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    Don´t Come Knocking
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Don´t Come Knocking
    Von Lars Lachmann

    Neben Jim Jarmuschs „Broken Flowers“ steht uns im Spätsommer dieses Jahres mit Wim Wenders‘ „Don‘t Come Knocking“ noch ein weiterer Film ins Haus, dessen Protagonist sich ebenfalls mit der überraschenden Entdeckung seiner Vaterschaft konfrontiert sieht. Wenders neuester Wurf lässt sich indessen ebenso wenig eindeutig auf ein bestimmtes Genre festlegen wie der von Jarmusch. Thematisiert werden unter anderem die Grenzbereiche und Übergänge zwischen Film, der Welt des Filmemachens und der wirklichen Welt. Stereotype Versatzstücke – vor allem aus dem Genre des Westernfilms – werden immer wieder als Vorlage für das Geschehen herangezogen, welches sich tatsächlich gerade auf der Leinwand abspielt – eine Darstellungsweise, die dazu einlädt, das Gezeigte aus mehreren Blickwinkeln gleichzeitig zu betrachten.

    Howard Spence (Sam Shepard) ist „Just Like Jesse James“ – so der Titel einer der zahlreichen Westernfilme, in denen dieser die Hauptrolle spielen durfte und es auf diese Weise zum erfolgreichen Kinostar gebracht hat. Auch gegenwärtig ist der mittlerweile etwas gealterte Howard als Hauptdarsteller an einem Filmprojekt beteiligt. Bis er sich eines Tages im wahrsten Sinne des Wortes kurzerhand aus dem Staub macht und das Set in Cowboymontur auf dem Rücken eines Pferdes verlässt. Er will raus, will Abstand nehmen von seinem Leben als gleichermaßen gefeierter wie skandalumwitterter Filmstar, will der unwirklichen Welt des Films entfliehen. Dies lassen sich der Regisseur und die Produzenten natürlich nicht ohne weiteres gefallen. Nach einer kurzen Bestandsaufnahme am Drehort heftet sich der kalt und emotionslos wirkende Versicherungsagent Sutter (Tim Roth) an Howards Fersen, um den entlaufenen Star wieder einzufangen. Dass sich diese Exposition allein schon wie der typische Plot einer Westernhandlung ausnimmt, dürfte kein Zufall sein. Ebenso wenig wie Howards brillanter Einfall, mit einem einsamen Präriebewohner die Kleidung und das Pferd zu tauschen, um eingedenk eventueller Verfolger seine Spuren zu verwischen. Sein erster Zufluchtsort ist das Haus seiner Mutter (Eva Marie Saint); für Howard gleichzeitig eine Gelegenheit, ihr nach einigen Jahrzehnten zum ersten Mal wieder einen Besuch abzustatten. Von ihr erfährt er unter anderem, dass sie vor dreißig Jahren von einer jungen Frau aufgesucht worden sei, welche sich auf die Suche nach dem Vater ihres Sohnes begeben habe...

    Howards Flucht, so stellt sich im Laufe der Handlung immer deutlicher heraus, ist nicht nur eine Flucht vor der Filmwelt und vom Set, sondern auch eine Flucht vor sich selbst, vor dem, was im Laufe der Jahre aus ihm geworden ist. Einen ersten Eindruck davon gewinnt der Zuschauer bereits während Sutters Inspektion von Howards Wohnwagen am Set: Neben zwei leicht bekleideten Frauen beherbergt dieser zahlreiche benutzte Cocktailgläser und andere Spuren, die auf den ausschweifenden Lebensstil des Schauspielstars hindeuten, unter anderem auch ein Schild mit der Aufschrift „Don‘t come knocking if the trailer‘s rocking“. Als noch aufschlussreicher erweist sich eine Mappe, auf welche Howard im Haus seiner Mutter stößt und in der jene über die Jahre hinweg ausgeschnittene Zeitungsartikel über die Karriere ihres verlorenen Sohnes gesammelt hat, welche den Aufstieg und Fall des Stars Howard Spence genauestens dokumentieren. Beim Durchblättern sieht sich Howard unmittelbar mit den Berichten über seine jüngsten Skandale in der Öffentlichkeit konfrontiert, welche auch schon mal zu Haftstrafen infolge von Drogenmissbrauch geführt haben.

