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    Der Liebeswunsch
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Der Liebeswunsch
    Von Andreas R. Becker

    Im Jahre 2000 erschien der von der Kritik überwiegend positiv aufgenommene Roman „Der Liebeswunsch“ von Dieter Wellershoff. Seine düstere und vertrackte Liebesgeschichte zeichnet dabei nicht nur ein psychologisches Profil von ihren vier Protagonisten, sondern im gewissen Sinne auch exemplarisch das einer bestimmten deutschen Bildungsbürgerschicht. Sechs Jahre später verfilmt dffb-Absolvent Torsten C. Fischer das Buch mit durchaus hochkarätiger Besetzung. In seiner leichten TV-Komödie „Mr. & Mrs. Right“ mit zwei wunderbaren Hauptdarstellern hatte der Regisseur die Liebe auch bereits auf unterhaltsame und kurzweilige Weise zum Thema gemacht. Sein melodramatischer „Liebeswunsch“ aber ignoriert entscheidende Unterschiede zwischen Literatur und Film und kommt deshalb so gewollt hochtrabend daher, dass man sich einfach zu oft in 110 Minuten beim gelangweilten Blick auf die Uhr ertappt.

    Der Selbstmord einer Studentin in Wellerhoffs Bekanntenkreis war der Auslöser für die Arbeit an seinem pessimistischen Roman und steht, gleichsam autobiographisch, auch in der Fiktion am Anfang. Sowohl Roman als auch Film platzieren die Katastrophe in der Exposition und rollen sich danach als hinführende Erklärung ab. Anja (Jessica Schwarz, „Verschwende Deine Jugend“), deren Namen wir jetzt noch nicht kennen, sitzt auf einem Balkon an der deutschen Küste. Wie auch in weiten Teilen des restlichen Films ist das Licht blaugrau und trüb und lässt sofort eine dumpfe Vorahnung aufkommen, die sich schnell bestätigt. Man erahnt nur noch einen Rest ihrer Schönheit, als sich die Studentin auf der Brüstung willenlos dem Verlust des Gleichgewichts hingibt. Doch das ist eben erst das Ende der Tragödie, die an einem sonnigen Tag ihren Lauf nimmt, im dekadenten Haus des Arztes Lars (Ulrich Thomsen, Das Fest) und seiner Frau Marlene (Barbara Auer, die u.a. die Paola Brunetti in diversen Donna-Leon-Verfilmungen mimte). Weil das Paar in den Urlaub fliegt, wird die attraktive Anja engagiert, um Haus und Hof zu hüten. Noch am Tag der Abreise lernt sie dort den mit Paul und Marlene befreundeten Richter Leonhard kennen (Tobias Moretti, bestens bekannt als Richard Moser an der Seite von „Kommissar Rex“). Hals über Kopf, und ohne dass der Zuschauer einen Grund jenseits von Torschlusspanik dafür erkennen kann, vermählen sich Anja und Leonhard – der zuvor mit Marlene verheiratet war, bis diese ihn für Lars verließ. Die zurückhaltende, aber lebenshungrige, junge Anja stößt jedoch schon bald mit ihrer Leidenschaft beim konservativen Leonhard auf eine Wand aus Sachlichkeit und Rationalität. Wie zuvor schon Marlene sucht auch sie Zuflucht, Verständnis und sexuelle Befriedigung beim lässigen Frauenmagnet Lars und ein Strudel aus Heimlichkeiten, Verdächtigungen und Eifersucht öffnet sich unter den befreundeten Paaren.

