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    Somersault
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Somersault
    Von Lars Lachmann

    „Somersault“ bedeutet „Purzelbaum“ oder „Salto“ - auch wenn sich im Hinblick auf das Leben der jungen Hauptperson Heidi (Abbie Cornish) in Cate Shortlands gleichnamigem Drama so einiges überschlägt, ist es dennoch ein sehr ruhiger und besonnener Film und - nach eigener Aussage der Regisseurin - keineswegs ein großes Action-Drama.

    Heidi ist ein Mädchen auf dem Weg zum Erwachsenwerden und auf der Suche nach etwas, wonach wir im Grunde alle suchen: Liebe und Zuneigung. Nur wo und vor allem wie, soll sie diese Suche ansetzen? Versuch und Irrtum: Beim Knutschen mit dem Freund ihrer Mutter wird sie von dieser (Olivia Pigeot) erwischt und es kommt infolge dessen zu einem heftigen, emotionalen Schlagabtausch zwischen Mutter und Tochter. Statt mehr Liebe hat ihr dieses Ereignis eher Gegenteiliges eingebracht: den Zorn und die Enttäuschung ihrer Mutter und eigene Vorwürfe und damit negative Gefühle gegenüber sich selbst. Aus diesem Grund verlässt Heidi Hals über Kopf ihr Zuhause und macht sich auf den Weg zum Lake Jindabyne, in ein Skigebiet südlich der australischen Hauptstadt Canberra. Doch auch hier wird sie von den örtlichen Bewohnern bei der Suche nach einer Unterkunft und einem Job zunächst nur mit deren Gefühlskälte konfrontiert. Das gleiche gilt hinsichtlich ihrer Sehnsucht nach Liebe, als es sie schließlich am Abend in eine Bar verschlägt, in der sie sich von einem Jungen abschleppen lässt, nur um am nächsten Morgen von dessen Kumpel zu erfahren, dass sie nicht bei ihm bleiben könne, da er bereits eine feste Freundin habe.

    Etwas hoffnungsvoller entwickelt sich das Ganze, als sie Joe (Sam Worthington), den Sohn eines Farmers kennen lernt. Auch er ist auf der Suche, wenngleich ihm nicht wirklich klar ist, wonach – obwohl er älter ist als Heidi, scheint sie ihm in der Hinsicht offensichtlich um einiges voraus zu sein. Diese Unsicherheit Joes, verknüpft mit seiner Angst vor dem Risiko, zu viel von sich selbst preiszugeben, erschwert das Verhältnis zwischen den beiden, was im Folgenden zu weiteren Komplikationen führt. Teilerfolge erzielt Heidi auch bei der älteren Pensionsbesitzerin Irene (Lynette Curran), die sie mit einer Unterkunft versorgt sowie bei ihrer gleichaltrigen Kollegin (Hollie Andrew) in der Tankstelle, bei der sie einen Job findet. Doch im Laufe der Handlung stößt sie auch bei diesen Personen auf Widerstände – sie haben ihre Geheimnisse, die sie nicht ohne weiteres bereit sind, ihr anzuvertrauen... Der nahe gelegene Stausee, unter dessen Oberfläche sich, wie man im Film erfährt, seit der Flutung des Gebietes eine komplette Stadt verbirgt, wird auf diese Weise zum Sinnbild nicht nur für die Anwohner, sondern vielleicht auch für die rein äußerliche Undurchsichtigkeit der Menschen im Allgemeinen.

    Was die Figur Heidis von allen anderen in diesem Film am deutlichsten unterscheidet, ist ihre spielerische, bisweilen kindlich wirkende Art und ihr offener, unverstellter und direkter Umgang mit anderen. Die menschliche Wärme, die sie in ihrem Umfeld sucht, ist sie ihrerseits bereit, uneingeschränkt weiterzugeben. Nicht selten irritiert sie ihr Gegenüber jedoch mit diesen Eigenschaften oder sie werden ihr in einem negativen Sinne – „das Flittchen von der Tankstelle“ eben – falsch ausgelegt. Dabei wirkt sie keineswegs schrill oder offensiv-extrovertiert, im Gegenteil – sie ist eher der stille, verträumte Typ, was allerdings nicht heißt, dass sie nicht auch in der Lage wäre, ihre intensiven Gefühlsregungen nach außen hin zu kommunizieren.

