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    Caché
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Caché
    Von Björn Helbig

    „Bester Film“, „Bester Regisseur“, „Bester Hauptdarsteller“, „Bester Schnitt“, „Preis der Filmkritik“ - Michael Hanekes Psycho-Drama „Caché“ sahnt bei der diesjährigen Vergabe des Europäischen Filmpreises kräftig ab. Ob der Film beim deutschen Publikum genauso gut ankommt, wird sich zeigen, wenn er Ende Januar 2006 in die Kinos kommt.

    Die Story, die sich Haneke ausgedacht hat, ist einfach, aber gut: Georges Laurents Leben und das seiner Frau gerät aus den Fugen, als sie eine anonym zugeschickte Videokassette erhalten. Eigentlich ist auf diesen Bildern – lange Einstellungen des Hauses der Laurents – nichts Kompromittierendes zu sehen, dennoch beunruhigt die Aufzeichnung die Familie zutiefst: Was will der oder die Fremde, der oder die Georges Leben mit beunruhigender Geduld dokumentiert und ihm die Videobänder zukommen lässt?

    Hanekes Film „Caché“ beginnt stark. Dem Zuschauer präsentiert sich eine nüchterne Einstellung. Zu sehen sind eine Straße, Häuserwände, parkende Autos. Eine Frau verlässt ein Haus, Augenblicke später ein Mann. Stimmen. Der Moment der Irritation setzt mit Beginn des Vorspulmodus ein. Alles, was man bisher sah, war also lediglich eine Aufzeichnung in der Aufzeichnung. So erreicht der Beginn von „Caché“ bereits zweierlei. Zum einen wird sich der Zuschauer bewusst, dass er den ihm dargebotenen Bildern nicht trauen und dass er jederzeit wieder Hanekes Spiel mit dem Film im Film aufsitzen kann. Zum anderen wird er durch den verstörenden Anfang in die richtige Stimmung versetzt, nämlich die Bedrohung, der sich Familie Laurent ausgesetzt fühlt, nachvollziehen zu können.

    Da Georges (großartig gespielt von Daniel Auteuil) erfolgreicher Moderator einer Fernsehsendung ist, vermutet seine Frau Anne (ebenfalls hervorragend: Juliette Binoche, Chocolat, Der englische Patient) anfangs einen verrückten Fan ihres Mannes hinter den geheimnisvollen Aufnahmen. Beistand von der Polizei erhält die Familie nicht, obwohl die Fassade ihres bürgerlich-intellektuellen Lebens durch das Gefühl der Bedrohung nach und nach Risse bekommt, zumal den Videoaufzeichnungen auch noch seltsame, naiv-groteske Zeichnungen beigefügt sind. Diese Zeichnungen, meist Strichmännchen mit blutig-roter Kehle, bringen allerdings etwas in Georges zum Klingen. Die Spur führt Georges in seine Vergangenheit zu Ereignissen, die er unauffindbar in sich versteckt glaubte.

    An Michael Hanekes Film über eine Familie, die durch anonyme Videobänder auseinander zu brechen droht, ist wieder einmal seine Weigerung auffällig, unterhalten zu wollen. Sein Kino will wehtun, und wenn „Caché“ schon nicht so schmerzt wie Hanekes ältere Werke (z. B. „Bennys Video“, „Funny Games“), dann quält hier das permanente, unterschwellige Gefühl der Bedrohung, hervorgerufen durch die langen – die zu langen – Einstellungen, und die enervierenden, von fehlgeschlagener Kommunikation gekennzeichneten Dialoge zwischen Anne und Georges [1]. Wer ist der Tape-Terrorist, der das Eheglück sowie Nerven und Geduld des Zuschauers auf eine harte Probe stellt? Die Frage, wer für die Videobänder verantwortlich ist, gerät in Hanekes filmischem Universum allerdings in den Hintergrund und weicht der Frage von Verantwortlichkeit im Allgemeinen. Denn, so schlicht sich sein Drama auf den ersten Blick dem Zuschauer präsentiert, auf den zweiten, auf den dritten Blick (je nachdem wie viel Zeit man investieren mag), entfalten sich ihm weitere Ebenen. Damit wird „Caché“ beinahe zu einer Art cineastische Matroschka. „Caché“ ist: Psycho-Thriller, ist: Sozialkritik, ist: mediales Experiment, ist: Was immer der Zuschauer und Kritiker in seiner Dunkelheit zu sehen glaubt.

