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    Peer Gynt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Peer Gynt
    Von Christian Horn

    Bereits zwei Literaturklassiker hat der Berliner Regisseur Uwe Janson im Auftrag des ZDFtheaterkanals in Kooperation mit arte und 3sat erfolgreich fürs Fernsehen adaptiert: „Baal“ von Brecht und Frank Wedekinds „Lulu“. Die Verfilmung des Dramas „Peer Gynt“, das der Norweger Henrik Ibsen 1867 in Italien verfasste, ist die dritte Literaturverfilmung des Regisseurs. Janson wurde 1959 geboren und hat zunächst Soziologie, Politologie und Germanistik studiert, bevor er mit seinem Debütfilm „Verfolgte Wege“ 1989 gleich mehrere Preise abräumen konnte. Der für den Bundesfilmpreis nominierte Film erhielt den Bayerischen Filmpreis, wurde mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ geehrt und sowohl in Cannes als auch in Locarno prämiert. Janson verlegt die Handlung seines „Peer Gynt“ an andere Orte und in die heutige Zeit, behält jedoch die Dialoge größtenteils bei und untermalt seinen Film mit der klassischen Bühnenmusik, die Edvard Grieg für Ibsens Drama geschrieben hatte. Somit wird seine Adaption auch zu einem Diskurs über die Verbindungspunkte zwischen Literatur/Theater, Musik und Film.

    Das zentrale Thema von Vorlage und Verfilmung ist die Suche nach dem eigenen Selbst im Raum zwischen Selbstverwirklichung und Selbstaufgabe. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Verknüpfung mit den beiden ewigen Themen der Kunst, der Liebe und dem Tod. Der Bauernjunge Peer Gynt (Robert Stadlober; Crazy, Sommersturm) lässt sich durchs Leben treiben – er ist ein Träumer, einer, der Zeit verstreichen lässt und immer auf der Suche nach Liebe ist, und auf der Suche nach sich selbst. Seine Mutter (Susanne-Marie Wrage) wünscht sich, dass er endlich eine Arbeit findet und die nicht vorhandene Struktur in seinem Leben durch einen Plan ersetzt. Doch Peers Gier nach Leben und sein Tatendrang zwingen ihn so zu leben wie er es tut, als Draufgänger und Lebenskünstler, Frauenschwarm und Glückspilz. Neben der Beziehung zur Mutter hat Peer seine große Liebe Solvejg (Karoline Herfuth; Das Parfum, Eine andere Liga), die sozusagen die letzte Ruhestelle in seinem Leben ist. Aber sich ganz und gar auf Solvejg und seine Liebe zu ihr einzulassen gelingt Peer – wie bei allem was er anpackt – nicht. Während seine Geliebte zurückgezogen in einer Waldhütte lebt, zieht Peer durch das Land und stürzt sich immer wieder in neue Abenteuer. Dabei begibt er sich immer wieder in die Nähe von Wasser, in dem sich seine immer in Bewegung befindliche Persönlichkeit sinnbildlich spiegelt.

    Beim anderen Geschlecht hat der hübsche und charismatische Peer einen überaus großen Stein im Brett, und ohne Kompromisse macht er von seiner Macht, die er über viele Frauen hat, Gebrauch. Er verletzt sie und trotzdem können sie nicht von ihm lassen. In einer surrealen Szene, in der Peer vom Tod abgeholt werden soll, rettet ihm der Beistand der Frauen das Leben. Eine Braut, die er erst von der Hochzeit entführt, lässt er direkt in der nächsten Szene eiskalt fallen – und dennoch schaut sie ihm mit einem liebevollen und sehnsuchtsvollen Blick nach. Vorher hatte Peer ihr gesagt: „Der Teufel holt die Weiber. Alle, außer einer.“ – „Wen meinst du?“, fragt sie und Peer antwortet: „Dich nicht.“ Und lacht ihr ins Gesicht. Diese Situation, in der Peer im einen Moment sehr zärtlich ist – die Kamera ist ganz nah am Geschehen und erzeugt ein Wohlbehagen beim Zuschauer – und ihr im nächsten Augenblick das Herz bricht, ist typisch für seinen Charakter. Ibsens tragischer Protagonist wird oft als „nordischer Faust“ bezeichnet, mit derselben Zerrissenheit und dem Teufel im tiefsten Innern – zwei Seelen in der Brust, wie Goethes Faust es formuliert. Im Gegensatz zu Faust hat Peer Gynt allerdings einen unbändigen Drang nach vorne, ohne Ziel und dennoch voller Energie wirft er sich in die Lebensfluten.

    Ibsen hatte „Peer Gynt“ zunächst als Gedicht geplant und das Lyrische merkt man der Vorlage und dem Film gleichermaßen an. Das Episodenhafte und die Subjektivität der Erzählung hat Uwe Janson in seiner Adaption übernommen und oft verschwimmen Traum und Realität, Raum und Zeit in einem surrealen Strudel. Der Knopfgießer beispielsweise, der den Tod symbolisiert, ist eine Figur zwischen Wahn und Wirklichkeit. Dass die Grenze zwischen Wunsch- beziehungsweise Albtraum und Realität in Jansons Film nicht immer auszumachen ist, passt sich in das Bild des Tagträumers Peer Gynt ein.

    Ästhetisch liefert Janson einen durchweg gelungenen Film ab und macht deutlich, dass die früher von vielen Filmwissenschaftlern gezogene Grenze zwischen Fernseh- und Kinoästhetik längst überholt ist. In klaren, teilweise fast schon zu schönen Bildern, erzählt er die Geschichte Peers. Die Musik ist, wie eingangs erwähnt, aus Griegs Bühnenmusik entnommen und geht eine stimmige Symbiose mit den Bildern und den Texten ein. Die Szene, in der Peer die Braut entführt, ist ein hervorragendes Beispiel für diese elegante Verschmelzung von drei Kunstformen. Und obwohl die Dialoge größtenteils aus dem 150 Jahre alten Originaltext stammen, wirken sie nicht angestaubt. Den Darstellern gelingt es, ihnen Leben und Natürlichkeit einzuhauchen. Der junge Robert Stadlober, Jahrgang 1982, spielt Peer mit einer Leidenschaft, die glänzend zum Charakter passt und verleiht ihm neben charmanten Zügen auch einen deutlichen Hang zum Narzisstischen. Karoline Herfurth kann als Solvejg ebenfalls völlig überzeugen und findet den Mittelweg zwischen der Darstellung von zarter Verletzbarkeit und weiblicher Stärke. Letztlich weiß auch die Riege der Nebendarsteller zu gefallen: Susanne-Marie Wrage als Mutter, Ulrich Mühe als „Knopfgießer“ und Max Hopp als tobsüchtiger Kapitän brennen sich mit ihrem Spiel beim Zuschauer ein.

    Uwe Janson hat mit „Peer Gynt“ einen stilistisch und inhaltlich überzeugenden Film gedreht, der sich mit zeitlosen Themen beschäftigt, die jeden Menschen in irgendeiner Weise berühren – vor allem die Suche nach (und das Finden von) Liebe als Kern des Menschseins und die Frage nach dem, was nach dem Tod kommt. Mit Edvard Griegs Musik eindringlich unterlegt wird „Peer Gynt“ zu einer vielschichtigen und zeitgemäßen Interpretation eines weltliterarischen Werkes und zu einem filmischen Gedicht, das zwischen „Don Juan“ und „Faust“ pendelt und in dem jede Sequenz eine neue Strophe ist.

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