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    Geronimo
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Geronimo
    Von Ulrich Behrens

    Nationen, die mit dem Ursprung ihrer Geschichte zu kämpfen haben, vor allem wenn sich durch an diesem Ursprung Blutspuren größeren Ausmaßes feststellen lassen, fällt es schwer, ihre Gründungsakte von dem Geruch des Mythos zu befreien. Die Infragestellung des Gründungsaktes selbst bewirkt nämlich dessen Entkleidung von Heroischem oder gar Menschenwürdigem; was dann bleibt, ist lediglich die Blutspur. Die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika geht einher mit der fast vollständigen Ausrottung der mindestens 1.000 Jahre vorher in Nordamerika eingewanderten Völker, die später als „Indianer“ bezeichnet wurden. Was heute als „ethnische Säuberung“ tituliert wird, hat die „Besiedlung“ des amerikanischen Kontinents begleitet. Das Bild, das davon noch immer in der amerikanischen Öffentlichkeit gezeichnet wird, ist ambivalent. Selbst die revisionistische Geschichtsschreibung krankt eher an der „Verdopplungsstrategie“: Nicht nur die Weißen, auch die „Rothäute“ wären im Kampf nicht „zimperlich“ gewesen. Zudem beherrscht auch diesen Revisionismus die Falschheit einer „political correctness“, die so oberflächlich korrekt wie inhaltlich trügerisch ist.

    1993 nahm sich Walter Hill der Geschichte eines Indianerhäuptlings an, der als letzter von der amerikanischen Armee „befriedet“ wurde: Geronimo – einer der wohl bekanntesten Häuptlinge (der Chiricahua-Apachen) der letzten Stämme, die sich nicht vollständig in Reservate pferchen ließen, (Geronimo ist der Name, den ihm die Mexikaner gaben), eigentlich Heeh-rooh-nee-mooh, der als Kind Gokliya (= der, welcher gähnt) hieß, weil er offenbar den lieben halben Tag gähnte, wurde 1829 geboren und verlor seine Eltern 1837, als eine weißer Skalpjäger namens James Johnson ca. 400 Apachen unter dem Vorwand eines Festes in einen Hinterhalt gelockt hatte. Für einen Skalp gab es Geld. Ausgebildet zu einem kämpfenden Chiricahua überfielen Geronimo und seine Leute vor allem Mexikaner und raubten ihnen Pferde, Esel und Maultiere, um sie in Mexiko an Weiße gegen Gewehre, Munition, Kleidung und Whisky zu tauschen.

    Zwischen 1883 und 1886 versuchte der von der Regierung eingesetzte General Crook, in Verhandlungen mit den Apachen diese zur Aufgabe ihres Kampfes zu bewegen. Nach 1886 versuchte sich in dieser Hinsicht Crooks Nachfolger General Miles, und wenig später konnte der letzte kämpfende Häuptling mit gerade mal zwei Dutzend Kriegern gestellt werden. Geronimo wurde nach Florida verbannt, einige Jahre später dann allerdings (1894) durften die Apachen nach Oklahoma. Dort nahm Geronimo den christlichen Glauben an, schrieb seine Biografie und am 17.2.1909 starb Geronimo an einer Lungenentzündung – noch immer in Gefangenschaft. Erst 1914 durften die letzten Chiricahua-Apachen wieder in ihre ursprüngliche Heimat zurück.

    Hill erzählt die Geschichte aus der Perspektive eines jungen Leutnants namens Britton Davis (Matt Damon), der seine Erlebnisse im Zusammenhang mit den Bemühungen der US-Army zur Festnahme Geronimos erzählt. Gemeinsam mit 1st Lt. Gatewood (Jason Patric) erhält er von dem neuen Armee-Chef für New Mexiko, General Crook (Gene Hackman), den Auftrag, Geronimo zu suchen und ihn und seine Anhänger – wie die anderen Apachen zuvor – in ein Reservat nach Turkey Creek zu bringen. Geronimo ist bereit, sich zu ergeben. Gatewood kennt die Apachen gut, kann ihre Sprache sprechen und hat offenbar sehr viel Verständnis für Geronimo und sein Volk.

