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    Million Dollar Baby
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Million Dollar Baby
    Von Jürgen Armbruster

    Clint Eastwood. Der Mann kann 100 Jahre alt werden und trotzdem denken in neun von zehn Fällen die Leute auf seinen Namen angesprochen zuerst an „Dirty Harry“. Nun ist das an sich ja überhaupt keine wilde Sache. Dem Harry verdankt Eastwood schließlich genau so wie seinen Auftritten in diversen Italo-Western seinen Kult-Status in den längst vergangenen Dekaden. Doch das ist lange her. Clint Eastwood ist alt geworden, hat seinen 70sten Geburtstag längst gefeiert und sich zu einem exzellenten Regisseur mit einem Händchen für eher ruhige Themen entwickelt. „Erbarmungslos“, seine Hommage an das Western-Genre, grenzt an schiere Genialität. Herausragend sein meisterhaft gespieltes Vorstadt-Drama „Mystic River“. Und nun also sein „Million Dollar Baby“, das seinen bisherigen Geniestreichen in nichts nachsteht.

    Frankie Dunn (Clint Eastwood) ist professioneller Boxtrainer. Nicht irgendeiner. Eigentlich könnte er zu den besten seines Faches gehören. Am fachlichen Wissen mangelt es ihm nicht. Doch Frankie ist ein gebrochener Mann. Es macht ihm schwer zu schaffen, dass seine Tochter jeden Kontakt zu ihm abgebrochen hat. Und dann wäre da noch die Geschichte mit seinem ehemaligen Boxer Eddie „Scrap“ Dupris (Morgan Freeman). Dieser verlor einst nach einem Kampf ein Auge. Frankie fühlt sich für dieses Unglück verantwortlich. Eddie sei nicht richtig vorbereitet gewesen und der Kampf verfrüht gekommen. Seitdem lebt er in Frankies Studio, dem Hit Pit, und ist gewissermaßen dessen gute Seele. Kurzum: Frankie ist ein Mann auf der Suche nach Vergebung und übervorsichtig, was seine Zöglinge anbelangt. Nicht gerade die beste Vorraussetzung im rauen Boxgeschäft. Doch dann taucht eines Tages die aus ärmlichen Verhältnissen stammende Kellnerin Maggie Fitzgerald (Hilary Swank) im Hit Pit auf und nichts ist mehr so, wie es einmal war…

    „Million Dollar Baby“ basiert auf einer Kurzgeschichte aus der Sammlung „Rope Burns“ (in Deutschland unter dem Titel „Champions: Geschichten aus dem Ring“ erschienen) des ehemals professionellen Cut Man F. X. Toole. Für alle, die im Boxsport nicht all zu sehr bewandert sind: Ein Cut Man ist in den Pausen eines Kampfes dafür verantwortlich, die Verletzungen des Sportlers zu versorgen. Der Film holt sich sein Insider-Wissen also direkt von der Quelle. Ausgehend von Tooles Kurzgeschichte schrieb der Emmy-gekürte Autor Paul Haggis ein Drehbuch, in dem Morgan Freemans Charakter Eddie als Erzähler fungiert und den Zuschauer so durch die einzelnen Episoden in der Trainer-Schüler-Beziehung zwischen Frankie und Maggie führt.

    Wer nun allerdings einen weiblichen „Rocky“ erwartet, hat allenfalls zur Hälfte Recht. Sicherlich: Frankie nimmt sich Maggie an und diese wird Kampf für Kampf besser. Allerdings liegt der Schwerpunkt dabei weniger auf dem Training, sondern den einzelnen Charakteren und vielen kleinen Subplots. Jeder wird mit großen und kleinen Problemen konfrontiert. Doch in der Mitte des Films kommt es zu einer gänzlich unerwarteten Wendung, die den letzten Funken eines Sportler-Dramas aushaucht und den Film in eine gänzlich neue, an Tragik kaum zu übertreffende Bahn lenkt. Was sich hierauf der Leinwand zusammenbraut, ist dermaßen eindringlich, dass es dem Zuschauer fast schon körperliche Schmerzen bereitet.

    Bei den Werken Clint Eastwoods wird eines groß geschrieben: Minimalismus. Eastwood stammt aus einer Zeit, in der Filme noch von Hand gemacht wurden und nicht zur Hälfte im Computer entstanden. Bereits zu Beginn seiner Karriere lernte er von Sergio Leone, dem Meister höchst selbst, eines: Behandele jede Szene des Films so, als sei sie die Wichtigste! Dieser Maxime hat sich Eastwood voll und ganz verschrieben. Wie schon in „Mystic River“ ist jede einzelne Einstellung für sich mehr als sehenswert. Gemeinsam mit Kameramann Tom Stern („Road To Perdition“, „American Beauty“) erschuf Eastwood so einen Film, der gerade durch seine Abstinenz unnötiger Effekthascherei voller Charme und Persönlichkeit steckt. Das soll jetzt allerdings nicht bedeuten, dass die Boxkämpfe nicht glaubwürdig choreographiert und inszeniert wurden. Im Gegenteil.

    Eine weitere Parallele zu „Mystic River“ ist das durch die Bank beeindruckende Ensemble. Beginnen wir bei Morgan Freeman, der eben Morgan Freeman und grandios wie immer ist. Wenn er mal wirklich schlecht sein sollte, wird es aller Wahrscheinlichkeit nach Frösche regnen. Bei Clint Eastwood verhält sich die Sache ähnlich. Sein nuanciertes, zurückhaltendes Spiel ist große Klasse. Noch dazu ist er alt und ein Freund der Academy, was ihm wohl die Oscar-Nominierung einbrachte. Bitte nicht falsch verstehen. Eastwoods Spiel ist toll. Ganz toll sogar. Den gebrochenen Boxcoach bringt er glaubhaft rüber. Aber besser als Jim Carrey in „Vergiss mein nicht“ oder Paul Giamatti in „Sideways“ ist er nun einmal nicht. Nach ihrem großen Durchbruch mit „Boys Don’t Cry“ beweist Hilary Swank einmal mehr, welch großes schauspielerisches Potenzial eigentlich in ihr steckt und dass sie Durchschnitts-Mist à la „The Core“ eigentlich nicht nötig hat. In der ersten Filmhälfte beeindruckt Swank durch ihre enorme physische Präsenz (dem dreimonatigen Training mit Weltmeistercoach Hector Roca sei dank). Nachdem es zum großen Story-Twist gekommen ist, darf sie noch richtig tief in die Wundertüte greifen.

    All diese Lobgesänge und dann trotzdem keine Höchstwertung? Warum denn das? Nun ja, der Herr Rezensent hat schon den einen oder anderen kleinen Mangel anzumerken. So ist der Teil des Films, der Maggies Karriere als Profiboxerin betrifft, schon recht vorhersehbar. Dass sich Frankie nach anfänglichem zögern doch dazu durchringt, sie zu trainieren, dürfte eben so wenig überraschen, wie die Tatsache, dass Maggie ihren WM-Kampf tatsächlich bekommt. Dass eine ehemalige Prostituierte aus Ostberlin als Feindbild des Films aufgebaut wird, ist im Grunde ein einziges Klischee. Doch das war’s dann auch schon. Mit „Million Dollar Baby“ liefert Eastwood ein weiteres herausragendes Alterswerk ab. Wer sich an einem eher ruhigen Film mit einem exzellenten Ensemble erfreuen kann, darf sich „Million Dollar Baby“ auf keinen Fall entgehen lassen. Alle anderen aber eigentlich auch nicht…

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