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    Todeszug nach Yuma
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Todeszug nach Yuma
    Von Carsten Baumgardt

    Der Western ist tot. In den 70er Jahren hat dieses ur-amerikanische Genre die letzten Atemzüge seiner Hochzeit ausgehaucht. Hin und wieder röchelte er noch, zuletzt 1994 am eindrucksvollsten in Clint Eastwoods Erbarmungslos, doch selbst dieser große Oscarerfolg half dem Patienten nicht nachhaltig auf die Beine. Die Zeit des Westerns ist einfach vorbei. Daran wird auch James Mangolds „3:10 To Yuma“ (wenig treffsicher-reißerisch deutsch getitelt: „Todeszug nach Yuma“) nichts ändern. Der Film löst garantiert keine Renaissance aus. Aber: Das Remake von Delmer Daves Original (mit Glenn Ford und Van Heflin) aus dem Jahr 1957 ist schlicht und einfach ein grandioses Stück Kino, das unabhängig vom Genre Wert ist, gesehen zu werden. „3:10 To Yuma“ ist ein klassischer, jedoch mit modernen Mitteln inszenierter Western, der als herausragendes, perfekt gespieltes Charakterdrama brilliert.

    Der Farmer Dan Evans (Christian Bale) bringt seine Frau Alice (Gretchen Mol) und die beiden Söhne William (Logan Lerman) und Mark (Benjamin Petry) in dem kleinen Kaff Bisbee an der mexikanischen Grenze in Arizona nur schwer über die Runden. Das nagt am Selbstbewusstsein des ehemaligen Scharfschützen, der im Bürgerkrieg ein Bein verlor und ihn zusätzlich behindert. Den Respekt seines 14-jährigen Sohnes William hat Dan längst verloren. Die Schulden türmen sich auf, deshalb fällt die Scheune der Evans‘ einem Feuer zum Opfer, um sie zum Zahlen zu bewegen. Als Dan und William Zeuge eines Bankkutschenüberfalls durch den berüchtigten Outlaw Ben Wade (Russell Crowe) und seiner kompromisslosen, brutalen Gang werden, wendet sich das Blatt. Der clevere Wade fühlt sich zu sicher und fällt dem verwundeten Kopfgeldjäger Byron McElroy (Peter Fonda), dem Dan das Leben gerettet hat, in die Hände. Dan sieht seine Chance, Geld zu machen. Eine Gruppe soll Wade in einem mehrere Tage dauernden Ritt nach Contention bringen, um dort den Gefangenentransportzug nach Yuma um 3:10 Uhr zu erwischen. Doch der Weg ist hochgefährlich: Er führt durch Indianergebiet und Wade weiß nur zu gut, dass seine Rechte Hand Charlie Price (Ben Foster) und seine Leute alles daran setzen werden, um ihn mit aller Härte zu befreien. Doch Dan braucht die ihm gebotenen 200 Dollar und schließt sich an, Wade zu überführen - ohne zu ahnen, dass sich sein Sohn William, der den smarten Gangster Wade insgeheim bewundert, an die Fersen des Treks geheftet hat...

    Warum Regisseur James Mangold (Walk The Line, Cop Land, Durchgeknallt - Girl Interrupted) sich für sein Western-Debüt Delmer Daves Werk nach einer Kurzgeschichte von Elmore Leonard (Jackie Brown, Out Of Sight, „Get Shorty“) ausgesucht hat, wird schnell klar. Im Gegensatz zu all den grimmigen Abgesängen auf das Genre – von den Italo-Western über Eastwoods „Erbarmungslos“ bis hin zum US-TV-Hit „Deadwood“ – die seit der Blütezeit in den 50er und 60er Jahren in der Folge auf die Leinwände kamen, orientiert sich Mangolds Neuversion, wie zuletzt übrigens auch Kevin Costner mit seinem Open Range, an den klassischen Werten. Die Story ist denkbar einfach, aber unter der Oberfläche verbergen sich tiefe Abgründe, die Mangold ganz offensichtlich gereizt haben, diesen Stoff anzugehen. „3:10 To Yuma“ ist eine vielschichtige Fabel über Moral. Über Gut und Böse... und vor allem die Grauschattierungen dazwischen. Dan Evans ist ein rechtschaffender Mann, der an das Gesetz glaubt und es bis zum Letzten verteidigt. Nicht nur, um aus der Schuldenfalle zu kommen, sondern weil er es für seine Bürgerpflicht hält, für das Recht einzutreten. Ihm gegenüber steht mit Ben Wade ein ungemein charismatischer Bösewicht, der in seiner Intelligenz allen anderen weit überlegen ist, womit der Gangster auch nur zu gern kokettiert. Er inszeniert sich selbst, ist ebenso gefährlich wie charmant und gebildet. Hinter diesen zwei „Gesellschaftsmodellen“ blickt Dans Sohn William hervor, der nie so werden will wie sein, in seinen Augen, feiger Vater. Deswegen bewundert er den coolen Wade. Im Laufe der langen Reise entbrennt so ein unterschwelliger Kampf um die Seele des Jungen, der sich entscheiden muss, welche Richtung er in seinem Leben einschlagen will.

