Mein Konto
    Spartacus
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Spartacus
    Von Ulrich Behrens

    Ein „Sandalenfilm" von Stanley Kubrick? Der damals 31-jährige Regisseur hat wohl nie vorher und nach „Spartacus" einen Film gedreht, in dem derart wenige Ideen von ihm selbst realisiert wurden – heißt es zumindest in einigen Filmkritiken. Sicherlich: Die Handschriften Dalton Trumbos, der das Drehbuch schrieb, und Kirk Douglas, der den Streifen produzierte, sind deutlich zu erkennen. „Spartacus" war Kubricks einzige Auftragsarbeit. Nichtsdestoweniger geht Kubrick in „Spartacus" dem Thema „Freiheit und Individuum" in ähnlicher Weise nach wie viel später in „Barry Lyndon".

    Douglas hatte Trumbo (*1905, † 1976) übrigens unter einem Pseudonym als Drehbuchautor verpflichtet. Trumbo stand auf der sog. „Schwarzen Liste", weil er im Zuge der McCarthy-Verfolgungen „unamerikanischer Umtriebe" bezichtigt wurde. Trumbo hatte das „Verbrechen" begangen, vor dem entsprechenden Ausschuss, dem auch Richard Nixon angehörte, auf die Frage, ob er Mitglied der kommunistischen Partei sei, nicht zu antworten. Zwischen 1943 und 1948 war Trumbo Kommunist. Ein Jahr Haft und zwölf Jahre auf der „Schwarzen Liste" waren die Folgen. 1971 führte er selbst Regie, als er seinen eigenen Antikriegsroman „Johnny Got His Gun" inszenierte. Bis heute ist nicht vollständig bekannt, für welche Filme Trumbo Drehbücher geschrieben hat (1). Trumbo hatte dazu auch später nichts verlauten lassen, um die Autoren, die formal mit ihrem Namen zeichneten, nicht zu gefährden oder in Misskredit zu bringen.

    Trumbo trug jedenfalls mit zu Kubricks internationalem Durchbruch bei.

    Die auf DVD erhältliche Version des Films ist eine überarbeitete Fassung, in der u.a. auch eine Szene, in der Crassus gegenüber seinem Sklaven Antoninus seine Bisexualität offenbart („Ich mag Austern und Schnecken"), wieder aufgenommen wurde. Robert E. Harris rekonstruierte den Film so, wie Kubrick ihn wollte, aus Originalmaterial.

    Rom im ersten Jahrhundert vor Christi. In Thrakien muss der Sklave Spartacus (Kirk Douglas) in einem Steinbruch arbeiten. Batiatus (Peter Ustinov), der vom Verkauf von Gladiatoren für die römischen Arenenkämpfe in Capua lebt, kauft Spartacus, der eigentlich getötet werden soll, weil er einen römischen Aufseher ins Bein gebissen hatte. Mit etlichen anderen Sklaven erhält er eine Ausbildung durch Batiatus Oberausbilder Marcellus (Charles McGraw). Den Sklaven, die nachts in von oben einsehbaren Einzelzellen eingesperrt werden, werden regelmäßig Sklavinnen zugeführt. Spartacus lernt so die schöne Varinia (Jean Simmons) kennen, schläft nicht mit ihr, verliebt sich aber unsterblich in sie.

    Als der römische Senator und Patrizier Crassus (Laurence Olivier) mit seinem Gefolge – dem Kohortenführer Glabrus (John Dall), Helena Glabrus (Nina Foch) und Claudia Marius (Joanna Barnes) – bei Batiatus erscheint, wünschen besonders die Frauen, einen Gladiatorenkampf zu sehen. Spartacus muss gegen den Äthiopier Draba (Woody Strode) antreten. Als er schon besiegt scheint, weigert sich Draba, Spartacus zu töten. Statt dessen geht er auf Crassus und sein Gefolge los und wird vom Speer eines Soldaten getötet.

    Als der sadistisch veranlagte Marcellus Spartacus einmal wieder provoziert, geht Spartacus auf ihn los und ertränkt ihn in einem Essenstopf. Die anderen Gladiatoren schließen sich dem Widerstand an und können die Soldaten besiegen. Batiatus entkommt im letzten Augenblick mit Varinia, die Crassus von ihm gekauft hat, Richtung Rom.

    Spartacus und die anderen entflohenen Sklaven ziehen plündernd durchs Land und befreien etliche Sklaven. Viele Sklaven fliehen und schließen sich dem Aufstand an.