    Vermutlich wird Hanekes neuer Film das Feuilleton wieder einmal zu tiefgeistigen Exkursen verführen – und das Publikum spalten. Manchem Zuschauer wird das Entschlüsseln des Films Spaß machen, andere werden behaupten, die Teile des Puzzles passen nicht zusammen. „Stille Wasser sind tief“, rufen die Befürworter. „Es gibt auch stille Pfützen“, antworten die Gegner. Mancher wird „Caché“ für (wunderbar) verstörend halten, ein anderer fühlt sich zum Narren gehalten, einer manipuliert, ein anderer zum Denken inspiriert. Ebenso werden sich viele an Hanekes filmischer Raffinesse erfreuen – doch ebenso viele werden einen gewissen Ärger auf den Regisseur verspüren, wenn sie merken, dass dieser einmal mehr – diesmal zum Glück viel subtiler als z. B. in „Funny Games“ – von außen in seine Bilder eingreift und deren inhärente Regeln bricht. So kann vermutet werden, dass die Videobänder durch keine Person des Films zu George gelangen.

    Man darf fragen, ob der Film dem Zuschauer Anlass sein könnte für eine Reise in sich selbst, um dort gegebenenfalls die sprichwörtlichen Leichen im eigenen Keller auszuräumen. Das Potenzial dazu hätte er. Michael Hanekes neuestes Werk ist allerdings keines für Leute, die sich schnell langweilen. Wer es aber schafft, sich auf „Caché“ einzulassen, bekommt einen vielschichtigen, hervorragend gespielten und beunruhigenden Film über Schuld geboten, eine Schuld im übrigen, die weit über Georges persönliche hinausreicht und auch als Versagen einer ganzen Gesellschaft gedeutet werden kann. „Caché“ tut weh und das muss er wohl auch, denn nach Hanekes Aussagen ist „Film“ ja grundsätzlich Vergewaltigung. Ob diese Verallgemeinerung zulässig ist, mag dahin gestellt sein – für seine Filme trifft das aber mit Sicherheit zu.

    [1] Auszug aus einem Dialog:

    ANNE Da war ein Schild.

    GEORGES Ich kann´s nicht lesen.

    ANNE Irgendwas mit „nine“? ... Kann das sein? Avenue Lenine

    GEORGES Ja. - Ja, ja. Avenue Lenine. Aber wo? ... Wo hast du den Stadtplan?

    ANNE Warte.

    GEORGES Ah Rom, Romain, Romainville. Das könnte in Romainville sein, Sieh mal, ob du da eine Avenue Lenine findest.

    ANNE Moment. Ja, hier. ... In der Nähe der Métro Mairie des Lilas. Linie 11. ... Hier. ...

    GEORGES Ja? ... Lass sehen. ...

    ANNE Und? Was willst du jetzt machen?

    GEORGES Ich werde hingehen. ... Das ist ganz in der Nähe von Guillaume. Siehst du?

    ANNE Und?

    GEORGES Nichts. Ich werd´ hingehen. Ich werde anklopfen, und dann wird man weitersehen.

    ANNE So einfach ist das?

    GEORGES So einfach. Oder hast du eine bessere Idee?

    ANNE Wie wär´s denn mit der Polizei? Du hast das Video, du hast eine Adresse. Ein Polizist soll mitgehen. Das werden sie doch noch zustande bringen.

    GEORGES Und wenn das Ganze ein Bluff ist? Wenn uns bloß jemand verscheißert?

    ANNE Glaubst du das? ... Ja, im Ernst?

