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    The Brown Bunny
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Brown Bunny
    Von Björn Becher

    Ein Skandal in Cannes ist für jeden Film eine gute Publicity. Gaspar Noés Irreversibel machte so zum ersten Mal Schlagzeilen, denn man konnte in den einschlägigen Magazinen lesen, in welchen Scharen entsetzte Zuschauer das Kino verlassen haben. Ähnliches passierte ein Jahr danach, im Mai 2003, bei der Vorführung des Dramas „The Brown Bunny“, nach dem hochgelobten „Buffalo ´66“ der zweite Film von Vincent Gallo. Hier verließen die Zuschauer ebenfalls scharenweise den Saal, zuerst weil der Film so langweilig sei und am Ende dann noch aus Entsetzen über einen expliziten Blow Job. Der bekannte US-Filmkritiker Roger Ebert, der ebenfalls das Kino vorzeitig verließ, ließ es sich sogar nicht nehmen, den Film in einem Interview als den schlechtesten in der Geschichte von Cannes zu betiteln. Auch die restliche Kritik äußerte sich dem Film nicht wohlwollender.

    Vincent Gallo reagiert erst gekränkt, mit viel Spott und auch Beleidigungen für seine Kritiker, setzte sich dann aber noch einmal hin. Er schnitt den Film neu, entfernte ungefähr 26 Minuten und zeigt die neue Fassung auf anderen Festivals. Plötzlich ist die Kritik deutlich wohlwollender gesinnt, sogar Roger Ebert fällt ein neues Urteil über den Film (siehe Pressespiegel, Chicago Sun-Times).

    Dieser „The Brown Bunny“ ist ein Vincent-Gallo-Film, so sehr, wie man einen Film nur einer Person zuschreiben kann. Im Vorspann ist nur ein Name zu lesen: Vincent Gallo, der Produzent, Regisseur und Drehbuchautor des Werkes. Ganz nebenbei ist natürlich noch er verantwortlich für Kamera, Schnitt, Casting, Szenenbild, Kostüme und was bei einem Film alles sonst noch so anfällt. Die Musik hat er natürlich auch ausgewählt, aber Überraschung, die Songs stammen von anderen Künstlern. Bevor es vergessen wird, die Hauptrolle bekleidet Vincent Gallo natürlich selbst.

    Jener Vincent Gallo spielt Bud Clay. Zu Beginn erfahren wir von Clay nur, dass er Motorradrennen fährt. Die Kamera beobachtet ihn bei einem dieser Rennen, der Ton bleibt dabei fest an einer Position, so dass die Motorräder mal laut und mal gar nicht zu hören sind. Nach dem Rennen packt Clay sein Motorrad in sein Auto und fährt los. An einer Tankstelle bittet er die junge Verkäuferin Violet (Anna Vareschi) mit ihm zu kommen. Sie lehnt erst ab, sie kennt ihn ja gar nicht. Er bittet sie nachhaltiger, fleht sie förmlich an. Sie kommt mit. Bei ihrem Haus machen sie einen Stopp. Sie will dort noch ihre Sachen holen. Nachdem sie im Innern verschwunden ist, fährt Bud Clay einfach ohne sie weiter.

    Seine einsame Fahrt führt in zu dem Haus, in dem er aufgewachsen ist. Er besucht die Nachbarn, von damals, die ihn nicht mehr kennen. Zum ersten Mal erfährt man etwas mehr über diesen Bud Clay. Es sind die Eltern seiner Jugendliebe Daisy (Chloë Sevigny, American Psycho, Melinda und Melinda), die er hier besucht, und Daisy ist der Grund für seine Einsamkeit. Bis vor kurzen lebte er mit ihr in Kalifornien. Was passiert ist, erfährt der Zuschauer (noch) nicht. So fährt Bud weiter durch Amerika gen Kalifornien, einsam, fast immer allein. Unterwegs trifft er auf einer Raststätte an Lilly (Cheryl Tiegs), später noch auf die Prostituierte Rose (Elizabeth Blake). Immer scheint es für einen kurzen Moment so zu sein, als könnte er seine Einsamkeit überwinden, doch schnell erweist sich dies als Trugschluss. Wie zu Beginn Violet werden auch die anderen Frauen nicht in sein Leben gelassen…

    So driftet Vincent Gallo alias Bud Clay durch einen Film, dem in negativen Kritiken wiederholt vorgeworfen wird, er habe keine Handlung. Das stimmt nicht. „The Brown Bunny“ erzählt von der Einsamkeit und dem Schmerz eines Mannes. Voller Verzweiflung versucht dieser Mann seine Einsamkeit hinter sich zu lassen, was sich schon zu Begin dem Zuschauer offenbart. Der „Flirt“ mit Violet in der Tankstelle ist keiner im herkömmlichen Sinne. Mit zittriger Stimme fleht Bud Violet an, mit ihm zu kommen. Er bettelt um wenigstens ein paar Minuten Zweisam- statt Einsamkeit. „Spannung“, wenn man es denn überhaupt so nennen will, wird durch die unklare Vergangenheit des Bud Clay aufgebaut. Was ist zwischen ihm und Daisy passiert? Diese Frage klärt sich natürlich erst am Finale, einhergehend mit der berüchtigten, sehr expliziten Blow-Job-Szene.

    „The Brown Bunny“ ist ein Film der Langsamkeit und der Stille. Es gibt schier endlose Autofahrten, in den der Zuschauer sieht wie Gallo über die amerikanischen Straßen fährt. Es gibt kaum Dialoge, wenn sind sie meist nur sehr knapp, die Personen oft wortkarg. Wie auch Jim Jarmusch (zum Beispiel in Dead Man) oder Aki Kaurismäki Der Mann ohne Vergangenheit) in einigen ihrer Filme versucht Vincent Gallo gar nicht erst irgendwelche Sehgewohnheiten des Zuschauers zu bedienen, sondern dokumentiert fast ausschließlich den Irrweg seines Protagonisten. Verstärkt wird dies durch den nur spärlich vorhandenen Einsatz von Schnitten. Gallo lässt die Szenen laufen, ein Schnitt kommt meist erst dann, wenn es unvermeidlich ist, weil an einen neuen Ort gesprungen werden muss. Auch der Einsatz von Musik ist sehr spärlich. Nur bei den Autofahrten werden wunderschöne Songs (von Jeff Alexander, Ted Curson, Jackson C. Frank und Gordon Lightfoot) eingespielt.

    Es sollte jedem vor dem Sehen bewusst sein, was ihn mit „The Brown Bunny“ für einen Film erwartet. Wer sich schon im Vorfeld an der Oralsexszene stört, kann genauso einen Bogen, um den Film machen, wie jeder, der von einem Film erwartet, dass dauernd etwas passiert, Bewegung drin ist. Diesen Anspruch kann, will „The Brown Bunny“ nicht erfüllen. Entgegen der durchweg negativen Kritiken zur ersten Cannes-Fassung entpuppt sich die Neufassung des Films aber als positives Kleinod. „The Brown Bunny“ balanciert zwar immer sehr hart an der Grenze zur Langeweile, macht dies aber mit poetischen Szenen, einem groß aufspielenden Vincent Gallo sowie einem harten, so unerwarteten Ende wieder wett. Im Kontext des Endes hat auch der viel gescholtene Blow-Job seinen Sinn und dient nicht nur der sexuellen Befriedigung von Vincent Gallo, wie mancher Kritiker verächtlich schrieb.

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