    In Rom versucht Crassus, den Sklavenaufstand für seine Ziele zu nutzen. Er will die Herrschaft des „Pöbels" beseitigen und sich zum Diktator machen. Ihm gegenüber steht der Anführer des „Volkes", Gracchus (Charles Laughton), der auf geschickte Weise dafür sorgt, dass Crassus Vertrauter vom Senat zum Heerführer über sechs Kohorten erwählt wird, die den Sklavenaufstand beenden sollen. Die verbleibenden Kohorten werden einem anderen Vertrauten Gracchus unterstellt: Julius Cäsar (John Gavin).

    Spartacus sorgt zur gleichen Zeit dafür, dass seine Gefolgsleute sich nicht dadurch an den Römern rächen, dass sie diese in tödliche Gladiatorenkämpfe schicken. Auf dem Zug der Sklaven Richtung Süden trifft Spartacus Varinia wieder, die dem unbeholfenen Batiatus entfliehen konnte. Sie liebt Spartacus wie er sie. Als Varinia ihn fragt, was er vor hat, erzählt ihr Spartacus, er wolle an die Küste nach Brundisium (Brindisi), damit alle Sklaven mit Hilfe von Piraten, die ebenfalls gegen Rom kämpfen, in ihre Heimat zurück können. Er will nicht mehr kämpfen müssen. „Wer hat schon den Wunsch zu kämpfen. Auch ein Tier kämpft nur, wenn es muss." Er sei jetzt frei. Aber was wisse er schon, er könne nicht einmal lesen. Er wisse nichts. Aber ab jetzt möchte er alles wissen. Warum die Sonne untergeht und woher der Wind komme. Und er wolle wissen, warum Varinias Herz schlage und warum sie atme. Für kurze Zeit herrscht ein sanfter Frieden im Lage der entflohenen Sklaven.

    Der Unterhändler der Piraten, Tigranes Levantus (Herbert Lom), mit dem Spartacus über den Verkauf von Schiffen verhandelt, äußert Zweifel, ob Spartacus und seine Leute jemals Rom entkommen könnten. Wenn er in eine Kristallkugel schauen könne und sehen würde, wie er und seine Anhänger von den römischen Soldaten niedergemetzelt würden, würde er dann immer noch planen, Rom zu entkommen, fragt ihn Levantus. Spartacus antwortet:

    „Was verlieren Sklaven? Alle Menschen verlieren, wenn sie sterben, und alle Menschen sterben. Nur dass ein Sklave beim Tod etwas anderes verliert als ein freier Mensch."

    Levantus: „Beide verlieren das Leben."

    Spartacus: „Wenn ein freier Mensch stirbt, verliert er die Freude am Leben. Ein Sklave verliert den Schmerz. Der Tod ist für einen Sklaven der Weg in die Freiheit. Deshalb ist er ohne Furcht vor ihm. Und deshalb werden wir gewinnen."

    Spartacus und seine Männer schlagen die von Rom entsandten sechs Kohorten und nehmen Glabrus gefangen. Spartacus lässt Glabrus nach Rom zurückkehren, um dem Senat zu melden, dass die Sklaven nichts von Rom fordern – außer ihre Freiheit.

    Glabrus wird vom Senat wegen der Schande der Niederlage verbannt. Crassus hingegen, der vortäuscht, sich ins Privatleben zurückziehen zu wollen, plant, die Führung des Kampfes gegen Spartacus zu übernehmen. Doch dafür verlangt er Vollmachten, deren Durchsetzung der Diktatur gleichkommen würde, die er immer anstrebte. Der schlaue Gracchus durchschaut seinen Widersacher und nimmt heimlich Kontakt mit den Piraten auf. Die sollen Spartacus ruhig helfen. Sind die Sklaven erst einmal auf dem Meer, kann er Crassus Pläne durchkreuzen.

