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    Die Faust im Nacken
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Die Faust im Nacken
    Von Ulrich Behrens

    Die Docks in Hoboken, New Jersey, irgendwann in den 50er Jahren. Arbeit gibt es nur wenig, Arbeitssuchende umso mehr. Jeden Tag müssen die Dockarbeiter vor den Arbeitsvermittlern anstehen, und wenn sie Pech haben, und oft haben sie Pech, ohne Arbeit und ohne Geld wieder nach Hause gehen. Die Szenerie ist düster, und auch wenn die Männer nicht den Mut verlieren, ist das Leben mit oder ohne die Plackerei auf den Schiffen und in den Hallen ein elender Kampf ums Dasein. Und genauso denken hier auch viele. Wenn ich mich nicht nach vorne dränge, tut es ein anderer und bekommt den begehrten Schein, der ein paar Dollar bringt.

    Vor dieser Szenerie erzählt Elia Kazan (1909-2003; „Endstation Sehnsucht“, 1951; „Jenseits von Eden“, 1955), gerade dem Fanatismus des McCarthy-Ausschusses gegen „unamerikanische Umtriebe“ entkommen, die Geschichte von Terry Malloy (Marlon Brando), einem ehemaligen Boxer, jetzt schon über 30 Jahre alt, der ebenfalls nach dem Prinzip lebt: Wenn ich nicht als erster zuschlage, dann tut es der andere. Man könnte fast sagen: Die Atmosphäre an den Docks hat etwas Sozialdarwinistisches. Befördert wird dies v.a. durch einen Gangster namens Johnny Friendly (Lee J. Cobb), der sich mit Hilfe von ein paar Leuten der Gewerkschaft bemächtigt hat. Friendly führt die Gewerkschaft an, Terrys Bruder Charley (Rod Steiger) ist Friendlys rechte Hand, Truck (Tony Galento) und Tullio (Tami Mauriello) seine Handlanger, die vor Gewalt und auch Mord nicht zurückschrecken. Wer nicht für sie ist, ist gegen sie. Friendly verdient an der Gewerkschaft, während die Arbeiter von ihm völlig abhängig sind.

    „On the Waterfront“ heißt der Film im Original. Und an einer Front, einer „zivilen“ Kriegsfront im Hafenmilieu stehen hier alle. Kazan zeigt Menschen, die auf eine bemerkenswerte Art zusammenhalten. Sie haben sich dem Regime des korrupten Friendly unterworfen. Kaum einer würde die Hand gegen den skrupellosen Gewerkschaftsboss erheben oder ihn gar bei der Polizei verpfeifen. Die Polizei ist für die Dockarbeiter ein rotes Tuch; man hasst die Cops mehr als die Verhältnisse, unter denen man leben muss. Und man übt untereinander Solidarität – sofern es nicht gegen Friendly geht.

    Als einer – Joey Doyle – es dennoch wagt, bei der Polizei gegen Friendly auszusagen, wird er von Terry in einen Hinterhalt gelockt und von Friendlys Männern aus dem Fenster geworfen. Joeys Vater weiß, dass sein Sohn nicht von selbst in den Tod gesprungen ist; aber auch er schweigt. Terry, der nichts von den Absichten Friendlys wusste, ist entsetzt. Er dachte Friendly wolle Joey nur eine Lektion, sprich: eine Abreibung, verpassen.

    Nur zwei wehren sich gegen Friendly: Joeys Schwester Edie (Eva Marie Saint), die zu Besuch bei ihrem Vater ist (sie besucht eine Klosterschule auf dem Land) und die Mörder ihres Bruders dingfest machen will, und Pater Barry (Karl Malden), der schon lange gegen Korruption und Gewalt auf den Docks kämpft. Bei einer von Barry einberufenen Versammlung versucht der Priester, die Arbeiter davon zu überzeugen, dass sie Friendly zum Teufel jagen müssen. Friendlys Leute umstellen die Kirche, und jedem, den sie zu fassen bekommen, wird eine Tracht Prügel verabreicht. Hier lernt Terry Edie kennen. Und Edie gefällt dem Ex-Boxer, während die junge Frau nicht glauben kann, dass Terry ein schlechter Mensch ist. Die beiden kommen sich näher.

