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    The Virgin Suicides - Verlorene Jugend
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Virgin Suicides - Verlorene Jugend
    Von Lars Lachmann

    „The Virgin Suicides“ - wie der Titel bereits andeutet, geht es auch in Sofia Coppolas Verfilmung des gleichnamigen Romans von Jeffrey Eugenides um ein in Film und Literatur schon seit Shakespeares „Romeo und Julia“ oder Goethes „Werther“ stets aktuelles Thema: das Schicksal unglücklicher Teenager, das auch in diesem Fall ein tragisches Ende nimmt. Zum einen ist es ein Film über die Teenagerzeit. Und ein Film über Selbstmorde. Was also spielt sich innerhalb dieses thematischen Rahmens genau ab?

    Fünf Schwestern (Kirsten Dunst, A.J. Cook, Hanna R. Hall, Leslie Hayman, Chelse Swain), im Alter zwischen 13 und 17 Jahren, verbringen den größten Teil ihrer Zeit des Heranwachsens innerhalb ihres Elternhauses. Auf diese Weise versuchen die konservativ eingestellten Eltern (James Woods, Kathleen Turner) möglichen Gefahren entgegenzuwirken, die die erwachende Sexualität der Mädchen mit sich bringen könnte. Oder auch die ihrer männlichen Altersgenossen – sei es in der Schule oder in der Nachbarschaft – von denen die Lisbons ihre Töchter am liebsten ganz fern halten möchten. Dabei sind die gleichaltrigen Jungen von Gegenüber (Josh Hartnett, Robert Schwartzman u. a.), aus deren Sicht das Ganze erzählt wird, nicht viel anders als die meisten gewöhnlichen männlichen Teenager auch. Für sie sind Mädchen mystische, geheimnisvolle und unergründbare Wesen, was im Falle der fünf Lisbon-Schwestern aufgrund der erschwerten Zugänglichkeit im besonderen Maße zuzutreffen scheint. Natürlich gibt es unter den local boys auch den einen oder anderen, der bereits genau zu wissen scheint, wie Frauen wirklich funktionieren und dessen Weisheiten die anderen gebannt lauschen... Doch in Situationen des tatsächlichen Aufeinandertreffens mit der holden Weiblichkeit zeigen sie sich letztlich oft genauso zurückhaltend oder unsicher wie die meisten in dem Alter.

    Eine Wendung nimmt diese Ausgangssituation nach dem ersten Selbstmordversuch von Cecilia (Hall), der jüngsten der fünf Schwestern, als diese sich die Pulsadern öffnet. Nach diesem Vorfall sehen sich die Eltern schließlich genötigt, den Empfehlungen des behandelnden Arztes nachzukommen und die Mädchen an einen natürlichen Umgang mit Gleichaltrigen heranzuführen. So wird im Elternhaus eine Party organisiert, zu der auch die vier Jungs von Nebenan eingeladen werden. Leider ist diese Aktion nur wenig von Erfolg gekrönt, da Cecilia währenddessen in einem unbemerkten Augenblick ihrem Leben – diesmal endgültig – ein Ende setzt. Die Umgebung reagiert sehr unterschiedlich auf diesen tragischen Vorfall, von der Verdrängungsstrategie des eher introvertierten Vaters bis zum Versuch der Nachbarsjungen, Cecilias Motive für diese Tat wie ein Puzzle aus ihren Tagebuchaufzeichnungen und nicht zuletzt mit Hilfe von viel Phantasie zu rekonstruieren. Von diesem Punkt an wird die bereits schwierige Ausgangslage der verbliebenen Schwestern im Spannungsfeld zwischen ihren restriktiven Eltern und ihrer gleichaltrigen Umgebung nicht einfacher...

    Sofia Coppola, die im vergangenen Jahr mit „Lost in Translation“ Triumphe feierte, führte bei diesem Drama im Jahr 2000 erstmals Regie und verfasste auch selbst das Drehbuch. Immerhin wurden ihr für diese Leistung 2001 bereits der MTV Movie Award sowie der Young Hollywood Award verliehen, dazu kamen Nominierungen für den Sierra Award sowie für den britischen Empire Award. Tatsächlich gelingt es ihr, an vielen Stellen des Films ein authentisches Bild der Teenagerzeit zu zeichnen, in dem sich viele von uns wiedererkennen werden. Als Paradebeispiel sei die Inszenierung der typischen Teenagerparty im Haus der Lisbons genannt, die von den jungen Darstellern sehr überzeugend dargeboten wird – die neugierigen Blicke, denen auf der anderen Seite blitzschnell ausgewichen wird oder aber der oft unfreiwillig komisch wirkende Versuch, durch Coolness zu überzeugen – wer kennt das nicht?

    Kirsten Dunst kommt mit der Darstellung von Lux, der wagemutigsten der fünf Schwestern, eine der tragenden Rollen im Film zu, die sie brillant auszufüllen weiß. Ihre Figur macht während des Films die intensivste Entwicklung durch, wodurch die Schauspielerin in jeder einzelnen Phase gefordert wird. Auch James Woods in der Rolle des Vaters soll an dieser Stelle lobend erwähnt werden. Mr. Lisbon, von Beruf Lehrer, ist der eher passive und zurückhaltende Part des Elternhauses, der im Grunde in seiner eigenen Welt lebt – vor allem in Szenen, die sich mit Schülern oder Kollegen an der Schule abspielen, überzeugt er - während seine Frau (Kathleen Turner) eindeutig diejenige ist, welche die Hosen anhat und die wichtigen Entscheidungen innerhalb der Familie trifft.

    Eine weitere wichtige Rolle kommt der Musik zu. Zum einen durch den großartigen Score der französischen Gruppe Air, die für den CFCA Award nominiert wurde. Zum anderen innerhalb der Handlung durch die große Bedeutung der zeitgenössischen Musik für die in den 70er Jahren aufwachsenden Jugendlichen. So bricht es Lux spätestens dann das Herz, als ihre Mutter in Form einer erzieherischen Strafmaßnahme von ihr verlangt, sich von ihren liebsten Platten zu trennen. An einer Stelle fungiert die Musik sogar als Kommunikationsmittel, indem sich die Schwestern und die Nachbarsjungen gegenseitig ihre Stücke direkt vom Plattenteller über die Telefonleitung vorspielen – Musik sagt manchmal einfach mehr als tausend Worte.

    Die Filmhandlung wird in der Retrospektive von den vier mit den Lisbons benachbarten Jungs erzählt und erfährt somit bereits eine Kommentierung und Reflexion von einem zeitlich distanzierten Standpunkt aus. Dies wird an einer Stelle des Films sogar besonders deutlich, als eine der handelnden Figuren zur aktuellen Zeit des Erzählens noch einmal vor der Kamera zu den Ereignissen von damals interviewt wird. Nicht zuletzt mit Hilfe dieser perspektivischen Darstellung erfährt das Thema vor allem zum Schluss eine differenzierte Sichtweise: Hier steht schließlich der gesellschaftliche Umgang mit dem Tod im Vordergrund, der sich auch durch die Reduktion des Geschehenen auf Klischees von „unglücklichen Teenagern“ ein Ventil schafft. Die abschießende Aussage thematisiert jedoch – wie auch der Film im Ganzen – das Phänomen Selbstmord in einer darüber hinausgehenden Weise ganzheitlich und somit losgelöst vom Topos des tragischen Teenagertodes.

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