht zu finden ist. „Ghost World“ ist ein Film über das Erwachsenwerden und über viele andere Dinge. Die Beschreibung „Teenager-Komödie“ würde dem Film nicht einmal ansatzsweise gerecht. Je nach persönlicher Gemütsverfassung oder Auffassungsgabe erscheint „Ghost World“ dem Zuschauer entweder unglaublich komisch, oder unglaublich traurig. Mit beiden Anschauungen hätte der Betrachter recht, denn „Ghost World“ verbindet Tragik und Komik in beispielhafter Weise. Enid - und somit der Film - bedenkt ihre Umwelt mit blankem Spott, bringt zugleich aber Mitgefühl und Menschlichkeit auf. „Ghost World“ steht für Menschlichkeit. Geradezu liebevoll nimmt sich das Werk der Außenseiter an und zeigt einfache Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen. Der Zuschauer hat es nicht mit Überhelden zu tun, sondern mit Personen, die sich gegenseitig verletzen und Fehler machen. Das macht jeden einzelnen so sympathisch, weil typisch menschlich. Sie wollen das Beste, sie meinen es gut, doch wie so oft im Leben, jagt das eine Missverständnis das andere. Wer sich nicht zu den alles überragenden, über allem stehenden Siegertypen zählt, wird viel Identifikationspotenzial in „Ghost World“ und den Protagonisten finden.

    Mittelpunkt und Hauptperson der Geschichte ist Enid. Sie vereint all das in sich, was in der „normalen“ Welt nur zu oft zu schlecht aufgenommen wird: Ehrlichkeit, Intelligenz und Kreativität, das allerdings verbunden mit schneidendem Sarkasmus und einer sehr scharfen Zunge. Unter ihrer harten Schale verbirgt sich aber ein Mädchen auf der Suche nach Sinn und Geborgenheit. Das mag abgedroschen klingen; in „Ghost World“ erhält dieser Charakter allerdings die perfekte Personifizierung durch eine grandios aufgelegte Thora Birch. Viel Identifikationsfläche bietet auch Seymour, kongenial dargestellt von Steve Buscemi. Buscemi ist Seymour. Als introvertierter, von der Welt enttäuschter Plattensammler umgeht er zielsicher sämtliche Klischees und verleiht einer lebensnahen Figur Profil und Tiefe.

    Der Rest des Schauspielerensembles braucht sich hinter den beiden ausgezeichneten Hauptdarstellern aber nicht zu verstecken. Ein jeder weiß den gut vorgezeichneten Charakteren Leben einzuhauchen - seien es die damals 15-jährige Scarlett Johansson als eine die Welt durchschauende und verachtende Schönheit, Bob Balaban als Enids gutherziger Vater oder Stacey Travis als die oberflächliche Blondine Dana Hayes. Darstellerisch perfekt gibt sich „Ghost World“ auch inszenatorisch keine Blöße. Schöne Bilder, die richtigen Kamereinstellungen und Schnitte zur passenden Zeit erzeugen eine treffende Atmosphäre: ein bisschen poetisch, sehr melancholisch und immer sympathisch-verschroben. Immerhin eine Oscar-Nominierung 2001 für das beste adaptierte Drehbuch hat „Ghost World“ herausschlagen können. Eine große Ehre eigentlich, bedenkt der Szenekenner, dass gerade die ausgefallensten und intelligentesten Filme meist nur mit einer Nominierung für das Drehbuch und im besten Fall dem Sieg bei selbigem Award abgespeist werden. Nebenbei darf „Ghost World“ noch als Beweis dienen, dass Comics durchaus ernst genommen werden können und dies auch verdient haben, ähnlich wie es die Außenseiter der Geschichte verdienen, für die der Film eine Lanze bricht.

    „Ghost World“ ist kein einfacher Stoff. Sein bitterer Humor kann weh tun, trifft dafür aber genau an den richtigen Stellen. Um die sogenannte „political correctness“ schert sich das Werk einen Dreck und hangelt sich so klar am üblichen Mainstream vorbei, ohne sein großes Unterhaltungspotenzial zu verschenken oder zu verkennen. „Ghost World“ vereint aussagekräftigen Anspruch und bissige Heiterkeit in einem und kann obendrein tadellos unterhalten. Die einwandfrei erzählte Geschichte gipfelt in einen mit Bedacht gewählten, offenen Schluss, dessen Symbolik formal überzeugen kann, allerdings nicht jedermanns Sache sein wird. Trotzdem, danach werden sich einige nach einem Bus in eine bessere Zukunft sehnen und solange dieser auf sich warten lässt, es Enid gleichtun: Mit angebrachtem Zynismus einer falschen Welt Kontra geben.

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