    Im Reservat allerdings kommt es schon bald zu Streit. Die restriktiven Lebensbedingungen – u.a. will man die Apachen dazu zwingen, Landwirtschaft zu betreiben, Alkohol ist streng verboten, das Reservat ist im Vergleich zu den Räumen, die die Apachen bislang bewohnten, extrem klein usw. – führen bald zu Zwist und handgreiflichen Auseinandersetzungen. Als ein Apache von einem Mitglied der Truppe um den Scout-Führer der US-Army Al Sieber (Robert Duvall) getötet wird, flüchtet Geronimo mit einem Teil der Indianer Richtung Mexiko.

    Nachdem Crook, der sich als Freund der Apachen ausgibt und Geronimo immer wieder erklärt, nur die Army könne sie beschützen, drei indianische Scouts, die in der Army arbeiten, wegen Hochverrats aufhängen lässt (sie hatten sich während des Konflikts im Reservat auf die Seite Geronimos gestellt) und Geronimo selbst weiße Siedler überfällt und tötet, kommt es erneut zur Jagd auf ihn, bevor ihm Crook etliche Zeit später das Angebot macht, unter noch restriktiveren Bedingungen nach Florida zu gehen, um dort unter strenger Aufsicht zu leben. Als Crook scheitert, wird er durch den wenig zimperlichen General Miles (Kevin Tighe) abgelöst.

    Im Weiteren schildert der Film die Geschichte Geronimos bis zu seiner Kapitulation am 4.9.1886.

    Man muss Regisseur Hill zugute halten, dass er die Absicht verfolgt, dem letzten Apachen-Häuptling und damit den ursprünglichen Einwohnern Amerikas gerecht zu werden. „Geronimo“ ist eindeutig ein Produkt der revisionistischen Geschichtsschreibung. Die Behauptungen von Eroberern und Verfechtern der „ethnischen Säuberungen“ und des Völkermords, das Land, das sie in Beschlag nehmen wollten, sei fast unbewohnt und könne deshalb in Besitz genommen werden, weil die „wenigen“ Einwohner nicht das ganze Land benötigten und unfähig seien, die vorhandenen Ressourcen auszubeuten, die Ureinwohner seien minderwertig oder ähnliches, werden in diesem Film nicht aufgestellt.

    Geronimo wird als kluger, nicht etwa auf seinen eigenen Vorteil bedachter, sondern die wenn auch vor dem Hintergrund der Inbesitznahme Amerikas durch die Weißen veränderte Rekonstruktion der Lebensweise seines Volkes im Auge habender Apache dargestellt. Zu Recht fragt er General Crook, warum die Handlungsweise des Militärs und der Weißen gegen die Apachen und anderen Indianer als Krieg, als „Verteidigung“ bezeichnet wird, während die der Indianer als Mord, Brandschatzung und Plünderung. Zu Recht fragt er Crook zudem, warum die Weißen derart viel Land in Anspruch nehmen, so dass den Apachen nichts mehr bleibt als enge Reservate, in die sie unter den oktroyierten Bedingungen der Weißen gepfercht werden sollen. Geronimo, auch das zeigt der Film, hat sich längst damit abgefunden, dass es eine vollständige Rückkehr zum früheren Leben seines Volkes nicht mehr geben wird.

    Andererseits brandmarkt der Film die Ausrottung der Indianer nicht als Völkermord, als „ethnische Säuberung“. Von der Politik der Apartheid unterscheidet sich der Gründungsakt der USA im Prinzip nicht, nur in Nuancen, historisch anderen Bedingungen usw.

