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    Amores perros
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Amores perros
    Von Ulf Lepelmeier

    Mexiko-Stadt, Zuhause von rund 22 Millionen Menschen, Stadt der Superlative in punkto Umweltverschmutzung, Zuwanderung und Verbrechen ist der Handlungsort von „Amores Perros“, dem Kinodebüt von Alejandro González Iñárritu, das ihm die Tore in Hollywood weit öffnete und ihn in den US-Medien den Beinamen mexikanischer Tarantino einbrachte. In seinem oscarnominierten Drama versteht es der mexikanische Regisseur meisterhaft, drei unterschiedliche Lebensgeschichten zu erzählen, die durch ein für alle Beteiligten einschneidendes Ereignis mit Wucht zusammenprallen. Eine Schlüsselrolle in diesem intensiven, pessimistischen Drama kommt dabei den Hunden zu, die als Spiegel der auftretenden Personen fungieren und zusammen mit dem Leitmotiv der unerfüllten, zermürbenden Liebe die thematischen Verbindungspunkte zwischen den drei Episoden darstellen.

    Ein Autounfall steht am Anfang des nicht chronologisch ablaufenden Geschehens. In ihn verwickelt ist Octavio (Gael García Bernal), ein junger Mann aus ärmsten Verhältnissen, der in seine Schwägerin (Vanessa Bauche) verliebt ist und mit dieser am liebsten aus dem Großstadtdschungel und der familiären Enge entfliehen möchte. Um diesen Wunschtraum des gemeinsamen Lebens mit Susana zu verwirklichen, lässt er seinen Hund Gofi bei blutigen Hundekämpfen antreten. Ebenfalls in den Zusammenprall verwickelt ist das erfolgreiche Fotomodell Valeria (Goya Toledo), das gegen den Willen der Eltern nach Südamerika kam, um Karriere zu machen. Gerade hat sie eine Wohnung mit dem Zeitschriftenverleger Daniel (Álvaro Guerrero) bezogen, der nun endlich das Versprechen eingelöst und sich von seiner Ehefrau getrennt hat. Dritter Hauptakteur und Augenzeuge des Unfalls ist El Chivos (Emilio Echevarría), ein ehemaliger Sandinist, der als Penner mit seinem Hunderudel durch die Stadt zieht, sich als Auftragskiller verdingt und den Tag herbeisehnt, an dem er seiner Tochter leibhaftig gegenüberstehen kann.

    „Amores Perros“ ist physisch härter, dreckiger und direkter als 21 Gramm, der die Schraube der psychischen Intensität dafür aber noch etwas stärker anzieht als Iñárritus erster Spielfilm. Beiden Werke ist gemein, dass sie hervorragend funktionieren und trotz der Verbindung jeweils dreier Schicksale, was an sich recht konstruiert anmutet, trotzdem authentisch und ergreifend auf den Zuschauer wirken. Dies ist vor allem der Ausgefeiltheit der beiden Drehbücher sowie den guten darstellerischen Leistungen zu verdanken. Im Falle von „Amores Perros“ soll der Regisseur mit seinem Co-Autor Guillermo Arriaga gar 36 verschiedene Versionen innerhalb von drei Jahren entworfen und dann wieder verworfen haben, bevor er sich mit dem Resultat zufrieden gab. Dementsprechend gut funktionieren die drei lose miteinander verwobenen Stories, die in ihrer Verknüpfungskunst an Tarantions Pulp Fiction oder Robert Altmans Short Cuts erinnern.

    Zu Beginn wird der Zuschauer mit schnellen Schnitten und hektischen Wechseln zwischen den einzelnen Episoden mit Wucht in das Geschehen geworfen und von den kraftvollen, stets grobkörnigen Bildern in seinen Bann gezogen. Das erste Drittel thematisiert dabei vor allem die Beziehung zwischen Octavio und Susana und den Überlebenskampf sowie die Gewaltbereitschaft im ärmsten Milieu Mexiko-Stadts. Darauf folgend wird dieser harten Realität die schillernde Welt der Medien gegenübergestellt, in welcher die Vergänglichkeit von Liebe und Glück sowie psychische Qualen im Mittelpunkt stehen. In diesem, wie eine Kurzgeschichte anmutendem Episodenteil wird auch zur Unterstützung der zermürbenden Situation und Stimmung das Tempo gedrosselt. Schließlich führt der dritte Erzählteil mit Gelegenheitsauftragskiller El Chivos die beiden Welten zusammen, da er vor seiner Zeit als Guerillakämpfer und dem darauf folgenden Gefängnisaufenthalt selbst zur Oberschicht gehörte, in der seine Tochter, welche nicht von seiner Existenz weiß, immer noch lebt. Hier geht es letztlich um elterliche Liebe und um Vergangenheitsbewältigung. Die Kamera ist dabei immer so nah am Geschehen und den handelnden Personen dran, dass der Zuschauer sich regelrecht in den dramatischen Ereignissen verlieren kann.

    Was die drei Menschen und die unterschiedlichen thematischen Schwerpunkte verbindet, sind die Hunde, welche ihre Charaktere widerspiegeln sowie unterschiedliche Ausnahmezustände, die mit ihren jeweiligen Liebesempfindungen in direktem Zusammenhang stehen. Während das Verschwinden von Schosshündchen Richi und das nächtliche verzweifelte Scharren die angespannte Situation zwischen Valeria und Daniel noch weiter aufheizt und zudem die angeschlagene Psyche des Modells reflektiert, ist Octavios Hund genau wie sein Herrchen ein an sich friedliches Wesen, das aber in der gegebenen Situation enormen Mut beweist und kämpft. Die streunenden Hunde stehen für ein Leben fern von jeglicher Bindung und Sicherheit, zudem wird der Hund Octavios später noch einen gedanklichen Wandel bei El Chivo herbeiführen.

    Neben dem gut ausgearbeiteten Drehbuch, den gelungenen Bildkompositionen und Schnitten ist es aber auch den Darstellern zu verdanken, dass der Zuschauer einen so großen Anteil an diesem Werk nimmt und durch Mitleiden und Bangen einen Prozess der reinigenden Katharsis durchläuft. Bereits in seinem Erstlingswerk schaffte es Iñárritu, seine Schauspieler zu Bestleistungen anzutreiben. Die Darsteller agieren unheimlich natürlich und unbefangen vor der Kamera, so dass das Geschehen stets real erscheint. Besonders hervorzuheben sind die Leistungen von Gael Garcia Bernal (Babel, La Mala Education), der dem ungestümen Träumer Octavio grandios Leben einhaucht und mit dieser Rolle seinen großen Durchbruch feiern konnte und auch die Darstellung des schweigsamen Killers El Chivo durch Emilio Echevarría. Kein Wunder, dass sich bereits bei Iñárritus nächstem Film „21 Gramm“ Hollywoodgrößen die Klinke in die Hand gaben, um in dem zweiten Teil der Gewalt und menschliche Abgründe behandelnden Trilogie (demnächst: „Babel“) eine Rolle zu ergattern.

    „Amores Perros“ ist ein beindruckendes Kinodebütwerk, welches immer wieder einen Funken Hoffnung innerhalb der drei größtenteils nebeneinander herlaufenden Geschichten auffunkeln lässt, um ihn im nächsten bitteren Moment im Dunst der Großstadt verschwinden zu lassen. Gute darstellerische Leistungen, gekonnte Schnitte und drei hervorragend in Szene gesetzte Episoden um Liebe, Gewalt und Leid machen dieses pessimistische, tiefgründige Drama zu einem Filmjuwel.

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