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    Little Children
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Little Children
    Von Björn Helbig

    Fünf Jahre sind seit Todd Fields Regiedebüt vergangen. Nach dem hoch gelobten Erstling In The Bedroom, der 2001 fünf Oscarnominierungen erhielt und insgesamt 27 Festival- und Kritikerpreise gewinnen konnte, wurde es erst einmal still um Multitalent Field, welcher auch als Schauspieler, Drehbuchautor, Produzent und Komponist für Filmmusik tätig ist. Nun sind die Erwartungen an den Nachfolger natürlich sehr hoch. Zu Recht, wie sich zeigt. Denn „Little Children” ist eine glänzend gespielte und fotografierte, hyperreale Filmperle – die vielen Zuschauern allerdings im Halse stecken bleiben wird.

    Wenn man von der Aufregung absieht, die der aus der Haft entlassene Pädophile Ronnie (Jackie Earle Haley) verursacht, als er wieder bei seiner Mutter einzieht, ist East Wyndam ein Vorort wie jeder andere auch, ein Vorort, dessen Bewohner nicht so ganz glücklich sind. Brad Adamson (Patrick Wilson) zum Beispiel. Er kümmert sich um den Haushalt und den gemeinsamen Sohn, während seine Frau Kathy (Jennifer Connelly) das Geld nach Hause bringt. Die Zeit, die seine Frau arbeitet, sollte Brad eigentlich noch für einen Test lernen, den er diesmal endlich bestehen muss, um Anwalt zu werden. Aber so richtig begeistert ist er davon nicht. Deshalb schaut er, wenn er sich nicht gerade hingebungsvoll um seinen Sohn kümmert, lieber der Dorfjugend beim Skatebordfahren zu. Und so richtig glücklich ist auch Sarah Pierce (Kate Winslet) nicht. Seit sie herausgefunden hat, dass ihr Mann seltsamen „Gelüsten“ nachgeht, ist ihre Ehe nur noch eine Farce. Und auf dem Spielplatz, den sie täglich mit ihrer Tochter besucht, ist sie unter den anderen Müttern immer eine Außenseiterin geblieben. Wäre da nicht dieser schöne junge geheimnisvolle Mann (Brad), der zusammen mit seinem Sohn den Spielplatz besucht und der von den Frauen nur „The Prom King“ genannt wird. So richtig zufrieden scheint niemand und doch herrscht in dem sozialen Mikrokosmos des Bostoner Vororts ein Gleichgewicht. Solange, bis Brad und Sarah einen Ausbruch wagen und eine Affäre beginnen.

    „Little Children“ beruht auf einem Roman von Tom Perrotta („Election“, „Joe College“), mit dem zusammen Todd Field auch das Drehbuch verfasst hat. In seiner Themenvielfalt lässt sich das beachtliche Ergebnis gar nicht so leicht in eine Schublade stecken. Wohl ist es an erster Stelle ein Drama, dann aber schon bald eine heiß glühende Romanze, dann Satire und irgendwie auch Thriller. Es ist eine Reflektion über Rollenverhalten, Sehnsucht, Rebellion und Anpassung, Vorurteile und Freiheit. So hat der Film nicht nur mehrere Erzählstränge, sondern verflechtet kunstvoll genannte und weitere Themen miteinander, so dass der Zuschauer gefordert wird, will er den Film zu einem Ganzen zusammensetzen. In dieser Hinsicht ähnelt er Paul Thomas Andersons Magnolia. Auch dort weiß man anfangs kaum, ob und wie sich die verschiedenen Episoden bedingen. In der Vivisektion des Kleinstadtlebens und -geistes erinnert „Litte Children“ allerdings eher an American Beauty, ein Eindruck, der nicht zuletzt durch die gelegentlich spöttisch kommentierende Erzählerstimme (im Englischen gesprochen von Will Lyman), sondern auch durch den Score von Thomas Newman (Road To Perdition, Jarhead) zu Stande kommt, der sich auch hier wieder für die Wohlklänge verantwortlich zeigt.

