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    Rescue Dawn
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Rescue Dawn
    Von Carsten Baumgardt

    Noch ein Vietnam-Film? Das ur-amerikanische Trauma scheint mehr als ausschweifend von den verschiedendsten Perspektiven aus beleuchtet und abgearbeitet zu sein. Die Meisterwerke sind gedreht - Francis Ford Coppolas Apocalypse Now, Michael Ciminos Die durch die Hölle gehen oder Oliver Stones Platoon. Wenn sich aber die deutsche Autorenfilmerlegende Werner Herzog an dieses Sujet wagt, darf dennoch etwas Besonderes erwartet werden. Und tatsächlich: Herzogs Vietnam-Drama „Rescue Dawn“ findet in der Flut von Filmen zu dieser historischen Epoche eine ganz eigene Sicht und bietet vor allem eine originäre Story, die in dieser Konstellation noch nicht erzählt worden ist. Mit „Rescue Dawn“ bereitet Herzog eine Spielfilmversion seiner Dokumentation „Little Dieter Needs To Fly“ auf, in der er die erschreckenden Erlebnisse des Navy-Piloten Dieter Dengler während dessen Vietcong-Gefangenschaft schildert. „Rescue Dawn“ ist packend, intensiv und dazu charmant anachronistisch, wie es typisch ist für eine herzogsche Inszenierung.

    „Don’t you get it? It’s the jungle that is the prison.“

    (Gene zu Dieter)

    Der in Deutschland geborene Dieter Dengler (Christian Bale) nimmt mit seinem 18. Lebensjahr die amerikanische Staatsbürgerschaft an, um seinen Kindheitstraum vom Fliegen verwirklichen zu können. Der vor Energie strotzende junge Mann heuert später bei der Navy an und wird 1965 mit seiner Einheit im Golf von Tonkin stationiert, um an einem strenggeheimen Bombardement in Laos teilzunehmen. Doch Dieter wird mit seiner Maschine über dem unwegbaren Dschungel abgeschossen und gerät in Gefangenschaft der Nordvietnamesen. Der Willkommensgruß fällt schmerzhaft aus, Dieter wird gefoltert, um den Amerikaner weichzukochen, bevor er in seine Zelle mitten in einem Gefangenencamp im Dschungel gesteckt wird. Dort trifft er auf eine kleine Gruppe, die sein Schicksal teilt, allerdings schon seit mehreren Jahren – dementsprechend demoralisiert sind Duane (Steve Zahn), Gene (Jeremy Davies) und ihre Kumpanen. Dieter schmiedet sofort Ausbruchspläne, sieht aber ein, dass es derzeit sinnlos ist. Er muss bis zur Regenzeit warten, um auf der Flucht überhaupt die Chance auf ein Überleben zu haben. Innerhalb der Gruppe herrscht Uneinigkeit, ob diese gefährliche Aktion überhaupt gewagt werden soll...

    Zehn Jahre dauerte es, bis sich Werner Herzog (Aguirre - Der Zorn Gottes, Fitzcarraldo, Nosferatu - Das Phantom der Nacht) nach „Schrei aus Stein“ (1991) mit Invincible (2001) wieder an einen Kinofilm machte. Doch gemessen an den sonstigen Qualitäten des exzentrischen Meisterregisseurs enttäuschte „Invincible“. Mit der preisgekrönten Dokumenation Grizzly Man (2005) kam Herzog, der in der Zwischenzeit mit außergewöhnlichen Dokumentationen glänzte (Mein liebster Feind, Rad der Zeit, The White Diamond), jedoch wieder auf der Höhe der Zeit an und hatte so die Chance, sein Wunschprojekt „Rescue Dawn“ zu realisieren. Warum sich der Regisseur für den Stoff interessiert, ist für Herzog-Kenner nur unschwer auszumachen. Ein Mann in einer ausweglosen Situation, am Rande des Wahnsinns, im tiefsten Dschungel gefangen, ohne große Aussicht, dem nahen Tod zu entkommen... das klingt einfach zu 100 Prozent nach Herzogs Spielfeld. „Rescue Dawn“ ist sein mainstreamnähester Film und doch Lichtjahre davon entfernt, auch nur eines der Klischees der großen Blockbuster zu erfüllen.

