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    Super Size Me
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Super Size Me
    Von Jürgen Armbruster

    Man stelle sich folgende Situation vor: Es ist Thanksgiving. Nach dem abendlichen Schmaus macht sich die Familie voll gestopft mit dem alljährlichen Truthahn und allen anderen möglichen Leckereien im Wohnzimmer gemütlich. Man unterhält sich in entspannter Atmosphäre mit der Verwandtschaft und lässt sich nebenbei vom Fernseher berieseln. Eine Nachrichtensendung zeigt einen Bericht über zwei Mädchen, die eine Klage gegen die McDonalds-Kette bewirkt haben. Ihre Begründung: McDonalds sei dafür verantwortlich, dass sie fettleibig und übergewichtig wurden. Die versammelte Festgemeinschaft ist prächtig darüber amüsiert. Alle bis auf einer. Dieser springt wie von der Tarantel gestochen auf, gibt noch kurz von sich, dass dies ein genialer Stoff für eine groß angelegte Dokumentation wäre und klemmt sich hinters Telefon.

    Genau so oder so ähnlich muss es sich Thanksgiving 2002 im Hause Spurlock abgespielt haben. Bis dahin verdiente der äußerst kreative New Yorker Morgan Spurlock seine Brötchen als Autor von Theaterstücken, als Regisseur von Werbe- und Musikvideos und mit der Entwicklung von Showformaten (u.a. „I bet, you will“ für MTV). Ein Kinofilm spukte schon seit langem durch seinen Kopf, einzig eine angemessene Idee wollte ihm nicht einfallen. Sein erster Film sollte schon etwas Besonderes sein. Und die Geschichte der zwei Mädchen und dem Burgergiganten McDonalds ließ in ihm eben jene besondere Idee wachsen, nach der er schon so lange Zeit suchte. Eine Dokumentation sollte es sein. Eine Dokumentation über die Essgewohnheiten der amerikanischen Fast-Food-Bevölkerung. Sein waghalsiger Plan sah vor, dass er einen Monat lang nirgendwo anders als bei McDonalds essen würde. Als er seinem Freund, dem Kameramann Scott Ambrozy, von diesem Einfall berichtete, wollte dieser gar nicht mehr aufhören zu lachen. Doch nach kurzer Zeit war auch er von Spurlocks Vorhaben überzeugt. „Super Size Me“ war geboren!

    Doch bevor es mit den Dreharbeiten losgehen konnte, erarbeiteten Spurlock und Ambrozy einen detaillierten Regelkatalog. Gegessen werden darf während des 30 Tage andauernden Experimentes ausnahmslos nur bei McDonalds. Außerdem muss jedes Gericht auf der Speisekarte in dieser Zeit mindestens einmal gegessen werde. Es muss selbstverständlich alles aufgegessen werden, das vor ihm auf dem Tisch steht. Keine Entschuldigungen. Des Weiteren darf keine der drei Mahlzeiten – Frühstück, Mittagessen, Abendessen – ausgelassen werden. Der letzte Punkt betrifft das so genannte „Super Sizing“. In Amerika kennt die McDonalds-Produktpalette nicht nur die Begriffe „Normal“ und „Maxi“, sondern obendrein noch „Super Size“. Ordert der Kunde sein Wunschmenü in dieser Größe, dann bekommt er von den den selbstverständlich stets freundlich aufgelgten McDonalds-Angestellten sein Getränk nach Wahl in einem halbe Gallone fassenden Becher (rund zwei Liter) und als Beilage eine so gigantische Portion „Freedom Fries“, dass eine vierköpfige Familie locker davon satt werden würde. Morgan darf nun diese „Super Size“-Größe nicht von sich aus bestellen, doch wird diese ihm von der Bedienung am Schalter angeboten, dann muss er sie annehmen.

    Nun kann er also losgehen, Spurlocks amüsant anmutender 30-Tage-Selbstversuch. Die Frage, die beantwortet werden soll: Schadet täglicher Konsum von Fast Food der Gesundheit. Um schlussendlich zu einer eindeutigen Antwort zu gelangen, lässt sich Spurlock vor dem ersten Tag von drei verschiedenen Fachärzten untersuchen: Dr. Daryl Isaacs, Ärztin für innere Medizin; Dr. Lisa Ganjhu, Ärztin für Gastroenterologie; und der Kardiologe Dr. Stephen Siegel. Alle bescheinigen ihm für einen tadellosen Gesundheitszustand. Auf seine Frage, was denn nun während dieses Versuchs mit ihm passieren könne, halten sich die Mediziner bedeckt. Er würde wohl ein wenig zunehmen. Vielleicht würde auch sein Cholesterinspiegel minimal steigen. Doch da der menschliche Körper äußerst anpassungsfähig sei, wäre nicht mit all zu großen Änderungen zu rechnen. Es gäbe schließlich ungesundere Dinge als Fast Food. Doch alles sollte viel dramatischer werden…

