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    The Descent - Abgrund des Grauens
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    The Descent - Abgrund des Grauens
    Von Claudia Holz

    Erst einmal ein Tipp vorweg: Beim Kinobesuch die Taschenlampe nicht vergessen, denn „The Descent“ hält, was der Horrorfilm aus England verspricht – „Afraid of the dark? You will be!”

    Sechs Freundinnen treffen sich in den Appalachen (einem Gebirge im Nordosten der USA – also weitab vom Schuss), um dort gemeinsam eine Höhlentour zu unternehmen. Doch es kommt, wie es kommen muss. Sie finden sich nicht nur in der falschen Höhle wieder, sie haben sich auch noch verlaufen und nach einem Einsturz ist der einzige Rückweg versperrt. Also kriechen die Frauen verloren durch das enge, dunkle und gefährliche Labyrinth. Doch sie sind nicht alleine. Irgendetwas ist mit ihnen da unten. Irgendetwas Böses. Und es ist verdammt wütend...

    Wie auch schon High Tension und der bald anlaufende Wolf Creek ist „The Descent“ (übersetzt: Der Abstieg) eine erfolgreiche Wiedergeburt der in den 70er Jahren populär gewordenen Überlebenshorrorfilme und stellt sich somit handwerklich solide gegen die Horrorbewegung, die aus Hollywood herüberschwappt, welche aber eher einen gummiartigen Nachgeschmack hinterlässt. „The Descent“ dagegen ist von vorne bis hinten handgemacht und bedient sich altbewährter und dennoch sehr effektiver Tricktechnik, die gänzlich ohne Computeranimationen auskommt und somit umso furchterregender nachwirkt. Für die Genrefreaks dürfte Regisseur Neil Marshall bestimmt ein Begriff sein, denn bereits 2003 überraschte der Brite, vor allem an der heimischen Kinokasse, mit seinem Film „Dog Soldiers“. Obwohl dieser Streifen eine Horror-Komödie ist und deshalb eher nur in großen Gruppen als Partyfilm genossen werden kann, hat Marshall damit schon nachdrücklich bewiesen, dass er Talent besitzt.

    „The Descent“ geht allerdings in eine ganz andere Richtung. Hier bearbeitet Marshall das Genre auf ernsthafte und überaus dichte Weise, spielt gekonnt mit der Angst des Zuschauers und vergeudet keine seiner wertvollen 102 Minuten. Dem Regisseur und Drehbuchautor ist mit dem Film ein Horrorkonzentrat gelungen, das sogar die abgebrühtesten unter den Horrorfans dazu zwingt, sich streckenweise die Hände vors Gesicht zu halten.

    Bereits zu Beginn wird ein Schock abgeliefert, der so prägnant daherkommt, dass er eine geschlagene Stunde nachwirkt. Denn solange lässt Marshall sich Zeit, um seine sechs Protagonistinnen einzuführen und um die Geschichte zu etablieren. Bis dahin passiert erst einmal nichts, was nach „Horror“ schreit. Die Beziehungen der Freundinnen untereinander werden kunstvoll und fesselnd erzählt und die Psychologien alleine liefern so viel Spannung, dass es einer weiteren Ebene gar nicht bedarf. Alle Figuren sind stark und trotzdem sehr unterschiedlich. Angefangen bei Sarah (Shauna Macdonald), die gerade ein schweres Trauma verarbeitet und immer wieder von Visionen heimgesucht wird und endend bei Juno (Natalie Mendoza), die ihre Führungspersönlichkeit nicht verstecken kann und das Alpha-Tier der Truppe darstellt. Zwischendrin gibt es noch die Schwestern Rebecca (Saskia Mulder) und Jessica (Molly Kayll), Sarahs beste Freundin Beth (Alex Reid) und die burschikose Holly (Nora-Jane Noone). Alle haben ihr Päckchen Vergangenheit und ihre Ängste sowie reichlich Konfliktstoff mitgenommen und zusätzlich steigt einem bei jedem Schritt, den die sechs in den Höhlen machen, der Gestank von Gefahr in die Nase. Die Situationen sind vielfältig und atmosphärisch und das vage Gefühl, dass sich da etwas Bedrohliches zusammenbraut, entsteht in der Summe dieser Szenen. Da gibt es zum Beispiel den Totenkopf eines Rehs an der Wand oder auch nur der Untergang einer fiebrigen Sonne und schon bringt Neil Marshall uns in Stimmung. Untertage dann bleibt Sarah fast in einem klaustrophobisch engen Tunnel stecken und bald müssen sich die Frauen sogar über eine tiefe Schlucht hangeln. Auf den eiskalten Fingern der Zuschauer, die sich bereits tief in den Kinosessel oder in den Arm des Sitznachbarn eingegraben haben, bildet sich dadurch zusätzlich noch Angstschweiß.