    Aus diesem Überblick lässt sich bereits erkennen, dass es Cate Shortland in ihrem Spielfilmdebüt, zu dem sie auch das Drehbuch verfasste, vor allem um eine detaillierte und individuelle Darstellung und Entwicklung der Charaktere geht. Zu einem gelungenen Film gehört ihrer Meinung nach neben einem guten Skript ebenso ein umsichtiges Casting von Schauspielern, welche die sorgfältig ausgearbeiteten Charaktere in angemessener Weise mit Leben ausfüllen. Was dies betrifft, so kann sie mit der Auswahl ihrer Darsteller wirklich zufrieden sein. Das gilt in besonderem Maße für Abbie Cornish als Heidi, die als erste Vorsprecherin beim Casting sogleich für ihre erste Hauptrolle in einem Kinofilm engagiert wurde. Auch Sam Worthington stellte sich nach Aussage des Produzenten als Glücksgriff für die Rolle von Joe heraus, die er letztlich noch komplizierter und interessanter dargestellt habe als diese ursprünglich im Drehbuch angelegt gewesen sei. Leider wirken die Figuren in der deutschen Synchronisation oft etwas unnatürlich, da sie vor allem in ihrer phrasenhaften Alltags- und Umgangssprache ein wenig hölzern klingen. Es ist jedoch anzunehmen, dass der Film in diesem Punkt in der Originalfassung stärker zu überzeugen vermag, was auch im Hinblick auf die Gesamtwertung des Films zu berücksichtigen ist.

    Abgesehen von der Darstellung der Figuren arbeitet der Film stark mit Farben. Ganz konkret sind dies die Töne Blau und Rot, denen eine tragende Bedeutung zukommt. Die Farbe Blau steht hierbei für Kälte, im Sinne von Leere, Stillstand oder vor allem auch Gefühlskälte – während Wärme, Liebe oder heftige Emotionen durch die Farbe Rot repräsentiert werden. So dominiert zum Beispiel das kühle Blau des bewölkten Himmels oder des Lake Jindabyne in vielen Einstellungen das Bild und fängt somit die entsprechende kühle Grundstimmung ein, mit der sich Heidi konfrontiert sieht. In vielen Kameraeinstellungen wurde sogar offensichtlich ein Farbfilter verwendet, der diesen Effekt noch verstärkt. Die Farbsymbolik findet sich jedoch auch in Gegenständen wie einer rot getönten Schneebrille oder einem Weinglas wieder, durch die Heidi oder Joe hindurch blicken und ihre Umgebung für einen kurzen Moment in einem wärmeren Licht erscheinen lassen. Auch das im Film allgegenwärtige Motiv der Schneeflocke, das sich auf Kacheln, Tischdecken, Kleidungsstücken oder als Anhänger am Rückspiegel eines Autos wiederfindet, symbolisiert in gleicher Weise die innere Kälte, die im Film von den Menschen ausgeht.

    In Australien wurde der Film zum Hit des vergangenen Jahres und räumte 13 von 15 AFI Awards, den „australischen Oscar“, ab. Auch auf dem Festival von Cannes kam er sehr gut an. Im Zusammenhang mit der guten Leistung der Hauptdarstellerin Abbie Cornish wurden sogar schon Vergleiche mit Nicole Kidman gezogen – es bleibt abzuwarten, wie sie sich in weiteren Filmen entwickelt. „Somersault“ ist ein guter Film mit einem klaren Konzept, der wahrscheinlich nicht jeden in gleicher Weise ansprechen wird. Man kann ihn lediglich als ein weiteres Drama über das Erwachsenwerden ansehen; mehr Freude wird man daran haben, wenn man sich von dieser Vorlage frei macht und den Blick auf die für den Film ebenso wichtigen Themen Liebe, Sex, Beziehung, Angst und Vergebung richtet, die er auf eine sehr individuelle Weise behandelt.

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