    Am ersten Tag ist der Burger-Freak noch voller Elan. Was in den nächsten Wochen auf ihn zukommt wird, ist schließlich der Traum eines jeden Zehnjährigen. Doch schon am zweiten Tag und sein erstes Double-Quarterpounder-with-Cheese-Super-Size-Menue später wird klar, dass das geplante Unterfangen doch nicht so einfach wird wie gedacht. Morgan musste sich zum ersten Mal übergeben. Doch er ist ehrgeizig und zieht das Begonnene ohne Rücksicht auf sein eigenes Wohlergehen durch. Das dramatische Ergebnis: Innerhalb eines Monats nahm Morgan ganze 25 Pfund zu, sein Cholesterinspiegel stieg auf bedrohliche 230, er litt unter Kopfschmerzen, war depressiv und seine Freundin, ironischerweise eine vegane Küchenchefin, berichtete gar von Problemen in deren Liebesleben. Einer von Morgans Ärzten riet ihm bereits nach 20 Tagen, das Experiment abzubrechen, da seine Fettwerte darauf hin deuteten, dass sich seine Leber mittlerweile in eine gigantische, verfettete Pastete verwandelt hätte. Nach dann Mahlzeit!

    Morgan Spurlock gehört zu jener neuen Generation von Dokumentarfilmern, bei denen der Regisseur selbst zum handelten Akteur wird und sich nicht mit der klassischen Rolle des stillen Beobachters begnügt. Parallelen zwischen ihm und Micheal Moore sind nicht von der Hand zu weisen und werden offen propagiert. Allerdings wäre es nicht gerecht, Spurlock lediglich auf eine Kopie Moores zu reduzieren. „Super Size Me“ ist eine in höchsten Maßen eigenständige, ironische Reise durch die Narreteien der amerikanischen Konsumgesellschaft. Ausgehend von seinen eigenen Erlebnissen deckt er eine Kuriosität nach der anderen auf. So zeigt Spurlock beispielsweise auf, dass sich die großen Fast-Food-Ketten ein goldenes Näschen als Zulieferer von Schulkantinen verdienen, geht auf den Lobbyismus ein und macht mehr als deutlich, dass Aufklärung so ganz und gar die Sache der Amerikaner ist. Die dämlich-naive Meinung eines jungen Schulmädchens: Fettige Pommes sind gesund, schließlich handelt es sich dabei um Gemüse… Der Zuschauer weiß des Öfteren nicht, ob er nun lachen oder einfach nur den Kopf schütteln soll.

    Stilistische orientiert sich „Super Size Me“ eindeutig am großen Vorbild „Bowling For Columbine“. Wie bei Moores Oscar-prämierter Doku wechseln sich neu gedrehte Aufnahmen und Interviews mit Archivmaterial und peppigen Zeichentrickeinlagen ab und bilden dabei ein harmonisches, in sich stimmiges Ganzes. Dem direkten Vergleich zu „Bowling For Columbine“ hält „Super Size Me“ aus einem einzigen Grund nicht stand: Im fehlt der Höhepunkt. Während bei Moore alles auf den großen Showdown zwischen ihm und Charlton Heston hinaus läuft, fehlt bei Spurlock ein vergleichbares Highlight. Sicherlich bekommt auch Spurlock einen Lebensmittel-Lobbyisten vor die Kamera, der sich bis auf die Knochen blamiert, doch ihm gelang es nicht, einen Sprecher von McDonalds zu einem Interview zu bewegen und ihn mit seinen Vorwürfen zu konfrontieren. So ist „Super Size Me“ zwar über die gesamte Spieldauer auf einem beachtlich hohen Niveau, doch ein wirkliches Finale geht ihm leider ab.

    Mit „Super Size Me“ nimmt sich Spurlock eines der letzten großen Tabuthemen unserer Zeit an. Kaum einer hätte wohl Skrupel davor, einem hustenden Menschen zu sagen, er solle aufhören zu rauchen, da dies seiner Gesundheit schadet. Doch wer würde einem fettleibigen Menschen sagen, er solle aufhören zu essen? Ist dies nicht ein und dasselbe? „Super Size Me“ spricht bei weitem kein rein amerikanisches Problem an. Erst kürzlich veröffentlichten die deutschen Krankenkassen eine Studie aus der hervor geht, dass die Folgekosten für die Behandlung ernährungsbedingter Krankheiten im vergangenen Jahr über 71 Milliarden Euro betrugen. Acht Prozent aller deutschen Kinder leiden heute unter Fettleibigkeit. „Super Size Me“ ist bei uns also genau so aktuell wie in Amerika, dem Mutterland des Burgers. Beim Sundance Film Festival wurde Spurlock mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet. Zu Recht, denn mit „Super Size Me“ gelang ihm ein gleichermaßen unterhaltsamer wie aufklärerischer Film. Sehr empfehlenswert!

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