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    Breaking News
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Breaking News
    Von Björn Becher

    Wenn es in Hongkong einen verlässlich guten Regisseur gibt, dann ist das wohl Johnny To. Jedes Jahr dreht er seine ein bis drei Actionthriller und liefert dabei fast immer gute Arbeit. Dabei überzeugt To, obwohl er gerade eher als Gegenentwurf zu dem zu sehen ist, für was das Hongkong-Kino eigentlich steht. Mit dem Hongkong-Kino verbindet die Mehrheit wohl das krachige, explosive Actionkino und dessen größten Vorreiter John Woo, der Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger Jahre für Aufsehen sorgte und schließlich nach Amerika ging (worauf das Hongkong-Kino für tot erklärt wurde). Bei To werden meist deutlich leisere Töne angeschlagen. Realismus wird groß geschrieben und das Tempo oftmals auch einfach raus genommen. Perfekt in diese Beschreibung passt „Breaking News“, ein hoch spannender Actionthriller mit viel Atmosphäre und einem gewissen weiteren Einschlag, der ihn zum vielleicht besten Film seines Regisseurs macht.

    Schon die Eröffnungsszene macht Lust auf mehr. Ein Polizeiteam unter Leitung des noch recht jungen Inspektor Cheung (Nick Cheung) observiert eine Bande von Gangstern, die unter Führung von Yuen (Richie Ren) einen Coup plant. Auf frischer Tat will er sie ertappen. Doch zwei Streifenpolizisten funken Cheung und seinen Leuten dazwischen. Bei einer Routinekontrolle werden sie misstrauisch und wollen die Gangster einer genaueren Prüfung unterziehen. Aus Angst vor Entdeckung ziehen diese die Waffen. Cheung und seine Männer müssen natürlich einschreiten. Was nun folgt ist ein Meisterstück der Filmkunst und könnte so auf jedem Lehrvideo zum Thema „Wie inszeniere ich eine Actionszene?“ Platz finden. Ohne einen einzigen (!) Schnitt zeigt To die minutenlange Schiesserei zwischen Cops und Gangstern auf der helllichten Straße. Wo die meisten Regisseure nicht umhin kämen, ihrer Zerstörungswut freien Lauf zu lassen und eine Explosion an die nächste zu reihen, schreibt To Minimalismus groß und verzichtet auf diese Sperenzien. Die Pistolen und Gewehrkugeln hinterlassen dass, was sie nun einmal hinterlassen: Löcher!

    Am Ende dieser Geschichte hat der Film seine perfekte Einleitung. Die Gangster sind entkommen, aufgezeichnet von TV-Kameras, die ein besonderes Bild eingefangen haben: Ein weiterer dazu gekommener Streifenpolizist fleht mit erhobenen Händen vor einem Gangster kniend um Gnade und wird darauf verschont. In den Schlagzeilen wird die Polizei daraufhin zum Gespött. Man glaubt nicht mehr, dass Polizisten, die scheinbar Angst vor den Gangstern haben, die Bevölkerung schützen können. Schnell wird ein Krisenstab gebildet und nach Wegen aus der Misere gesucht. Die aufstrebende Karrieristin Rebecca Fong (Kelly Chen) schlägt ein offensives Vorgehen vor. Man müsse die Medien instrumentalisieren und mit hartem, schonungslosem Vorgehen überzeugen. Schnell hat sie die Chance zu zeigen, was sie meint.

    Inspektor Cheung hat die Flucht der Bande keine Ruhe gelassen. Mit seinen Männern hat er das nähere Gebiet der Schießerei durchkämmt, wohl wissend, dass die Bande nicht weit geflohen sein kann. Ein Hochhaus reiht sich hier an das nächste, jedes voll mit kleinen Wohnungen, tausende Menschen leben hier. Cheung treibt sein Team an, ohne Ruhepause wird gesucht und schließlich wird man fündig. Doch die Gangster merken rechtzeitig, dass sie entdeckt wurden. Ein unerbittlicher Kampf zwischen beiden Seiten entbrennt in den engen Fluren des Hochhauses. Schnell hat auch Rebecca Fong Hundertschaften von Polizisten kommen lassen, im Gepäck die Medienvertreter denen ein Beweis polizeilicher Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit geliefert werden sollen. Dazwischen finden sich unzählige Bewohner von Wohnungen wieder, unter ihnen der allein erziehende Familienvater Yip (Lam Suet), der mit seinen beiden Kindern bald in die Hand der Gangster fällt, sowie zwei Profikiller, die sich auch ein Appartement in dem Hochhaus als Versteck ausgesucht haben und nun ihre Entdeckung fürchten.