    Und dann endlich und gänzlich unvermittelt entdecken wir in der Dunkelheit furchterregende Kreaturen, die ihre Beute nach Gehör orten und nichts weiter wollen als rohes Fleisch, welches sie gerne direkt von den Knochen ihrer Opfer reißen und dabei Sturzbäche an Blut freisetzen. Sie sehen ein bisschen aus wie eine Kreuzung aus „Bram Stoker's Dracula“ und Gollum, doch das Schlimmste sind die Laute, die sie von sich geben: Ein Dutzend kastrierter Kater, die auf Bäumen aufgehängt wurden, kommen dem sehr nahe. Diese Monster attackieren blind und zerfleischen alles, was in ihre wütenden, kannibalistischen Klauen gerät. Doch so genau können wir es gar nicht erkennen, denn Marshalls Film ist nicht nur düster in der Aussage, sondern auch in der Lichtsetzung. Und wenn er dann doch mal auf ein Close-Up hält, dann erschrecken die entstellten, zornigen Gesichter der Bestien mit den milchig-trüben Augen zu Tode. Das ist dann der Moment, in dem erneut eine Kehle herausgerissen wird und plötzlich ist es wieder dunkel. Die Bilder sind eindeutig und konsequent. „The Descent“ ist nichts für schwache Nerven oder Ungeübte, aber der Film verlässt sich keinesfalls auf seine Schockeffekte. Vor allem auf emotionaler Ebene weiß er zu überzeugen und verschärft somit die Situation der Protagonistinnen.

    Im Gegenschlag packt Marshall dann noch mal richtig aus, denn unsere Heldinnen können sich wehren! Die eine früher, die andere später, aber zum Schluss explodiert alles in einer tobenden Staubwolke aus Überlebenskampf. Die Schraube an Tempo wird immer weiter angezogen und der Film entwickelt sich von kontrollierter Zeitlupe, über poetische Spannung, bis hin zu blankem Terror. Den Höhepunkt bildet deshalb auch die letzte Szene, die mutig und brutal erzählt ist und, weil die Brutalität einzig und allein im Kopf stattfindet, kann sie sogar als brillant bezeichnet werden.

    Eine konsequente und wirkungsvolle Musikuntermalung mit einem lupenreinen und simplen Score sind ebenso Stilmittel, wie hektoliterweise Blut, welches sich in Tümpeln in den Höhlen sammelt. Marshall kennt einfach die Gesetze des Genres und setzt sie wirkungsvoll ein. Endlich gibt es wieder einen Regisseur, bei dem es ernsthaft lohnt, sich auf den nächsten Streich zu freuen. Marshall hat bewiesen, dass man das Rad nicht neu erfinden muss, um eine tolle Geschichte zu erzählen. Dieser Mann traut sich was und das muss belohnt werden. Vielleicht widerfährt „The Descent“ ja Ähnliches, wie damals Saw: Zunächst ein Sleeper-Hit auf vielen Festivals und schließlich durch reine Mundpropaganda ein Phänomen an der Kinokasse. Neil Marshall und seinem großartigen Ensemble an jungen Schauspielerinnen sei es in jedem Fall zu wünschen.

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