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    Die Farbe Lila
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Die Farbe Lila
    Von Ulrich Behrens

    Eine richtige Geschichte erzählen, Erzählen, das ist wohl die größte Leistung, die das Kino vollbringen kann. Früher gab es Geschichtenerzähler, die von Ort zu Ort gingen, oder in der eigenen Sippe erzählten die Alten den Jungen die Geschichten ihrer Vorfahren. Ein Märchen zu erzählen, ist gar nicht so einfach, denn die Kinder schauen einem dabei oft ins Gesicht und wollen dort ablesen, was die Geschichte zu bedeuten hat, die sie von den Eltern vorgelesen bekommen. Sie achten auf Gefühle, die im Gesicht der Erwachsenen sichtbar werden, auf Gesten, die Furcht oder Furchtlosigkeit, Glück oder Unglück, Trauer oder Freude zum Ausdruck bringen.

    Das Kino ist diesem Vorlesen insofern vergleichbar, als es zuallererst von Bildern lebt, dann erst von Worten. In Mimik und Gestik erkennen wir (oder auch nicht, wenn „es schlecht gemacht ist“), was empfunden wird, das, was auf uns übergreift, unsere Herzen bewegt und unsere Seele erreicht. Das, was man gemeinhin mit „Hollywood“ bezeichnet, ist eine Art und Weise, Kino zu machen, der es gelingt, an die Seelen des Publikums heranzukommen. Rainer Werner Fassbinder hat einmal gesagt, er wolle Kino machen wie in Hollywood – aber ehrlich. Hollywood ist demnach eine ambivalente Angelegenheit. Was da oftmals in die Herzen dringt, ist Rührseligkeit, Kitsch, Verlogenheit, Ideologie und vieles mehr, was man durchaus als unehrlich bezeichnen könnte.

    Aber der Erfolg des amerikanischen Kinos à la Hollywood wäre längst Vergangenheit, wenn es nicht auch andere Filme aus der Kaderschmiede des Kinos geben würde. Zu diesen zählt meinem Empfinden nach Spielbergs „The Color Purple“, in dem Whoopie Goldberg ihr Debüt als Filmschauspielerin gab – und das mit einer Glanzleistung–, und Oprah Winfrey eine Hauptrolle spielte, damals noch unbekannt, jene Oprah Winfrey, die als erste Frau ab 1986 eine Talkshow leitete, die zu den meist gesehenen ihrer Art wurde.

    Der Film geht zurück auf einen Roman, den Alice Walker in Form von Briefen der Hauptfigur auch des Films, Celie, geschrieben hat.

    Celie (Whoopie Goldberg) wächst Anfang des 20. Jahrhunderts auf dem Land im Süden der Staaten auf. In der Anfangssequenz sehen wir sie als Jugendliche (gespielt von Desreta Jack-son), wie sie mit ihrer Schwester Nettie (Akosua Busia) durch eine bunte Wiese läuft. Die Szene trügt. Denn Celie ist schwanger, und das schon das zweite Mal, von ihrem Vater, der das erste wie das zweite Kind weggeben wird. Celie kann nach der zweiten Geburt keine Kinder mehr bekommen. Auch Nettie stellt der Vater hinterher.

    Mit 14 bietet der Vater Celie dem Farmer Albert (Danny Glover) als Frau an. Der Film schildert sodann die Geschichte Celies in den Jahren zwischen der Heirat 1909 und dem Ende der 30er Jahre.

    Die Ehe zwischen „Mister“ – so redet Celie Albert an – und Celie ist geprägt durch Sklaverei und Gewalt. „Mister“ hat schon mehrere Kinder, u.a. Harpo (Willard E. Pugh), und Celie lebt zwischen der Versorgung der Kinder und des Hauses und der Brutalität ihres Mannes. Als „Mister“ dann auch noch ihre Schwester vergewaltigen will, die sich aber heftig zur Wehr setzt, vertreibt Albert Nettie aus seinem Haus – für die Schwestern ein weiteres furchtbares Ereignis in ihrem Leben. Die Briefe, die Nettie Celie schreibt, enthält Albert ihr vor; Celie weiß nichts von diesen Briefen.

    Spielberg konzentriert die Handlung vor allem auf seine weiblichen Darsteller. Wir treffen auf Sofia (Oprah Winfrey), eine anfangs gestandene, energiegeladene Frau, so ganz anders als Celie, eine Rebellin, die sich nichts von Männern gefallen lässt, die in Alberts Sohn Harpo verliebt ist, ihn heiratet, dann aber zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt wird, weil sie der Aufforderung, als Haushälterin der Frau des Bürgermeisters, Miss Millie (Dana Ivey), zu arbeiten, keine Folge leistet und den Bürgermeister (Phillip Strong) in die Hölle wünscht.

    Wir treffen auf die Barsängerin Shug Avery (Margaret Avery), die Frau, in die Albert verliebt ist. Anfangs verachtet Shug Celie („Du bist so hässlich wie die Sünde“), bis sie bemerkt, wie schön, intelligent und gefühlvoll Celie ist. Als Shug Celie küsst, zärtlich mit ihr wird, empfindet Celie das erste Mal in ihrem Leben, was Zärtlichkeit überhaupt ist. Spielberg konzentriert die Beziehung der beiden Frauen jedoch nicht auf deren Sexualität. Die wachsende Freundschaft der beiden steht im Vordergrund der Handlung. In dem von Harpo eröffneten Jazz-Schuppen singt Shug einen Blues ausschließlich für Celie.

    Am Schluss treffen sich alle vier Frauen wieder ...

