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    Picknick am Valentinstag
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Picknick am Valentinstag
    Von René Malgo

    „Picknick am Valentinstag“ ist die vierte Regiearbeit des australischen Ausnahme-Regisseurs Peter Weir (Master And Commander, Die Truman Show, Der Club der toten Dichter). Mit diesem bemerkenswerten Film erlangte er 1975 international Anerkennung und Bekanntheit über den australischen Kontinent hinaus. Ihm gelang ein kleines, aber feines Meisterwerk.

    Australien, Valentinstag 1900. Die Schülerinnen eines Mädcheninternats unternehmen zusammen mit ihren Lehrerinnen einen Ausflug zum Hanging Rock. Vier Mädchen klettern entgegen den Ratschlägen ihrer Lehrerin auf den Felsen und erkunden ihn näher. Auf ihrem Weg werden sie von den beiden jungen Männern Michael (Dominic Guard) und Albert (John Jarratt) beobachtet. Michael fühlt sich sofort von einem der Mädchen, der hübschen Miranda (Anne-Louise Lambert), verzaubert. Als eine Schülerin aufgelöst schreiend zurückkehrt, macht sich Lehrerin Miss McCraw (Vivean Gray) auf die Suche nach den drei übrigen Mädchen. Am Ende des Tages ist auch sie verschollen. Eine am nächsten Morgen gestartete, groß angelegte Suchaktion bleibt ohne Erfolg. Doch Michael ist fest davon überzeugt, dass die Mädchen noch leben. Er macht sich zusammen mit Albert alleine auf die Suche. Doch dann verliert auch Michael sich im Felsmassiv…

    “What we see and what we seem are but a dream, a dream within a dream.“

    Miranda

    Je weniger der Betrachter vorab weiß, desto größer ist die Wirkung dieses traumwandlerischen Films. „Picknick am Valentinstag“ wirkt tatsächlich mehr wie ein mystischer Traum, denn eine den üblichen Konventionen folgende Geschichte. Inszenatorisch und erzählerisch ignoriert Peter Weir die Regeln des guten Filmemachens und kreiert einen hypnotisierenden Film, wie es sonst nur ein David Lynch (Blue Velvet, Mulholland Drive, Lost Highway) schafft. „Picknick am Valentinstag“ ist für all diejenigen zu empfehlen, die eigenwilliger Unterhaltung nicht abgeneigt sind und es mit den beengenden Regeln filmischer Dramaturgie ohnehin nicht so genau nehmen. Anderen kann dieses Werk, meilenweit vom Mainstream entfernt, möglicherweise etwas zu langatmig vorkommen. Peter Weir lässt sich Zeit und pfeift auf einen stimmigen Spannungsbogen - aber das verhindert nicht, dass es sich im vorliegenden Falle um eine äußerst faszinierende Filmperle handelt.

    “A surprising number of human beings are without purpose, though it is probable that they are performing some function unknown to themselves.“

    Marion

    Unberührte, natürliche Urgewalt trifft auf viktorianische Zugeknöpftheit. Mit dem Wörtchen bizarr lässt sich das eigentlich ganz gut beschreiben, als junge Mädchen in weißen, sehr züchtigen Kleidern im Schatten des Hanging Rock durch die ungezähmte Natur spazieren. Es ist heiß, doch die wenigsten wagen es, die schwarzen Strümpfe auszuziehen oder das Kleid zu lüften. Während der Zeit am Hanging Rock scheinen die Mädchen mehr als nur Schülerinnen zu sein; stilisiert zu Ikonen, wirken sie wie Fremdkörper, ja gleich Engeln in der australischen Wildnis. Russell Boyds (Master And Commander) Kameraführung sorgt für die richtigen Bilder, Bruce Smeatons Soundtrack mit den Panflötenklängen von Georghiu Zamfir für eine exquisite musikalische Umrahmung. Hinzu gesellen sich Stücke von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart (aus „Eine kleine Nachtmusik“) und Ludwig van Beethoven (aus „5th piano concerto“). Im Zusammenspiel mit der imposanten Kulisse wird so über die gesamte Laufzeit eine unwirkliche, poetische Atmosphäre erzeugt.

    “Sara reminds me of a little deer Papa brought home once. I looked after it, but it died. Mama always said it was doomed.“

    Irma

    „Picknick am Valentinstag“ lässt viel Raum für Interpretationen. Es handelt von der Außenseiterin Sara (Margaret Nelson), deren Gefühle für Miranda über Freundschaftlich hinausgehen könnten. Es handelt vom eintönigen Leben im Mädcheninternat, von aufwachender und unterdrückter Sexualität. Die Geschichte bleibt nicht nur beim Verschwinden der Mädchen stehen. Geschildert werden auch die Folgen für das Internat und einzelne Personen. Eltern nehmen ihre Kinder von der Schule, was sich auf Einzelschicksale von Lehrerinnen und Schülerinnen auswirkt. In allem bleibt es aber stets bei Andeutungen. Wie genau nun welche Situation zu interpretieren und beurteilen ist, das bleibt dem Zuschauer überlassen. Denn Lösungen, die werden nicht serviert. Wer ob der vielen jungen Mädchen auf vordergründige Erotik spekuliert, kann lange warten. Regisseur Peter Weir hält sich zurück und unterstreicht so eine viktorianische, zuweilen mystische Stimmung. Die Spannung erschließt sich durch das, was nicht gesagt oder gezeigt wird.

    “Everything begins and ends at the exactly right time and place.“

    Miranda

    „Picknick am Valentinstag“ ist ein Ensemblestück. Jede Darstellerin und jeder Darsteller fügt sich untadelig in ihrer/seiner Rolle ein und ragt nur insoweit aus dem Gesamtcast heraus, wie es die Drehbuchvorlage von Cliff Green für Story dienlich und angebracht befindet. Am Ende bleiben viele Fragen offen. Das ist auch gut so. Wäre die Rätselhaftigkeit aufgelöst worden, das Mystery-Drama hätte viel von seiner Wirkung eingebüßt. Anfangs klingt es nach Thriller, Krimi oder gar Horror. In der Tat entwickelt der Film seine ganz eigene Art von Horror und Suspense. Doch einem Genre lässt sich „Picknick am Valentinstag“ so leicht nicht zuordnen. Die 1967 erschienene Romanvorlage von Joan Lindsey deutete an, auf Fakten zu beruhen. Mittlerweile steht fest, dass die ganze Sache eine Fiktion ist. In der Geschichte fällt der Valentinstag auf einen Samstag, tatsächlich war dem 1900 nicht so. „Picknick am Valentinstag“ ist eine eindrückliche Fiktion, die zum Nachdenken anregt und einem noch lange nach Genuss des Films nicht loslässt. So sollte anspruchsvolles Arthouse-Kino sein.

    “There's some questions got answers and some haven't.“

    Mr. Whitehead

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