Mein Konto
    Wer früher stirbt ist länger tot
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Wer früher stirbt ist länger tot
    Von Björn Helbig

    Mit „Wer früher stirbt ist länger tot“ liefert Regisseur Marcus Rosenmüller (*1973) sein Debüt ab. Beim Filmfest München gefiel’s sogar so gut, dass Rosenmüller den mit 30.000 Euro dotierten Förderpreis Deutscher Film in der Kategorie „Regie“ erhielt. Die Geschichte um die Irrungen und Wirrungen eines jung gebliebenen 11-Jährigen kann zwar mit einer Menge Einfällen aufwarten, dem Gelingen dieses Films über das Erwachsenwerden steht allerdings sein krampfhaftes Bemühen um schwarzen Humor im Wege. Das interessante Thema wird davon leider gelegentlich überdeckt.

    Seit dem Tod seiner Frau lebt der Wirt Lorenz (Fritz Karl) zusammen mit seinen beiden Söhnen Franz (Franz Xaver Brückner) und Sebastian (Markus Krojer) schon jahrelang allein, was sich nicht besonders vorteilhaft auf die beiden auswirkt. Der 11-jährige Sebastian, dessen Sozialisation zum Großteil in der Schänke seines Vaters und bei den dort ansässigen Stammtischlern stattfindet, glaubt zum Beispiel, dass er verantwortlich für den Tod seiner Mutter ist. So richtig haben die Erwachsenen es nicht geschafft, ihm diese Vorstellung auszutreiben. Deswegen leidet Sebastian unter Schuldgefühlen. Wenn man, wie er von den Erwachsenen weiß, nach dem Tod für seine Süden bestraft wird – und schuld am Tod seiner Mutter zu sein ist für ihn zweifelsohne eine große Sünde – , hilft es nur, denkt sich Sebastian, unsterblich zu werden.

    Auf die Idee für den Film kam Marcus Rosenmüller zusammen mit dem Bassisten seiner Band, als sie unterwegs zum Wendelsteinsender waren, und sie sich ausmalten, den Sender zu überfallen, eigene Songs einzuspielen und so als Rockmusiker berühmt zu werden. So plant auch der Sebastian im Film als Musiker berühmt zu werden, nachdem andere Pläne die Unsterblichkeit betreffend – z.B. Kaninchen durch Strom zu reanimieren oder sich mit seiner Lehrerin Veronika (Jule Ronstedt) fortzupflanzen – nicht erfolgreich waren. Eigentlich ist es eine sehr lohnenswerte Unternehmung, einen Film rund um die Themen Liebe und Tod in einem streng katholischen Dorf in Bayern spielen zu lassen. Und auf dem Papier macht die Geschichte, die sich Lerch und Rosenmüller ausgesponnen haben, zunächst einmal Sinn. Junge hat Angst, post-mortem für den Tod seiner Mutter bestraft zu werden. Junge versucht deswegen zunächst dem Unausweichlichen zu entrinnen. Später versucht Junge sich durch gute Taten von seinen „Sünden“ rein zu waschen, indem er seinen Vater wieder unter die Haube bringt.

    Dass die Geschichte im Film nicht ganz so überzeugend wirkt hat mehrere Gründe. Einer ist sicherlich die Wahl der Mittel, mit denen Rosenmüller den Zuschauer für sich gewinnen will. Dieser scheint so sehr auf Gags bedacht, dass das Bemühen um schwarzen Humor bisweilen schon als manisch bezeichnet werden kann. Stichwort: explodierende Kaninchen. Dem einen wird genau dieses am Film gefallen, denn die Witze sind mitunter aller erster Güte. Vor allem viele Dialoge sind vom Feinsten und gewinnen sogar noch durch den starken bayerischen Dialekt. Je mehr Rosenmüller aber ins Übertriebene abgleitet, desto mehr werden viele die Figuren verlieren. Denn wer sich für Sebastian interessiert oder wer eine ernstere Auseinandersetzung mit dessen Problemen erwartet, der wird sich von dem Humorpegel, der wie ein zu lautes Donnern die Zwischentöne verschlingt, unter Umständen belästigt fühlen.

    „Für mich ist das Besondere die Mischung der Genres. Das Fantastische, Surrealistische, gemischt mit einem traditionellen Volkshumor – ich mag guten Komödienstadl genauso wie Valentin oder Luis Bunuel. In „Wer früher stirbt ist länger tot“ fügen sich die filmischen Elemente aus Fiktion (z.B. das „Fegefeuer“), surreale Bilder und Szenen (wie die „Nudel im Bluttopf“ oder der Wolpertinger-Tanz“) und Realität zu einer stimmigen Story.“

    So erläutert Rosenmüller, was er für das Besondere an seinem Film hält. Damit deutet er bereits einen weiteren Grund an, warum das Werk nur bedingt funktioniert. Sein filmischer Cocktail ist für die deutschen Kinoverhältnisse sicherlich ungewöhnlich und originell. Das heißt aber noch nicht, dass die Mischung von Genres etwas per se gut macht. Am gelungensten ist noch der traditionelle Volkshumor, der dem Film eine charmante Natürlichkeit gibt. Auch die Schauspieler machen in diesem Zusammenhang ihre Sache gut und verkörpern die dörfischen Spezis solide. Genau dieser Natürlichkeit arbeiten die fantastischen Elemente allerdings wieder entgegen, so dass der Film letzten Endes in mehrere Richtungen gleichzeitig zu ziehen scheint. Warum also dieser Stilmix? Rosenmüllers Antwort darauf: „Na, aus Spaß an der Freude!“

    Ein anderes Problem hängt an Schwächen des Drehbuchs. Eine Kleinigkeit: Sebastian denkt weder wie ein 11-Jähriger noch benimmt er sich wie ein solcher. Man würde ihn für ein gutes Stück jünger halten. Schwerer wiegt, dass die Grundstruktur der Geschichte sehr monoton ausfällt: Sebastian bekommt meist zufällig neue Schuldgefühle eingeimpft und hört ebenso zufällig von einer Möglichkeit, sich seiner Schuld zu entziehen, und versucht dieses im Folgenden – meist mit witzigem, bösem oder peinlichem Ausgang – in die Tat umzusetzen. Die Wiederholung dieser Abfolge wir auf Dauer langweilig. Ebenfalls erweist es sich als störend, dass Sebastians Probleme immer wieder herbei konstruiert werden, nur dadurch, dass man in diesem Film nicht miteinander reden kann. Manchmal möchte man die Figuren gerne schütteln.

    Angesichts der zahlreichen Probleme, ist es fast erstaunlich, wie gut „Wer früher stirbt ist länger tot“ letztendlich geworden ist. Trotz aller Kritik ist Rosenmüllers Film für ein Debüt bemerkenswert und schafft es, frischen Wind ins deutsche Kino zu bringen. Vergleiche mit Populärmusik aus Vittula oder C.R.A.Z.Y sind durchaus angebracht, auch wenn deren Qualitäten nicht ganz erreicht werden. Dem Regisseur und Drehbuchautor ist ein Heimatfilm der etwas anderen Art geglückt, der sehr von dem ur-bayrischen Ambiente, den kauzigen Figuren, dem Dialekt und vielen, vielen Ideen profitiert. Und für die, die immer noch nicht überzeugt sind, den Film anzuschauen, noch einmal Rosenmüller auf die Frage „Warum sollte man den Film unbedingt sehen?“ Antwort: „Ja, unbedingt wegen dieser einen Szene, der ganz Bestimmten, dieser einen da, Sie wissen schon, aber die verraten wir jetzt nicht“ Na dann –

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top