    Crassus hingegen besticht die Piraten, die sich mit ihren Schiffen aufs Meer zurückziehen. Die Heerführer Pompeius und Lucullus nähern sich mit ihren Kohorten von Sizilien bzw. vom Meer aus, so dass Spartacus gezwungen wird, um nicht zwischen beiden aufgerieben zu werden, Richtung Rom zu ziehen. Es kommt zur Entscheidungsschlacht. Was Spartacus nicht weiß: Crassus hat Pompeius und Lucullus befohlen, auf geheimen Wegen durch die Apenninen sich mit seinem Heer zu vereinigen. Gegen diese Übermacht haben Spartacus Kämpfer keine Chance. Nur ca. 5.000 seiner Männer, Frauen und Kinder überleben die blutige Schlacht. Crassus Erfolg verhilft ihm endlich zu dem, was er schon immer wollte: Er lässt sich zum ersten Konsul ernennen und entmachtet Gracchus. Die Via Apia säumen die gekreuzigten Sklaven. Batiatus, dem versprochen war, die überlebenden Sklaven verkaufen zu dürfen, wird von Crassus aus dem Lager gepeitscht. Varinia, die ihren Sohn geboren hat, wird von Crassus in sein Haus gebracht. Batiatus und Gracchus schwören Rache. Batiatus soll Varinia entführen. Dafür erhält er von Gracchus zwei Millionen Sesterzen.

    Inzwischen hat Crassus Spartacus und Antoninus, seinen ehemaligen Sklaven, gefunden. Er zwingt sie, im Schwertkampf gegeneinander zu kämpfen. Der Überlebende soll gekreuzigt werden. Beide wollen dem anderen das Leid der Kreuzigung ersparen. Spartacus tötet Antoninus und wird ans Kreuz geschlagen. Er soll nicht begraben, sondern verbrannt, seine Asche in alle Himmelsrichtungen verstreut werden.

    Gracchus besorgt Varinia, ihrem Sohn und Batiatus Passierscheine, mit denen sie Crassus Zugriff entfliehen können. Er entlässt Varinia und ihren Sohn aus der Sklaverei. Als sie mit Batiatus Rom verlässt, sieht sie Spartacus am Kreuz. Der sieht zum ersten Mal seinen Sohn. Varinia verspricht Spartacus, ihrem Sohn über seinen Vater alles zu berichten. Der Schmerz und der Tod trennt die Liebenden für immer.

    Ein „Sandalenfilm"? Die äußeren Merkmale weisen darauf deutlich hin. Die Frisuren der weiblichen Darsteller entsprechen sicherlich nicht der Realität. Varinia sieht des öfteren aus, als käme sie gerade vom Friseur in der 5th Avenue. Auch etliche Szenenabfolgen erinnern an andere Filme, die in der Antike spielen. Doch von diesen Dingen einmal abgesehen, ist Kubricks großes Thema – Freiheit, Individuum, Zivilisation – auch in „Spartacus" deutlich zu erkennen. Für Spartacus und alle Sklaven ist der Tod der Verlust des Schmerzes, für einen freien Menschen dagegen der Verlust der Freude. Er fürchtet sich vor dem Tod nicht mehr als vor dem Leben als Sklave, sagt er Antoninus kurz vor beider Tod.

    Kubrick setzt der Figur des Spartacus zwei Charaktere entgegen: Crassus, den hintertriebenen Schurken im blendenden Gewand des römischen Patriziers, der nach der Diktatur strebt, und Gracchus, ebenfalls hintertrieben, aber mehr von den Verhältnissen dazu getrieben, den Vertreter des römischen Volkes, des „Pöbels", wie Crassus die einfachen Leute nennt, Gracchus, der die Lebensfreude repräsentiert. In einem übertragenen Sinn steht Crassus für den Typ Mensch, der seine Allmachtsphantasien mit allen Mitteln realisieren will, Gracchus für den Pluralismus des „Leben und Leben lassen". Um diese drei Figuren gruppiert Kubrick die Handlung, die insofern mehr mit der Gegenwart als mit römischer Geschichte zu tun hat.

    Spartacus hatte eine Entscheidung getroffen, als er sich in das „Zwischenreich" zwischen Sklaverei und Freiheit begab: Nie wieder Gladiatorenkämpfe. Das reicht ihm jedoch nicht. Als Mensch will er wissen, „Wissen" nicht in einem technizistischen, ökonomisierten, sondern in einem eher existenziellen Sinn. Er will wissen, was das Leben ist, was es ausmacht, er will erfahren. Er will nicht so sehr wissen, wozu er lebt, zu welchem Zweck. Denn eines hat Spartacus längst akzeptiert, was Crassus nie akzeptieren könnte: Der einzige Sinn des Lebens, die einzige absolute Sicherheit im Leben ist der Tod. Crassus will über den Tod hinaus, den Tod besiegen. Er ist der erbärmliche, feige und seine Feigheit hinter der Macht der Kohorten, der Intrige, der Skrupellosigkeit versteckende Mörder, der den Tod überwinden will, indem er andere tötet. Er fragt Varinia, was sie an Spartacus fasziniere. In diesem Moment spürt Crassus selbst, das etwas existiert, das er nie begreifen wird und vor dem er Angst hat: das Leben vor dem Tod.