    GEORGES Aber was sehen wir denn auf dem Band? Eine Straße und einen Gang in einem Wohnblock. Die werden sagen, gehen Sie erst mal selber hin, klopfen Sie an die Tür und wenn tatsächlich einer rausspringt und Sie umbringen will, dann kommen Sie wieder vorbei. Voila.

    ANNE Wer kennt das Haus, in dem du aufgewachsen bist?

    GEORGES Ich weiß es nicht.

    ANNE Und das Gebäude kennst du nicht?

    GEORGES Nein!

    ANNE Und wie wär´s, wenn wir eh ... einen Detektiv engagieren?

    GEORGES Du siehst zuviel Fernsehkrimis, oder?

    ANNE Ah. Mit dir kann man nicht reden. Mach was du willst.

    GEORGES Ich hab einen Verdacht.

    ANNE Was?

    GEORGES Ja. Ich glaube, ich weiß wer´s ist.

    ANNE Du weißt, wer es ist?

    GEORGES Ich glaube, ich weiß es.

    ANNE Ja und?

    GEORGES Ja und ? Ich muss mich vergewissern.

    ANNE Sag mal, bist du noch zu retten? ... Lässt du mich vielleicht an deinem einsamen Wissen teilhaben? Schließlich geht´s mich ja auch ein ganz kleinwenig an, oder?

    GEORGES Ich kann´s dir nicht sagen, weil ich es nicht weiß, ha? ... Es ist nur ein Verdacht.

    ANNE Und darüber kannst du mit mir nicht sprechen?

    GEORGES Nein.

    ANNE Also, ich, ich… ich weiß nicht, was ich ... Ist dir eigentlich klar, was du da sagst?

    GEORGES Anne, bitte reg dich ab. Es ist nicht so wie du denkst.

    ANNE Oh bitte, was denke ich denn?

    GEORGES Oh mein Gott, jetzt mach doch nicht so ein Theater. Es ist ein ganz vager Verdacht. Ich möchte keine Pferde scheu machen, bevor ich nichts Genaues weiß. Und es hat absolut nichts mit dir zu tun.

    ANNE Es hat nichts mit mir zu tun? Dann muss ich in den letzten Tagen geträumt haben. Ich hab gedacht, es hätte was mit mir zu tun, wenn ich mit anonymen Anrufen terrorisiert werde, und diesen Scheißvideos. ... Inzwischen traue ich mich nicht auf die Straße. ... Und ich kriege kein Auge mehr zu aus, aus Sorge um Pierrot und dich, … nur wegen diesem ganzen Scheißdreck.

    GEORGES Anne, bitte ...

    ANNE Aber wenn das nichts mit mir zu tun hat, bitte, gehen wir zur Tagesordnung über: möchtest du was essen? Oder soll ich dir vielleicht einen Aperitif holen?

    GEORGES Anne, wenn ich gewusst hätte, dass dich das so ...

    ANNE Ja? Was dann? Dann hättest du deinen Mund gehalten, ja?

    GEORGES Oh ich bitte dich ...

    ANNE Nein, ehrlich. Bist du dir im Klaren darüber, was du mir da zumutest?

    Schon mal was von Vertrauen gehört? Nein?

    GEORGES Merkst du eigentlich, dass du dich genau so verhältst, wie es der Typ mit den Kassetten erreichen will? Er versucht unser Leben durcheinander zu bringen, und du reagierst genauso wie er es möchte.

    GEORGES Kannst du mir nicht mal einfach vertrauen?

    ANNE Du forderst von mir Vertrauen ? ... Ja, wie wäre es denn mal umgekehrt? ... Wenn du mir vertrauen würdest, ha? Wer entzieht hier denn wem das Vertrauen? Stell dir mal vor, es wäre umgekehrt. Stell dir vor, ich hätte gesagt, eh, ich habe einen Verdacht, wer uns terrorisiert, aber ich würde es dir nicht sagen. Toll, nicht? Stellst du dir so eine gut funktionierende Beziehung vor? „auf der Basis gegenseitigen Vertrauens“ ... Ha?

    GEORGES Du solltest dich mal reden hören.

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