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    Dabei sein ist alles
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Dabei sein ist alles
    Von Johannes Pietsch

    Den Gebrüdern Peter und Robert Farrelly kommt der zweifelhafte Ruhm zu, dem Genre der Grossout-Comedy den Weg geebnet zu haben. In seiner jüngsten Arbeit „Dabei sein ist alles“ nimmt sich das Brachial-Brüderpaar, diesmal in der Rolle ausführender Produzenten, des heiklen Themas geistig Behinderter an. Für die Regie wurde Barry W. Blaustein verpflichtet, der bislang als Drehbuchautor für die beiden Eddie-Murphy-Projekte „Boomerang" (1992) und „Der verrückte Professor" (1996) in Erscheinung trat. „Dumm und dümmer" hieß 1994 die erste tabubrechende Nonsens-Parade der Farrellys, in der Jim Carrey und Jeff Daniels als furzende Grenzdebile eine Schneise der Verwüstung zogen. Die Kritiker zeigten sich schockierten, das Publikum strömte jedoch scharenweise in die Lichtspielhäuser. Über den soundstarken Kloschüssel-Humor dieser Fäkalorgie konnten einige gar nicht lachen; ebenso wenig darüber, dass einem blinden Jungen ein geköpfter, notdürftig geflickter Wellensittich verkauft wurde.

    Vier Jahre später gehörten die filmenden Unschuldslämmer aus der US-Provinz in puncto schlechten Geschmacks zur internationalen Führungsriege. Mit ihrem kommerziell bislang erfolgreichsten Film „Verrückt nach Mary“ entzogen sich die Farrellys erneut allen feuilletonistischen Moraldebatten: Vielmehr wurde die Szene, in der Cameron Diaz Ben Stillers Masturbationsertrag für Haargel hält, zur Legende. Mit „Ich beide und Sie“ senkten sie die Ekelgrenze um weitere Klafter in Richtung Erdkern. Statt Sperma zur Haarpflege wurden nun Kühe umgenietet und Hühner in Allerwerteste gestopft. Humor ist eben, wenn man trotzdem lacht. Doch die Filme der Farrellys waren nur der Startschuss. Als müsse das prüde Amerika nach zweihundert Jahren Triebverzicht eine wüste Spätpubertät im Kino austoben, machte sich eine grölende Horde von Nachahmern ans Werk, den unterirdischen Niveau-Pegel der Farrelly-Vorlagen nach Leibeskräften noch zu unterbieten, allen voran Keenan Ivory Wayans und der mittlerweile schon dem Verwesungsstadium nahe David Zucker mit ihren unsäglichen „Scary Movie“-Aufgüssen.

    Bei den Initiatoren der filmischen Exkremente-Orgie setzte indes jedoch ein erstaunlicher Sinneswandel ein. Während auf der Kinoleinwand in Sachen Kacken-Kotzen-Kopulieren ein Tabubruch den nächsten jagte, erkannten die Farrellys auf einmal den Reiz wesentlich sanfterer Tonlagen filmischen Humors. Schon in „Schwer verliebt“ verzichteten sie auf besonders unterirdische Rektalzoten, um im Gegenzug im Skurrilen das Menschliche zu entdecken und Außenseitern und Benachteiligten der Gesellschaft ihre Würde zurückzugeben. So ließen sie in „Unzertrennlich“ Greg Kennear und Matt Damen als siamesische Zwillinge Bob und Walt zu Sympathieträgern werden, die unter anderem einen Restaurantbesucher hinauswarfen, der sich über den Anblick von Körperbehinderten beschwert hatte. Auf einmal lachte man mit den Gehandicapten, und die vermeintlichen Normalos mutierten zu Freaks.

    In „Dabei sein ist alles“ treten die ausführenden Produzenten Bobby und Peter Farrelly in Sachen Brechstangen-Humor noch stärker auf die Bremse. Im Original lautet der Titel des Films „The Ringer“, eine Fachvokabel aus dem Pferderennsport, die ein regelwidrig ausgetauschtes Rennpferd bezeichnet. Ein solcher rennender falscher Fünfziger ist Steve Baker, der im bürgerlichen Leben als leitender Angestellter eines amerikanischen Konzerns sein Geld verdient. Aus Mitgefühl engagiert er den in seiner Firma gefeuerten Kloputzer als Gärtner. Als der sich beim Reparieren des Rasenmähers die Hand vertikutiert, greift Steve zu unmoralischen Mitteln, um dem Freund die fingerrettende Operation zu finanzieren: Von seinem durchtriebenen Onkel Gary (Brian Cox) lässt er sich als Läufer bei den Special Olympics World Games einschleusen, der Olympiade für geistig und mehrfach behinderte Menschen.

    Bei den Veranstaltern glaubt der mimisch begabte Steve leichtes Spiel zu haben: Einfach nur einen auf Forrest Gump machen, langsam sprechen und möglichst teilnahmslos in die Luft starren, und schon ist die Qualifizierung perfekt. Dummerweise lassen sich seine überhaupt nicht auf den Kopf gefallenen Sportlerkameraden viel schwerer täuschen als die offiziell normalen, also nicht behinderten Zeitgenossen, und als sich Steve dann auch noch in eine attraktive Betreuerin verliebt, nehmen die turbulenten Verwicklungen ihren Lauf.

    Ausgerechnet der augenrollende Johnny Knoxville, Hauptakteur des brachialen MTV-Formats „Jackass“, überrascht in der Hauptrolle mit einem ungewöhnlich gefühlvollen, sympathischen Auftritt. Überhaupt ist die ebenso humorvolle wie sensible Herangehensweise der Farrellys an das schwierige Thema geistiger Behinderung meilenweit vom gülletriefenden Humorverständnis ihrer früheren Filme entfernt.

    Da hagelt es die Gags und Slapstick-Einfälle lange nicht mehr so wie im „Mary“- oder „Dumm und Dümmer“-Stakkato, dafür gelingt dem neuen Farrelly-Humor weitestgehend die Gratwanderung, weder ins Menschenverachtende à la „Ich beide und sie“ noch in die schnulzige Rührseligkeit eines Forrest Gump abzurutschen. Durchweg haben die behinderten Protagonisten des Films die Lacher des Publikums auf ihrer Seite. Deftige Seitenhiebe gibt es hingegen wie in „Unzertrennlich“ gegen die vermeintlich Normalen und gegen falsche Political Correctness, hier personifiziert durch die Figur des Betreuers Glen, der nach außen den philanthropischen Wohltäter gibt, in Wirklichkeit aber die Behinderten verachtet und gering schätzt. Dargestellt werden die meisten Sportler von echten Behinderten, was dem Film sowohl Authentizität als auch Würde gibt.

    Behinderte sind auch Menschen? Nein, so simpel und einfach gestrickt ist die Botschaft von „Dabei sein ist alles“ wahrlich nicht. Viel eher: Auch Behinderte haben Ecken und Kanten und können einem mit ihrer etwas andersartigen Auffassungsgabe mitunter ganz schöne Schwierigkeiten bereiten. Schade ist, dass den Farrellys im letzten Drittel leider die Gag-Munition flöten geht und der Film ganz zum Schluss sogar in pure Rührseligkeit abgleitet. So bleibt „Dabei sein ist alles“ dem Thema zwar angemessen, als Komödie aber in Summe zu harmlos.

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