    Doch kann man sich selbst wirklich entfliehen? – Wie schwer es ist, zeigt Howards abendlicher Ausflug in das örtliche Spielkasino: Da ist sie wieder, die glitzernde Scheinwelt, aus welcher er erst dann wieder erwacht, nachdem er eine Nacht in der Ausnüchterungszelle verbracht hat und von einem der lokalen Ordnungshüter bei seiner Mutter abgeliefert wird. Spätestens ab diesem Punkt wird Howards Flucht gleichzeitig zu einer Suche. Er beschließt, jene Frau aufzusuchen, von der ihm seine Mutter erzählt hat und die er vor mehr als dreißig Jahren geschwängert haben muss. In ihr und der Tatsache, dass er Vater eines Sohnes ist, beginnt er eine Alternative zu seinem bisherigen Lebenswandel zu sehen, geboren aus einer tiefen Sehnsucht nach einem ganz normalen Leben. Die Worte eines jungen Countrysängers: „He‘s a lonely man who has lost his only love...“, welche auf Howards Reise zwischenzeitlich eingeblendet werden, werfen in mehrfacher Hinsicht ihre Schatten auf die folgende Handlung hinaus. Das, was unser einsamer Cowboy vorfindet, als er schließlich im kleinen Städtchen Butte seiner damaligen Flamme Doreen (Jessica Lange) und seinem Sohn Earl (Gabriel Mann) begegnet, lässt unterdessen seine Fantasien von einer heileren Welt jäh zerplatzen. Von Familienidylle kann keine Rede sein – ein Umstand, zu welchem Howard selbst einen nicht unwesentlichen Anteil beigetragen hat.

    Sam Shepard, der auch schon das Drehbuch zu Wenders‘ großem Erfolg „Paris, Texas“ verfasst hatte, griff für „Don‘t Come Knocking“ erneut zur Feder und übernahm in Wenders‘ neuem Projekt zudem auch gleich die Hauptrolle, in welcher er von der ersten bis zur letzten Minute zu überzeugen weiß. Howard Spence verkörpert die Figur des coolen, männlichen Westerndarstellers schlechthin, und dabei gelingt es Shepard, auch die tragische, bisweilen sogar subtil komische Seite seiner Hauptfigur, die sich ganz leise unter der harten Oberfläche abzeichnet, perfekt in Szene zu setzen. Das gleiche gilt uneingeschränkt genauso für Jessica Langes Darstellung der verlassenen Geliebten Doreen, und vor allem die Dialogszenen zwischen den beiden Akteuren gehören mit zu den stärksten und intensivsten, die dieser wunderbare Film zu bieten hat. Dies schmälert hingegen in keiner Weise die Leistungen der übrigen Darsteller Eva Marie Saint, Gabriel Mann, Sarah Polley und Tim Roth, die jeweils ihren Teil zum Gelingen des Kunstwerks beigetragen haben.

    Insgesamt zeichnet sich „Don‘t Come Knocking“ durch eine überwältigende Bildsprache aus. In einer Szene sehen wir die Hauptperson Howard in einer rotierenden Kameraeinstellung inmitten eines Trümmerhaufens auf der Straße in einem Sofa sitzen, welches mit Motiven junger, leicht bekleideter Mädchen in einer bunten Paradieslandschaft verziert ist. Besser und bildhafter ließe sich die innere und äußere Lebenssituation des tragischen Leinwandhelden kaum zum Ausdruck bringen. Abgesehen davon, dass die Bilder von einer bestechenden Schönheit sind, die eigentlich nur auf der großen Leinwand erst ihre volle Pracht entfalten kann, ist es vor allem die Kameraführung, die – ebenso wie bestimmte Versatzstücke der Handlung selbst – mit dem Wechsel zwischen Westernklischees sowie der Illusion Film und Filmwelt spielt. Dem Publikum wird auf diese Weise eine vielschichtige Bildführung präsentiert, die sich oftmals als doppeldeutig erweist und stets zum genaueren Hinsehen und Dechiffrieren ermuntert.

    Mit „Don‘t Come Knocking“ ist Wim Wenders („Paris, Texas“, „Der Himmel über Berlin“, „Land Of Plenty“) wiederum ein zeitloser Klassiker gelungen, der nicht nur das viel diskutierte Verhältnis von Filmstars zur „wirklichen Welt“ kritisch zur Diskussion stellt, sondern darüber hinaus auch die Grenzen und Möglichkeiten zur Veränderung einer eingefahrenen Lebensweise aufzuzeigen sucht. Zudem wählt er eine Form der Darstellung, die diese Inhalte zugleich auf brillanteste Weise zu transportieren vermag.

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