    Seinen unverwechselbaren Inszenierungsstil hat sich der 1942 in München geborene Filmemacher bewahrt, zumal er wie immer die volle künstlerische Kontrolle über das gesamte Projekt in den Händen hält. Wer eine Hollywood-Dramaturgie voraussetzt, wird enttäuscht werden. „Rescue Dawn“ widersetzt sich diesem Muster konsequent, das Tempo ist gemäßigt, aber nicht langsam. Die Charaktere bekommen ihre Zeit, sich zu entfalten. Doch das wichtigste ist das, was in jedem Herzog-Film an erster Stelle steht: die Atmosphäre. Und hier ist „Rescue Dawn“ am stärksten. Nie im Leben würde es Herzog einfallen, nicht „on location“ (diesmal in Thailand) zu drehen, da er sich noch nie gescheut hat, Mensch und Material während des Drehs auf´s äußerste zu belasten. Das war in seiner obsessiven Hochzeit so, und ist auch nun im Alter noch der Fall. Die Atmosphäre des dichten, menschenfeindlichen Dschungels kriecht buchstäblich aus der Leinwand, um im Zuschauerraum spürbar zu werden. Die musikalische Instrumentalisierung hebt sich ebenfalls von der üblichen szenenunterstützenden Wirkung des Mainstreamfilms ab. Klaus Badelt kombiniert klassische Stücke mit Kammermusik und eigenen Kompositionen, auch Fragmenten der New-Age-Band Popol Vuh, Herzogs frühere Hauskomponisten (Mastermind Florian Fricke starb 2001), sind wieder kongenial eingebunden. Die Abläufe entwickeln durch diesen sehr speziellen, altmodisch wirkenden Inszenierungsstil eine gewisse Unvorhersehbarkeit, obwohl natürlich klar ist, dass Dieter Dengler den Überlebenskampf bestehen muss (sonst hätte er schließlich kaum in „Little Dieter Needs To Fly“ berichten können, wie er dem POW-Camp entkommen konnte).

    Erfreulicherweise konnte Herzog einen der besten Schauspieler der Traumfabrik für sein Projekt begeistern. Christian Bale (3:10 To Yuma, The Prestige) ist bereit, seine Seele in die Waagschale zu werfen, um hier zu bestehen. Nachdem er für The Machinist bereits 30 Kilogramm abnehmen und das Gewicht für Batman Begins wieder zurückerlangen musste, schlug das Jojo für „Rescue Dawn“ wieder zurück. Erneut hungerte sich Bale auf ein beängstigendes Maß herunter, was allerdings noch von Co-Star Jeremy Davies (Der Soldat James Ryan) in den Schatten gestellt wird: Davies sieht aus wie ein lebendes Skelett, und das ist beileibe keine Übertreibung. Bale glänzt in seiner Rolle des enthusiastischen Dieter Dengler, der all seine Energie in die Flucht steckt, ein weiteres Mal mit einer kraftvollen, aber dennoch sensiblen Performance, die die Facetten des sich mehrenden Wahnsinns nachvollziehbar macht. Steve Zahn (Reality Bites, E-Mail für dich) spielt seinen Part solide und hat bei allem Ernst der Lage einige Szenen von offensichtlich unfreiwilliger Komik, die aber keinesfalls so inszeniert sind, sondern vielmehr die allgegenwärtige Authentizität des Dramas stärken, etwa wenn Zahns Charakter Duane sich regelmäßig gefesselt nachts in den Hose macht. Das Verhalten der Figuren ergibt sich immer aus den jeweiligen Umständen und folgt damit nicht einer Dramaturgie im klassischen Sinne. Der Vietcong hat in „Rescue Dawn“ zwar ein Gesicht und einen Namen, aber keine (verständliche) Stimme (nur in Landessprache), um die Perspektive Denglers so voll auf das Publikum zu übertragen.

    „Rescue Dawn“ ist Herzogs bester Spielfilm seit „Fitzcarraldo“ (1982) und ein erfreulicher Beweis dafür, dass es in der heutigen Zeit der ultrahochgezüchteten Blockbuster im Sequel-, Threequel- und Franchisewahn noch Platz für erstklassiges, eigenständiges Filmemachen der alten Schule gibt. Den Weg nach ganz oben an die Spitze des Vietnam-Films verpasst „Rescue Dawn“ zwar, da Herzog die Dramatik des Stoffes nicht bis an den Anschlag ausreizt, aber für einen Platz im gut situierten Vorderfeld reicht es allemal. Für Fans des Regisseurs ist der Film ein absolutes Muss und wer sich einmal abseits der eingefahrenen Denkweisen über ein reales Vietnam-Schicksal Einblick verschaffen möchte, ist mit „Rescue Dawn“ ebenfalls bestens bedient. Doch trotz einer minimalen Annäherung an die Massen ist das Kriegsdrama selbstverständlich sperrig, rau und spröde, wie ausnahmslos jeder Herzog-Film. Hier sprechen wie immer die Bilder (vorzüglich photographiert von Peter Zeitlinger) und die Atmosphäre – zumindest zu Zuschauern, die gewillt sind, sich auf sie einzulassen. Ist dieses Werk über einen Helden ein patriotisches Heldenstück? Keineswegs, selbst wenn die Militärgrüße zackig sind. Vielmehr ist es ein Film über einen Menschen, der Spezielles, gar Außergewöhnliches erlebt hat. Im herzogschen Selbstverständnis finden die Auszeichnungen Denglers (Purple Heart, The Air Medal, The Navy Cross etc.) natürlich nicht einmal in einem Nebensatz Erwähnung...

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