    Es mag sein, dass General Crook, vor allem aber Lt. Gatewood und Lt. Davis Gutes im Sinne hatten. Trotzdem bleibt ihre Rolle angesichts einer eher schwachen Charakterisierung ihrer Figuren im Film nebulös, wenig lebendig. Überhaupt mangelt es dem Film angesichts der Tragweite des historischen Prozesses an Leidenschaft und Energie. Wes Studi bemüht sich, der Figur des Geronimo nahe zu kommen. Aber gerade hier schwankt der Film zu sehr zwischen der Darstellung eines intelligenten, weitblickenden Geronimo einerseits, eines blutrünstigen Geronimo auf der anderen Seite. Zwischen beiden Seiten fehlt das „vermittelnde Element“. Es ist erwiesen, dass die sich verzweifelt gegen den Untergang ihrer Völker wehrenden Apachen, Komanchen usw. Gewalt in allen erdenklichen Formen bedienten, auch gegen wehrlose Siedler, Frauen, Kinder usw.

    Und an diesem Punkt geht „Geronimo“ nicht über die traditionalistische Sicht der amerikanischen Geschichte hinaus. In einem ethischen wie strafrechtlichen Sinne handelte es sich dabei um Mord (auch wenn man berücksichtigen müsste, das das Rechtssystem der Weißen und die Lebensweise der Indianer ganz anderen Voraussetzungen unterlagen). Daran ist nicht zu rütteln. Die Verhaltensweisen der Skalpjäger sind in diesem Sinne ebenfalls Mord. Mord hier, Mord da, dazwischen „vernünftige“ Apachen und „vernünftige“ Weiße, die sich bemühen, der Spirale der Gewalt ein Ende zu setzen – dies ist die Sichtweise des Films. Und genau diese Sichtweise ist eine der Gegenwart, die sich um die Legitimation der Vergangenheit bemüht – wenn auch in guter Absicht. Es wäre fatal, zwischen „gutem“ und „schlechtem“ Mord, zwischen „gerechtem“ und „ungerechtem“ Krieg unterscheiden zu wollen. Aber gerade deswegen ist die Beurteilung des in Rede stehenden historischen Prozesses entlang des Strafgesetzbuchs falsch, weil sie Ursache und Wirkung, Aktion und Reaktion, und damit auch die unterschiedliche Motivation für das Handeln der Beteiligten, das heißt ihre unterschiedliche geschichtliche Bedeutung verwischen würde.

    Es fehlt „Geronimo“ gerade in der Person des Lt. Gatewood an Worten, an verbalem Streit, an Auseinandersetzung jenseits der Kämpfe und Gemetzel. Jason Patric ist in der Rolle des Gatewood ein schweigender, ein stiller Mann. Ob er das wirklich war, sei dahingestellt. Andererseits vermittelt Gatewood auch den Eindruck einer sozusagen „historischen Hilflosigkeit“ in einem Prozess, der im Prinzip längst abgeschlossen ist – die Vernichtung der Indianer und die Einpferchung der Überlebenden in Reservate – und in dem Leute wie er nur noch die Aufgabe haben, den verbleibenden Rest des Prozesses möglichst human abzuschließen. In dieser Zwiespältigkeit sehe ich „Geronimo“ als Film insgesamt. Und vielleicht ist dieser Mangel auch einer nicht nur der revisionistischen Geschichtsforschung und –visualisierung, sondern auch einer der Hilflosigkeit gegenüber solchen Prozessen, die sich im 20. Jahrhundert bis in die nahe Gegenwart immer wieder vollzogen haben und vollziehen.

    Es ginge bei einer nüchternen Beurteilung des Gründungsaktes der Vereinigten Staaten nicht um Rechtfertigung oder Verurteilung, sondern um eine Annäherung an historische Wahrhaftigkeit, um daraus für die Gegenwart Schlüsse ziehen zu können – in einem offenen, das heißt Quellen und Fakten, Prozesse und Personen nicht verschleiernden Diskurs. „Geronimo“ ist – trotz aller Mängel – sicherlich ein Beitrag zu einem solchen Diskurs, wenn auch an vielen Stellen nur auf halbherzige Weise.

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