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    Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber
    Von Anna Lisa Senftleben

    In den USA verboten, weltweit umstritten und dennoch oder gerade deshalb sein kommerziell erfolgreichstes Werk: Mit seinem fünften Spielfilm „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ bringt Peter Greenaway eine skandalträchtige Geschichte zwischen Drama und schwarzem Humor in gänzlich unkonventioneller Färbung auf die Leinwand – ganz im Stil des avantgardistischen Autorenkinos. Blutig, brutal, ekelhaft auf der einen Seite; voller Symbolik und kraftvollen Bildern auf der anderen. Gefüllt mit Körperflüssigkeiten, Tabus und Sex an ungewöhnlichen Orten, verfeinert mit Mord und Kannibalismus, abgeschmeckt mit etwas Mythologie und religiöser Symbolik kocht Greenaway ein filmisches Meistersüppchen.

    Entgegen der Bedeutungsträchtigkeit des Films lassen sich Handlung, Spielort und die Motivation der Protagonisten recht einfach skizzieren: Täglich trifft sich der Mafiaboss und Möchtegernfeinschmecker Albert Spica (Michael Gambon) mit seiner Frau Georgina (Helen Mirren) im noblem Ambiente des französischen Restaurants „Les Hollandaise“. Angeheizt von seiner Bande aus Kleinkriminellen (u.a. Tim Roth) setzt er alles daran, speziell seine Gattin nach allen Regeln der Kunst zu schikanieren. Gewaltexzesse werden zum täglichen Spektakel und auch Chefkoch Richard Boars (Richard Bohringer), Kellner und Gäste zu Opfern des herrschsüchtigen Kleingeistes. Verständlicherweise entscheidet Georgina eines Tages, sich Zuneigung und Leidenschaft an anderer Stelle zu besorgen. Auf der Toilette der zentralen Filmlokalität verführt sie ausgerechnet den schüchternen Buchhändler und Stammgast Michael (Alan Howard). Aus puristischem Sex wird einfühlsame Liebe, und gedeckt durch Koch und Personal treibt es das heimliche Paar in jedem denkbaren Versteck des „Hollandaise“. Doch der eifersüchtige Albert - wie sollte es anders sein - wittert die Affäre. Eine brutale Hetzjagd beginnt. Und bis es zum finalen Showdown kommt, wird sogar der empfindlichste Zuschauer auf den kulinarischen Höhepunkt des Films bestens vorbereitet sein.

    Bei oberflächlicher Betrachtung erweist sich Greenaways Film als ein mehr oder minder gewöhnliches Rachedrama, das mit brillanten schauspielerischen Leistungen von Oscar-Preisträgerin Helen Mirren (Die Queen) bis zum kleinsten Nebendarsteller glänzt. Außergewöhnlich erscheint dabei vor allem die explizit dargestellte Brutalität sowie die freizügig vorgetragene Sexualität - der zartbesaitete Kinogänger sei hiermit gewarnt! Dennoch: „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ ist weit mehr als ein simpler Tabubruch im exquisiten dramatischen Gewand. Der seit über zehn Jahren in Amsterdam lebende gebürtige Waliser Peter Greenaway ist einer der bedeutendsten Experimentalkünstler der Gegenwart; sein Filmwerk, das nach einer Reihe von Kurzfilmen und Dokumentationen mit „Der Kontrakt des Zeichners“ (1982) erstmals in das Fiction-Genre wechselte, schreit nach einem zweiten (notwendigen) Blick. Besonders weil sich Greenaways Filme schlecht einem bestimmten Genre zuordnen lassen, gibt es auch zu „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ viele unterschiedliche Interpretationen und Wahrnehmungen: Ist der Film eine Kritik an Thatchers Politik der 1980er Jahre oder gar an der gesamten britischen Gesellschaft? Vielleicht ist er aber auch einfach nur brutal und voller Tabus, mit denen der Regisseur bewusst spielt?

    Vor dem geschulten Auge entlarvt sich ein breiter Diskurs, der über eine politische Interpretation weit hinausgeht und zwischen dem tragischen Kunstkonzept der Groteske, der mythologischen Todessymbolik, der niederländischen Stilllebenmalerei, der jüdisch-kabbalistischen Farbenlehre und der abendländischen Religionslehre pendelt. Konsequent kontrastiert der Aschermittwoch-Psalm (gesungen vom Küchenjungen Pup) das blutige Geschehen der Handlung, und wie in einem Bühnenstück sind den Sets stets enge Grenzen gesetzt. Die Räume sind dabei ebenso wie die von Jean Paul Gaultier entworfenen Kostüme in einer bestimmten Farbgebung gehalten.

    Der Außenraum der Küche, deren primäre Farbe Grün ist, wird von der Farbe Blau dominiert, während der Speisesaal rot ist und die Toilettenräume in einem blendenden Weiß erstrahlen. Die orangenen Räume symbolisieren stets Orte der Zuflucht: der orange-grün ausgeleuchtete Krankenhaussaal, in dem der Küchenjunge Pup nach dem Angriff durch Albert Spica und seiner Bande liegt; die orangene Speisekammer, in der sich Georgina und Michael für ihre heimlichen Liebesspiele treffen; und schließlich die orange-golden leuchtende Bibliothek, in der sich die „Geliebten“ vor dem rasend eifersüchtigen Albert verstecken. Die Farbcodes dienen auch der Abgrenzung eines speziellen Themas des Films, nämlich der Esskultur als solche. Die „grüne“ Küche ist der Ort der Nahrungszubereitung, der „rote“ Speisesaal der Ort der Nahrungsaufnahme und der „weiße“ Toilettenraum stellt schließlich die letzte Station des Nahrungsweges dar: Hier ist der räumliche Endpunkt der Nahrungsaufnahme und hier werden alle anderen Farben im strahlenden Weiß vereint.

    Greenaway setzt bei seinen Zuschauern ein breites und universelles Wissen voraus. Genau dies werfen ihm seine Kritiker immer wieder vor. Was aber ist daran so verkehrt? Greenaway war nie ein Hollywoodregisseur, der die breite Masse ins Kino holen wollte. Wie er immer wieder betont, ist das konventionelle Kino für ihn längst Vergangenheit. Mit „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ hat er ein opulentes, schwarzes und groteskes Drama geschaffen, das als einmalig innerhalb der Filmgeschichte angesehen werden kann. Kameraführung, Szenenaufbau und die von Michael Nyman komponierte Filmmusik sind dabei exakt auf die filmische Handlung abgestimmt, ganz im Sinne des pedantischen Schöpfers. Im Kontext des Genrekinos und seinen Verfechtern dürfte Greenaway so kaum punkten; im Rahmen eines intellektuellen Autorenfilms und bei all denjenigen, die sich auf die Ansprüche und Wahrnehmungen des Künstlers einlassen können und wollen, verdient der Film hingegen das Prädikat „Meisterwerk“.

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