    Todd Field hat, vielleicht aufgrund seiner eigenen Erfahrungen als Schauspieler (Eyes Wide Shut), ein unglaublich gutes Händchen für seine Darsteller. Ihm gelingt es scheinbar spielend, allen Akteuren seines Films Höchstleistungen zu entlocken – sowohl was Subtilität als auch die großen Gesten angeht. Bis in die Nebenrollen dirigiert Field sein Team souverän (großartig: Noah Emmerich, der als Ex-Polizist Larry Hedges den Außenseiter Ronnie schikaniert), aber die richtigen Blickmagneten sind natürlich Kate Winslet (Titanic, Vergiss mein nicht als Sarah, Patrick Wilson Hard Candy als Brad und Jennifer Connelly (Das Haus aus Nebel und Sand, Blood Diamond) als dessen Frau Kathy. Letztere hat zwar von den dreien die kleinste Rolle abbekommen, doch sie wird es auch so schaffen, ihre Fans zu begeistern. Herausragend agieren allerdings Patrick Wilson und Kate Winslet in ihrem Verlangen zueinander. Es kommt nicht oft vor, dass die Chemie zwischen zwei Schauspielern so gut stimmt und man es im Kino förmlich knistern hört. Kate Winslet wurde übrigens genau wie Ronnie-Darsteller Jackie Earle Haley als beste Nebenrolle für den Oscar nominiert.

    Vergleicht man Fields beide Langfilme, erkennt man sein großes Interesse an der Perturbation (scheinbar) stabiler Systeme. Schon in „In The Bedroom“ ließ er die heile Welt der Protagonisten aus dem Gleichgewicht kommen, um danach ihr Verhalten und die verschiedenen Abhängigkeiten zu analysieren. So ist es in „Litte Children“ auch gar nicht in erster Linie der Pädophile, der die Störung der Ordnung hervorruft, sondern ebenso Sarahs und Brads Rebellion. Auch wenn die beiden Erzählstränge – die Romanze der beiden und das Drama um Ronnie – nicht viel, fast nichts miteinander zu tun haben, kann man sie doch als voneinander abhängig begreifen. Nicht nur thematisch hat sich „Little Children“ ein Stück von seinem Vorgänger abgesetzt; auch die Möglichkeiten des Films versteht Field mittlerweile noch besser einzusetzen. Das Kammerspielartige von „In The Bedroom“ ist einer pointierten Herangehensweise gewichen. Etliche Szenen sind nicht nur großartig gespielt, sondern auch so inszeniert, dass einem die Luft wegbleiben kann. Und damit soll nicht nur die Schwimmbad-Sequenz gemeint sein. Der 1964 in Kalifornien geborene William Todd Field hat sich zu einem fabelhaften Regisseur entwickelt, der die Darstellerleistungen, die Kamera, den Schnitt und die Musik auf kongeniale Weise zusammenarbeiten lässt. Oft wirkt der Film sehr echt, dann wieder hyperreal, ironisch. Die Frage, an welchen Stellen der Film als Metapher und an welchen er als real einzustufen ist, macht sicherlich einen seiner Reize aus. Leichte Probleme bekommt „Little Children“ allerdings dann, wenn er in seinen Beispielen zu dicht – und für Europäer nicht immer völlig nachfühlbar – an der amerikanischen Kultur liegt. Die Themen Spießigkeit, Prüderie und Scheinheiligkeit würden im deutschen Kino sicherlich anders angegangen.

    Insgesamt wurde „Little Children“ für drei Oscars und 21 andere Auszeichnungen nominiert, von denen er immerhin elf tatsächlich gewinnen konnte. „A sharply intelligent and affecting view of suburban blues”, lobt David Denby den Film im Magazin „The New Yorker“. Da möchte man zustimmen. Doch trotz seines hervorragenden Drehbuchs und dem Können aller Beteiligter wird es „Little Children“ schwer fallen, das breite Publikum zu erreichen. Dazu ist sein Inhalt trotz gelegentlichem Humor und ironischer Einschübe einfach zu bitter. Anders als bei „American Beauty“ spendet der Erzähler dem Publikum keinen Trost.

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