    „3:10 To Yuma“ lebt vordergründig von zwei überragenden Stärken: der erstklassigen Charakterstudie um Recht und Unrecht und dem grandiosen Spiel der Darsteller. Erst dahinter kommt die Action, die immer nur dann stimmig in Szene gesetzt wird, wenn es für die Handlung notwendig ist - inklusive einem fast 30-minütigen, atemberaubenden, konsequenten Showdown der alten Schule. Die Actionelemente sind hart, aber nicht überhart-dominant und zudem präzise inszeniert - ohne unnötigen postmodernen inszenatorischen Schnickschnack.

    Doch das Herzstück ist das Schauspiel, das schlichtweg überragend ist. Mit Christian Bale (Rescue Dawn, The Machinist, Batman Begins) und Russell Crowe (A Beautiful Mind, L.A. Confidential, Insider) treffen die beiden besten Mimen ihrer Generation aufeinander. Auf den ersten Blick ist die Rolle des westernerprobten Crowes (Schneller als der Tod), die ihm sichtlich auf den Leib geschrieben ist, die einfachere. Der Australier spielt die Ambivalenz des Outlaws Wade genüsslich aus. Obwohl er offensichtlich böse ist, fällt es dem Zuschauer dennoch nur zu schwer, ihn nicht zu mögen - zu gut ist Crowes charismatische Performance. Dieser Anziehung kann sich schließlich auch William im Film nicht entziehen. Wades Charakter offenbart immer wieder neue Facetten, die ihn hochinteressant machen. Wade mag Evans sogar auf seine Art und Weise, obwohl der ihn hinter Gitter bringen will. Auf der anderen Seite steht der gradlinige Farmer, dessen Figur standhaft steht und nicht ins Wanken kommt. Was sich eindimensional anhört, ist in der Verantwortung von Christian Bale ein Ereignis, weil er Evans so anlegt, dass durch sein Verhalten das seiner Umgebung nachhaltig beeinflusst und zu Reaktionen gezwungen wird.

    Die Riege der Nebendarsteller fällt im Vergleich zu den grandios agierenden Topstars kaum ab. Erwähnenswert ist Peter Fonda (Easy Rider), der seinen Kopfgeldjäger McElroy kaltherzig und hartgesotten gibt. Doch die ganz große Show ist Ben Foster (11:14, Hostage). Fand sein erruptives Schauspiel noch in Nick Cassavettes Drogen-Drama Alpha Dog (2006) keinen Wiederhall, fällt es in „3:10 To Yuma“ auf fruchtbaren Boden. Dieser Charlie Price, Wades treu ergebener zweiter Mann, ist unbarmherzig bis ins Mark. Damit übernimmt er die eigentliche Bösewichtfunktion, die Crowe durch seinen immerhin zwiespältigen Charakter gar nicht vollständig ausfüllen kann (und soll). Foster bringt sich mit seiner furiosen, eiskalten Bravourleistung in die Anwärterschaft auf eine Oscarnominierung, die Crowe und Bale in gleichem Maß verdient hätten.

    Fazit: „3:10 To Yuma“ ist weder eine Genrerevolution noch irgendwie postmodern-hip, sondern lediglich zeitgemäß inszeniert. Der Old-Fashioned-Western begeistert als komplexe Morallehrfabel, die zwar durchaus die Schwermütigkeit eines „Erbarmungslos“ in sich trägt, aber nie als Abgesang auf den Western zu verstehen ist, sondern als packendes Psychoduell, in dessen Sog nicht nur die weiteren Charaktere des Films geraten, sondern dem sich auch der Betrachter kaum entziehen kann. „3:10 To Yuma“ ist meisterhaftes Erzählkino, das dem totgesagten Westerngenre frischen Wind einhaucht, aber keine Welle von neuen Produktionen nach sich ziehen wird. Aber zumindest bereitet das Werk dem Genre alle Ehre und streut Wehmut, dass diese Zeit offenbar - bis auf kleine Ausnahmen - vorbei ist.

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