    Dann geschieht wieder ein Mord. Der Dockarbeiter Dugan (Pat Henning), der sich von Barry überzeugen ließ, gegen Friendly auszusagen, wird ermordet. Terry beginnt zu zweifeln, ob es richtig ist, Friendly weiter zu unterstützen. Als er eine Vorladung von der Polizei erhält, zwingt Friendly Terrys Bruder Charly, Terry zur Umkehr zu bewegen oder zu ermorden. Doch wenig später ist nicht Terry tot, sondern Charly ...

    Visuell, inhaltlich und darstellerisch ist Kazans Film eine Meisterleistung. Gerade bei diesem Film zeigt es sich, dass Farbe einem Film manchmal nicht gut tun kann. Der in Schwarz-Weiß gedrehte Streifen überzeugt vor allem durch den Wechsel von Großaufnahmen von den Docks und der nüchternen, kalten Umgebung, Szenen, in denen die Konflikte zwischen den Arbeitern, den Gangstern und der Polizei gezeigt werden, und Nahaufnahmen der besonderen Art, etwa, als Terry und Edie in einer Kneipe sitzen. Boris Kaufman zeigt nur die Gesichter der beiden, Edie von der Seite und Terry von vorne. Terry ist in Edie verliebt, aber er bedrängt sie nicht. Er versucht, die junge Frau zu verstehen, während er selbst von seiner Lebensweise des stetigen Kampfes ums Dasein noch immer überzeugt ist.

    Marlon Brando kann in dieser Szene wie in allen anderen vollkommen überzeugen. Er spielt einen naiven Ex-Boxer, dessen Bruder ihn vor Jahren dazu bewegt hat, einen Kampf wegen einer Wette absichtlich zu verlieren. Das war das Aus seiner kurzen Boxer-Karriere. Terry erzählt Edie, dass er und sein Bruder im Waisenhaus aufgewachsen sind, nachdem man ihren Vater ermordet hatte. Er erzählt, ohne es zu sagen, warum er so geworden ist, wie er eben ist. Trotzdem versteht es Brando zugleich, die tief sitzenden Zweifel, die verdrängten Gefühle und v.a. die verdrängte Menschlichkeit Terrys in Gestik wie Mimik glaubhaft darzustellen. Edie und Pater Barry gelingt es, dieses Verdrängte in Terry hervorzulocken. Terry drückt das so aus: „Conscience. That stuff can drive you nuts.“ Also etwa: „Gewissen. So was kann dich verrückt machen.“ Brandos Terry kämpft mit seinem Gewissen, kämpft um die Entscheidung, ob es Verrat oder Kampf um Gerechtigkeit ist, wenn er Friendly und seinen Bruder beschuldigt, er kämpft um die Frage, ob (Nächsten-)Liebe oder blanker und blinder Egoismus ihn treiben soll.

    Mag sein, dass die Art und Weise, wie Kazan diese Tragödie inszenierte, heute manchem etwas „veraltet“ erscheint. Ich meine, dass „On the Waterfront“ in seinen Dialogen und in seiner Darstellung kaum etwas von der Dramatik verloren hat, vergleicht man den Film mit gegenwärtigen Produktionen des Filmgeschäfts. Dazu trägt auch Karl Malden als nicht korrumpierbarer Priester bei, der nicht so sehr darauf achtet, wie voll seine Kirche wird, sondern dessen Hauptaugenmerk den betrogenen und sich selbst betrügenden Dockarbeitern und ihren Familien gilt. In einer engagierten Rede nach dem Mord an Dugan überzeugt Maldens Barry ebenso wie in der Schlusssequenz des Films, als Terry endlich den Kampf gegen Friendly zu Ende führt. Auch Lee J. Cobb als skrupelloser Gangster ist in seinem Element, ebenso die großartige Eva Marie Saint, die fünf Jahre später an der Seite von Cary Grant in dem Hitchcock-Klassiker „Der unsichtbare Dritte“ die geheimnisvolle Blondine Eve Kendall spielte. Rod Steiger steht in einer Szene Marlon Brando in nichts nach: Beide sitzen im Auto, Charley soll herausbekommen, ob Terry die korrupten Gewerkschaftsführer an die Polizei verrät. In dieser Szene werden sich beide Brüder bewusst, dass sie sich als Brüder und Menschen längst verloren haben. Auch die übrige Besetzung des Films weiß zu überzeugen.