    „The Color Purple“ erzählt die Geschichte eines Lebens und, wenn man so will, des Lebens. Die Handlung bewegt sich in den Kreisen der afroamerikanischen Bevölkerung, Weiße spielen nur ganz am Rande eine Rolle. Und doch ist die permanente Gewalt in den rassistischen sozialen Strukturen jederzeit spürbar. Diese Gewalt – vor allem die von Männern gegenüber Frauen – hat sich übertragen auf die Lebensverhältnisse der Afroamerikaner. Auch für den Vater von Albert (Adolph Caesar) ist diese Gewalt Normalität in Denken, Fühlen und Handeln, ebenso für Harpo, der allerdings selbst nicht fähig ist, gegenüber Frauen so zu handeln. Harpo ist der Typ eines jungen Mannes, der instinktiv spürt, ohne dass es ihm zunächst bewusst ist, dass diese (ihm wie natürlich vorkommende) strukturell verankerte Gewalt etwas Verwerfliches ist. Spielberg, und vor allem dann eben auch Goldberg, Winfrey und Avery, gelingt es, diese Umstände und diese Lebensweise in ihrer ganzen Bedeutung für die Beteiligten und für uns zu erzählen. Die Bilder sprechen hier die Sprache, nicht so sehr die Worte.

    Unterschiede werden deutlich, vor allem in den Rollen der drei Frauen. Celies Weg ist nicht der der offenen Rebellion. Das Leben heilt sie, obwohl sie permanent misshandelt wird, nicht nur und nicht so sehr nur durch Gewalt. Sie darf kaum reden, sie hat kein eigenes Leben, sie dient lediglich – in einem Zustand der Permanenz. Doch zum Schluss siegt sie und weiß sich im Zustand des Glücks. Ganz anders Sofia. Das Leben schlägt sie, obwohl niemand sie schlägt. Das Gefängnis scheint sie zerbrochen zu haben. Shug hingegen ist eine Frau, die sich aus guten Gründen zunächst an keinen Mann bindet, die ihre Unabhängigkeit durch eine Lebensweise aufrechtzuerhalten strebt, in der kein Mann und keine Kinder und kein Haushalt Platz haben; sie ist Sängerin, eine gute Sängerin, eine mit Stil, mit Herz, mit Seele. Die Musik ist ihre Welt, die Spelunke, das Halbseidene, und dort kann sie ein hohes Maß an Unabhängigkeit bewahren und sich der Gewalt entziehen – bis sie einen Mann, Grady (Bennett Guillory), kennenlernt, der sie als Mensch und als Frau akzeptiert. Und last but not least Nettie, Celies Schwester, die im Ausland ihren Weg geht, von der wir und Celie zunächst nichts erfahren, bis Celie auf die zahllosen Briefe aus vielen Jahren stößt, die Albert ihr vorenthalten hat.

    Die Fährten dieser vier Frauen streben von einem gemeinsamen Ausgangspunkt aus auseinander und am Schluss führen sie wieder zusammen. Zu den stärksten Szenen des Films gehört eine, in der Albert, sein Vater, Harpo, Sofia und Celie am Tisch beim Essen zusammensitzen und Celie beginnt zu reden, über ihr Leben mit Albert, den sie verlässt. Man spürt förmlich, was hier passiert, nicht nur in dem Sinne, dass sich eine Frau nach Jahren der Drangsal weiterer Unterdrückung entziehen wird. Man spürt vor allem, was in Celie vorgeht, was sie bewegt, was sie antreibt. Das gilt für den Film insgesamt. Die Tiefe und das Ausmaß dieses Lebens werden in „The Color Purple“ zu einem unvergesslichen Erlebnis, weil Regisseur wie Schauspieler ausschließlich „bei der Sache“ sind. Man erzählt, ehrlich, ohne irgendeine Form der Rührseligkeit oder des Kitsches, die Bildersprache ist überwältigend, und in keiner Minute des immerhin zweieinhalb Stunden dauernden Films kommt Langeweile auf.

    Für manchen mag der Schluss des Films, in dem Celie die Früchte ihres Lebens erntet, übertrieben positiv sein. Ich empfand dies anders, denn man kann diesen Schluss kaum vom Rest des Films trennen. Geheimnisse werden gelüftet, Intrigen aufgedeckt. Alle vier Frauen sind auf ganz unterschiedliche Weise rebellisch, rebellisch als Menschen, deren Leben man beschneidet. Auch Celie ist eine Rebellin, aber eine stille, eine, die mehr will, als den kurzfristigen Aufstand in einer Umgebung, die sie dafür sofort hart bestrafen würde wie Sofia eine die jahrelang nach dem Moment sucht, dem „Anhaltspunkt“, ihrem Leben die Wendung zu geben, aufgrund derer sie „heil“ wird. Sofia ist die ad-hoc-Rebellin, was man ihr kaum zum Vorwurf machen kann, und sie wird hart bestraft, ohne daran allerdings endgültig zu zerbrechen. Sie rappelt sich wieder auf, und es ist die Freundschaft zu Celie, die ihr Kraft gibt. Und schließlich Shug, die wiederum anders rebelliert, indem sie den Stätten der Gewalt entflieht und in der Musik, im Blues, ihren Lebensinhalt findet.

    „The Color Purple“ ist ein ehrlicher, bedeutender, emotionaler, aufrührerischer und zugleich stiller, urteilender, aber nicht verurteilender Film, in dem man vieles erkennen und nachempfinden kann, was nicht nur für die Figuren des Films Bedeutung hat.

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