    Soweit im Westen nichts Neues. Dass man aber einen guten Film machen kann, auch ohne in der Grundkonstellation des Plots eine bahnbrechende Innovation zu platzieren, ist klar wie Kloßbrühe. Die Unzahl an erfolgreichen und beliebten Sujets in Film, Kunst und Literatur, die seit Menschengedenken die irrationalen Wirrungen von Liebe, Schmerz und Ehebruch immer auf’s Neue in den Mittelpunkt rücken, sind der beste Beweis dafür, was uns auf ewig umtreibt und immer wieder spannend ist. Das Problem des „Liebeswunschs“ liegt deshalb weniger im Thema, als in seiner unzulänglichen Umsetzung der literarischen Vorlage. Da dringen zunächst einmal die oft unsäglich geschraubten Dialoge ans irritierte Trommelfell. Es mag ja für die Charakterisierung der Kulturschickeria und ihrem unterkühlten Umgang miteinander sinnvoll sein, das hohe intellektuelle Niveau der Gespräche hervorzuheben. Leider ist Fischer aber mit seinen Regieanweisungen völlig über das Ziel hinaus geschossen. Das Ergebnis ist eine unnatürliche Artikulation der Protagonisten, die in pseudo-philosophischen Höhen fern jeder Umgangssprache schwebt. Durch den Kontrast zur eigentlich entspannten Gesprächssituation am Pool oder beim Essen entsteht dabei manchmal schon fast eine unfreiwillige Komik. Obendrein fühlt man sich als Zuschauer neunmalklug belehrt und versucht, die versteckte, höhere Bedeutung für den Plot zu entschlüsseln. Wenn das im Roman noch geistreich und anspruchsvoll sein mag, so wird es auf der Leinwand zur Peinlichkeit und zum Beleg einer Ignoranz der Regie gegenüber der Natur des Films: Nicht alles, was auf dem Papier steht, kann man seinen Protagonisten wörtlich in den Mund schieben. Besonders unangenehm fällt dies beim Richter Leonhard auf. Kein Jurist, und sei er noch so spießig, drückt sich Tag und Nacht so aus, wie Moretti es seiner Figur aufzwingt und sie damit in eine unglaubwürdige und weltfremde Holzpuppe verwandelt. Da darf man sich dann auch nicht wundern, wenn selbst noch der Sohnemann im Vor-Kindergartenalter mit unsensibel erwachsenem Befehlston herumkommandiert wird. Letztlich bleibt beim Herren Richter bestenfalls die Frage offen, ob es sich um eine einfache Fehlbesetzung handelt oder um eine Regie, die entweder geschlafen oder stümperhaft agiert hat. Denn Moretti konnte zum Glück bereits vor diesem Ausrutscher in anderen Rollen beweisen, dass er den richtigen Beruf ausübt. Befremdlich wirkt auch der merkwürdigerweise erst in der zweiten Hälfte des Films auftauchende Akzent im uninspirierten Voice Over des Dänen Ulrich Thomsen, den man unwissend auch für eine komische Abart des Hessischen halten kann.

    Das verkopfte Geschwafel wird dann auch noch fast pausenlos von einem melodramatischen Score unterlegt, der als penetranter Vorbote das Geschehen überlagert und klingt wie eine schlechte Kopie der oscarnominierten James-Horner-Untermalung von Das Haus aus Sand und Nebel. Deswegen kann auch die Musik nicht das Mitgefühl und Bedauern beim Zuschauer wecken, das Anja wohl zuteil werden soll. Denn mit solchen Emotionen tut man sich ob der holprigen und wenig nachvollziehbaren Handlung wegen von Anfang an schwer. Kaum ist der erste Blickkontakt zwischen der hübschen (und manchmal unmotiviert halbnackt ausgestellten) Studentin und dem stocksteifen Anwalt hergestellt, ist die Heirat auch schon vollzogen. Leider ohne, dass dafür irgendwelche nachvollziehbaren Gründe geliefert werden. Da denkt man sich irgendwann statt „Armes Schwein“ eher „Selber schuld“ und der wenige Humor, der zwischen dieser Schwarzmalerei gelegentlich auftaucht, funktioniert mit seinen steinalten Akademiker-Kalauern als gutgemeinte Auflockerung leider ebenso wenig.

    In diesem Sumpf der Unzulänglichkeiten blitzt als einer der wenigen Lichtblicke eine starke Barbara Auer in der Rolle der Marlene auf. Als die Krise eskaliert und sie Lars damit konfrontiert, demonstriert sie nicht nur ihrem daherstammelnden Ehemann ihre Überlegenheit. Auch findet sich eine schön montierte Szene, in denen sich die roten Bilder einer Sexszene kontrastieren mit blauen, in denen ein Scheidungsbrief mit einem der wenigen klugen Sätze des Films zu Papier kommt: „Jeder darf jeden verletzen, solange es nicht mit einem Messer oder einer Pistole ist.“ (Auch wenn über seine uneingeschränkte Richtigkeit diskutieren mag.)

    Stehen bleibt in der Gesamtbetrachtung aber trotzdem ganz deutlich ein Film, der nur über die emotionale Einbindung des Zuschauers hätte funktionieren können und wegen seiner artifiziellen und forcierten Inszenierung dabei auf fast allen Ebenen misslungen ist. Auf einer Lesung seines Romans sagte Autor Dieter Wellershoff, dass jeder sein eigenes Glück suche, man sich zufällig dabei begegne und dann versuche, die jeweiligen Glücksvorstellungen aufeinander abzustimmen – Scheitern meist inbegriffen. Als hätte er geahnt, dass seine Behauptung schon bald auf die divergierenden Glücksvorstellungen von Regie und Publikum übertragbar werden sollte.

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