    Brando ist in diesem Film so präsent in fast jeder Szene, dass der ihm dafür verliehene Oscar mehr als verdient erscheint (der Film bekam insgesamt acht Oscars, u.a. auch Elia Kazan, Boris Kaufman und Eva Marie Saint). Man beachte etwa die Szenen auf dem Dach, wo Terry seine Tauben züchtet, pflegt und hegt, zusammen mit einem Nachbarsjungen, Jimmy (Arthur Keegan), für den Terry ein großes Vorbild ist. Als Terry vor Gericht gegen Friendly aussagt, tötet Jimmy sämtliche Tauben – aus Enttäuschung über Terry. Brandos Terry reagiert mit Trauer, aber nicht mit Wut auf Jimmy, sondern mit dieser Art von Verständnis, die sagen soll: Wie kann ich dem Jungen nur verständlich machen, warum ich gegen Friendly ausgesagt habe.

    Kazan erntete für seinen Film allerdings auch Kritik. Bei einer Oscar-Verleihung Jahre später (1999) blieben einige Anwesende (u.a. Nick Nolte und Ed Harris) sitzen, applaudierten nicht, weil Kazan 1952 vor dem McCarthy-Ausschuss Leute verpfiffen hatte. Kazan, der von 1934 bis 1936 selbst Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen war, hatte sich Anfang der 50er Jahre enttäuscht von den Kommunisten abgewandt. In der ihm eigenen Art rief er öffentlich zur Bekämpfung der KP auf und scheute sich nicht, vor dem „House Un-American Activities Committee“ des Senats alte Freunde als Ex-Mitglieder der KP zu nennen.

    Obwohl Budd Schulberg das Drehbuch nach einer Artikelserie von Malcolm Johnson geschrieben hatte, in der die Korruption und Gewalt in den Docks aufgedeckt worden war, warf man Kazan vor, insbesondere in den Worten Pater Barrys eine versteckte Kritik an den Kommunisten untergebracht und damit Kommunisten mit Gangstern gleichgesetzt zu haben. Kazans spezifischer Individualismus, sein Schwanken zwischen Konservativismus und liberaler Avantgarde durchzieht etliche seiner Filme.

    Marlon Brando schrieb in seiner Biographie, er habe „damals nicht realisiert, ... dass ‚Die Faust im Nacken’ in Wirklichkeit eine Metapher“ für Kazan und Schulberg gewesen sei, „um zu rechtfertigen, dass sie ihre eigenen Freunde verraten hatten“. Doch so ganz eindeutig, wie Brando und andere meinten, ist die Sache eben nicht. Selbst wenn Kazan diese Motivation („notwendiger Verrat“) Terry Malloys als Rechtfertigung für sein eigenes Verhalten benutzen wollte, zeigt sich in der Person im Film doch eher das genaue Gegenteil, nämlich einen Mann, der eher mit den Verfolgten des McCarthy-Ausschusses gleichzusetzen ist. Malloys Verhalten ist alles andere als Ausdruck von Opportunismus, Feigheit oder Arroganz. Er wendet sich ja zu Recht an die Polizei, einerseits um sein Leben zu retten, andererseits um das Leben anderer, das durch Friendly gefährdet ist, zu schützen bzw. weitere Morde zu verhindern. Man sieht also, wie unterschiedlich ein Film gesehen werden kann, je nachdem, welche Motivationslage man berücksichtigt und inwieweit die Absichten eines Regisseurs in einem Film tatsächlich zum Ausdruck kommen oder eher nicht, eher sogar das Gegenteil. Der Verrat Terrys ist letztlich kein Verrat, sondern Mittel zum Zweck der Herstellung von Verhältnissen in den Gewerkschaften, die deren ureigene Aufgaben wieder möglich machen. Der Verrat Kazans ist ein wirklicher Verrat, weil er ehemalige Freunde denunziert hatte.

    Alles in allem ist „On the Waterfront“ daher dann eben doch einer der besten Filme, und nicht umsonst steht er unter den ersten 100 in der Internet-Movie Database-Topliste.

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