    Als sein entflohener Sklave Antoninus im Lager der Sklaven Gedichte vorträgt und zaubert, ist Spartacus fasziniert. Für ihn ist dies der Beginn des Lebens als einer transzendenten (vielleicht auch religiösen), philosophischen Erfahrung. Das Leben als „Kunst" des Lebens, als „Genuss", als sinnliche Erfahrung.

    Hier manifestiert sich das Gespür Kubricks, seine Idee vom „einfachen" Leben, nicht im Sinn eines irgendwie gearteten „Zurück zu ...", einer abstrakten Sinnfrage oder Träumen vom Paradies. Spartacus weiß, dass der Mensch längst den paradiesischen Zustand der Unschuld verlassen hat. Er fragt nach den Bedingungen von Sinnlichkeit und Freiheit. Crassus liebt nicht das Leben, sondern die Macht, also den Tod. Gracchus liebt das Leben, ist aber Gefangener im Gefüge des römischen Staates. Als er Varinia und ihrem Sohn die Freiheit schenkt, ist dies nicht nur ein Gnadenakt, nicht nur eine Verbeugung vor Spartacus. Es ist das Gespür dafür, was Spartacus trieb.

    Die Idee der Freiheit und des Lebens als Sinnlichkeit, als Genuss sind eine Art „Gegenkonzept" zum „Konzept" der Zivilisation, eine Utopie gegen den „realistischen Realismus". Kubricks Idee ist verwundbar, angreifbar, weil sie die Idee des Lebens offen hält für die Chancen, die sich damit auftun. Die Perspektive eines „realistischen Realismus" liegt im Sollen dessen, was ist, in der geforderten Fortschreibung dessen, was festgehalten werden soll – gegen alle Einsicht, dass das Leben im stetigen Fluss ist und sich nicht aufhalten lässt. Crassus repräsentiert diesen lebensfeindlichen Realismus. Die Perspektive der Utopie ist das Aufspüren der Freiheit und des Genusses in dem, was ist.

    Ich muss essen, weil ich sonst sterbe. Ich will essen, weil es ein Genuss ist (oder jedenfalls sein kann). Beides ist möglich und notwendig. Aber was macht den Menschen aus, was ist für das Menschsein primär: die biologische oder die kulturelle Notwendigkeit? Hier liegt die Frage der Freiheit begründet. Für einen Sklaven ist das Leben und alles, was dazu gehört, eine Qual und der Tod die Erlösung vom Schmerz. Was für das Essen als kulturellem Genuss gilt, als Teil des sinnlichen Lebens für uns hier im Norden der Erdkugel in der Regel möglich geworden ist, ist für Millionen andere eine nackte existenzielle Frage. Sie sind auf ihre Biologie zurückgeworfen (worden).

    Die Utopie des „Spartacus" ist keine abstrakte Wunschvorstellung. Sie sucht in dem, was ist, nach Anhaltspunkten und Möglichkeiten der Freiheit, dem, was sein soll. Sie beruht nicht auf abstrakten, hehren Grundsätzen, sondern auf der Erfahrung des Lebens selbst. Sie ist ein universelles „Konzept", das entweder für alle gelten muss oder für niemand gelten kann, eine Vorstellung, die in jedem Menschen auch die Idee des Menschen und damit die Menschheit umfasst. Spartacus hält seine Anhänger davon ab, römische Soldaten als Gladiatoren gegeneinander zu hetzen. Das ist Universalität.

    Der „realistische Realismus" (heutzutage die neoliberale Weltordnung und die Ideologie des Neoliberalismus) ist auch ein universelles Konzept der Fixierung dessen, was äußerlich „ist",und dessen Fortschreibung – leider. We are all living in the best of all possible worlds.

    Die Besetzung des Films ist hervorragend gewählt. Douglas, Olivier, Laughton, Ustinov, Simmons und auch Curtis waren in dieser Hinsicht Glücksfälle für Kubrick.

    (1) Trumbo schrieb u.a. die Drehbücher zu „Exodus" (1960, R: Otto Preminger), „The Last Sunset" (1961, R: Robert Aldrich), „The Sandpiper" (1965, R: Vincente Minelli), „The Fixer" (1968, R: John Frankenheimer), „The Horsemen" (1971, R: John Frankenheimer) und „Papillon" (1973, R: Franklin J. Schaffner).

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top