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    Der große Leichtsinn - The Big Easy
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Der große Leichtsinn - The Big Easy
    Von Carsten Baumgardt

    Müssen Filme perfekt sein, um meisterhaftes Kino zu repräsentieren? Nein, nicht unbedingt. Manchmal reicht es aus, etwas Besonderes auszustrahlen, was kaum ein vergleichbares Werk hat, um außergewöhnliche Unterhaltung zu bieten. Wovon ist hier die Rede? Von Jim McBrides schwül-romantischem New-Orleans-Thriller „The Big Easy”. Der Film besticht durch eine atemberaubend knisternde Atmosphäre und starke Charaktere, welche die recht konventionelle Geschichte in den Hintergrund drängen.

    New Orleans in den 80er Jahren: Der Cop Remy McSwain (Dennis Quaid), Detective in der Mordkommission, ist ein lebenslustiger Mensch und ein guter Polizist dazu. Mit der Gesetzestreue nimmt er es nicht ganz so ernst, ein paar Scheinchen Schmiergeld hier und da sind seiner Ansicht nach okay: „This is The Big Easy. Folks have a certain way o’ doin’ things down here.” Ermittlungen in einem Mordfall bringen ihn mit der ehrgeizigen neuen Staatsanwältin Anne Osborne (Ellen Barkin) zusammen. Während die Polizei von einem Krieg verfeindeter Drogendealer um das Geschäft in New Orleans ausgeht, hat Osborne einen anderen Hauptverdächtigen: die Polizei selbst. Ungeachtet dessen verliebt sich Remy in Anne - aber schon bald kommt es zu beruflichen Konflikten, welche die private Beziehung nahezu unmöglich machen. Nach einigen Verabredungen taut Anne langsam auf, aber als Remy von einer internen Ermittlungseinheit der Polizei beim Schmiergeldeinsammeln (der „Witwen- und Waisenfond“) geschnappt wird, ist die Staatsanwältin stocksauer...

    In den späten 80er Jahren erlangte Jim McBrides Thriller einen kultigen Ruf als vielfach unterschätztes atmosphärisches Meisterstück. Davon ist in der Neuzeit nicht mehr viel übrig geblieben – ebenso wenig wie von der Karriere des Jim McBride („Atemlos“, „Great Balls Of Fire“), der seit den 90ern nur noch für das US-Fernsehen dreht. Doch das Vergessen ist zu unrecht eingetreten, denn „The Big Easy“ ist ein Musterbeispiel dafür, wie ein Film mit viel Herzblut punkten und Schwächen mit einem Handstreich wegwischen kann. Trotz überschaubarem Kinoerfolg zog der Film 1996/1997 eine (recht kurzlebige) TV-Serie nach sich.

    Der stille Triumph des Films baut zunächst auf zwei Komponenten auf. Nummer eins: die Darsteller. Dennis Quaid („Die Reise ins Ich“, „D.O.A. - Dead On Arrival“, „Suspect“, Der Stoff aus dem die Helden sind) und Ellen Barkin („Sea Of Love“, Johnny Handsome, Down By Law) zählten in den 80ern zur ersten Garde Hollywoods. Aktuell ist Quaid (The Day After Tomorrow, Der Flug des Phoenix, Reine Chefsache ) in die zweite Reihe zurückgedrängt worden und Barkin (Palindrome, „Männerzirkus“) fast komplett in Vergessenheit geraten. Ihren besten Auftritt hatten sie eben in „The Big Easy“, in dem sie ihren Figuren eine perfekte innere Spannung verliehen und als sexy Leinwandpaar Funken sprühen ließen. Das Schöne: Auf den ersten Blick als stereotype Charaktere angelegt, offenbart sich hinter der Figurenzeichnung weit mehr als angenommen. Schlägt der Film zu Beginn einen leicht-lockeren Ton an, verändert sich dieser zunehmend, wie die Hauptakteure selbst.

    Für geübte Genrefreunde ist der Clou der Handlung keine allzu große Überraschung, aber das spielt keine Rolle. Nicht das „Wie“, sondern das „Wer“ ist entscheidend und Triebfeder des Ganzen. Neben den beiden herausragenden Hauptdarstellern überzeugt allen voran Ned Beatty ( Network, „U-Boot in Not“, „Beim Sterben ist jeder der Erste“, Der Tiger hetzt die Meute, „Die Unbestechlichen“) in einer herrlichen Rolle als Remys Schwiegervater in spe und Schlüsselfigur des Films. Aber auch Tom O’Brien („The Astronaut’s Wife“) spielt als Bobby McSwain groß auf und vermittelt soviel jugendhaften Charme, dass John Singleton die Essenz des Charakters in seinem Action-Drama Vier Brüder eins zu eins punktgenau übernahm. Die schillerndste Nebenfigur wird von Charles Ludlam, dem kurze Zeit nach den Dreharbeiten an Aids verstorbenen Gründer der New York’s Ridiculous Theatre Company, mit einem umwerfenden Augenzwinkern gegeben: Remys Anwalt Lamar Parmentel fasst die Atmosphäre des Werks messerscharf in einem Satz zusammen: „New Orleans is a marvelous environment for coincidence.“ Zuvor hatte Remy das Hauptbeweisstück gegen ihn auf wundersame Weise unbrauchbar gemacht... Ein unspektakuläres, aber interessantes Cameo ist auch noch zu entdecken: Der ehrenwerte Richter Jim Garrison, gespielt von Jim Garrison, ist der Mann, dessen Theorie zum Mordkomplott an John F. Kennedy Regisseur Oliver Stone 1991 mit seinem Politthriller-Meisterwerk JFK ein Denkmal setzte.

    Erfolgskomponente Nummer zwei ist der Schauplatz New Orleans. Kein anderer Film zuvor oder danach fing diese elektrisierende Atmosphäre der Louisiana-Metropole am Mississippi derart prickelnd ein. Der Cajun-Soundtrack, zu dem Quaid auch ein Stück persönlich beisteuert, unterstützt das aufgebotene Flair tadellos. Jim McBrides mischt einen straighten Cop-Thriller mit einer packenden, erotischen Liebesgeschichte und schafft es, dafür zu sorgen, dass sich die beiden Handlungsebenen nicht gegenseitig im Weg stehen, sondern sich perfekt ergänzen. Der Film hat einen unschlagbaren Charme, bietet Spannung und Witz. „The Big Easy“ ist hochklassiges 80er-Jahre-Jahre-Kino, wie es in Zeiten politischer Überkorrektheit garantiert nicht wieder produziert wird. Der spezielle Stil dieser Dekade ist sowieso schon längst verpönt. Nicht umsonst bezeichnen sowohl Quaid als auch Barkin „The Big Easy“ als ihren Lieblingsfilm... Schließlich gewann Quaid den Independent Spirit Award, den „Indie-Oscar“, als bester Darsteller und auch Jim McBride staubte eine wohlverdiente Nominierung ab.

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