    Johnny To nutzt diese Ausgangssituationen des „belagerten Hochhauses“ perfekt aus, um seinen spannenden Actionthriller sich entfalten zu lassen. Alles ist immer bis zum äußerten gespannt. Durch die Flure des Hochhauses hetzen zum einen Cheung und seine Männer auf der Suche nach den Gangstern, zum anderen Yuen und seine Leute auf der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit. Das alles wird begleitet von dutzenden TV-Kameras und Reporterscharen vor dem Gebäude und einer Hundertschaft von Polizisten unter dem Kommando von Rebecca Fong, der es weniger darum zu gehen scheint, die Gangster schnell zu bekommen, sondern die das ganze möglichst effektvoll aussehen lassen will.

    Exzellent ist dabei wie To immer wieder die Geschwindigkeit variiert. Schnellere Szenen mit Action wechseln sich mit sehr ruhigen Zwischentönen ab. Grandioser Höhepunkt in dieser Hinsicht ist die „lunch time“. Nachdem die Gangster Bilder ins Internet einspeisen, wie sie mit den Geiseln gemeinsam Essen, startet die Polizei eine Gegenoffensive. In einer mehr als grotesken Szene (von To durch die Musikauswahl noch verstärkt) wird Essen an die anwesenden Polizisten und die Reporter verteilt. Man lässt sich auf den Boden nieder und fängt an zu Speisen.

    To garniert hier seinen spannenden Actionthriller mit überzeugender Medienkritik. Erst fängt nur die Polizei in Person von Rebecca Fong an, die Medien zu instrumentalisieren. Mit Hilfe von Spezialisten werden die Szenen vom Anrücken der Polizei gefilmt, dann zusammen geschnitten, mit Musik unterlegt und wie ein Werbetrailer für die kommende Hochhaus-Action an die TV-Sender verkauft. Als die Gangster merken, wie die Polizei die Medien für ihre Zwecke nutzt, fangen auch sie an über das Internet mit den Reportern in Kontakt zu treten. So schaukelt sich das Medieninteresse immer weiter hoch, auf Seiten der Polizei wird auch vor einer sehr zynischen Ausschlachtung des Todes eines der Kollegen nicht halt gemacht. Johnny To bewegt sich hier sehr gekonnt in der Tradition ähnlich agierender und agitierender Filme wie zum Beispiel Sidney Lumets Hundstage.

    Johnny To’s handwerklichen Fähigkeiten merkt man zu jeder Zeit. Kameraführung und Musikuntermalung werden immer wieder gekonnt eingesetzt. Die in letzter Zeit so überhand nehmenden, oft nervtötenden Split-Screens werden hier nicht um ihrer selbst willen eingesetzt, sondern nur ein paar Mal, dann aber äußerst passend. Auch der Look des Films, alles in einem schmutzigen braun-grau-grün gehalten, unterstreicht die stimmige Atmosphäre des Films ungemein.

    Die Darsteller, welche größtenteils schon öfters mit To zusammen gearbeitet haben, können durch die Bank überzeugen. Man kann sicher sagen, dass es langsam langweilig wird, dass Shiu Hung Hui auch immer den trotteligen, älteren Cop-Sidekick spielt, den er zum Beispiel auch schon (dort allerdings deutlich aufdringlicher und überzogener) in Running Out Of Time gespielt hat, und dass Lam Suet (One Nite In Mongkok, Kung Fu Hustle) auf die Rolle des dummen, etwas weinerlichen Dicken abonniert ist, aber Beides wird hier von To sehr gemäßigt eingesetzt und bringt so die richtige Brise Auflockerung. Es sind aber vor allem die Hauptdarsteller, welche zu überzeugen wissen. Nick Cheung („Election“) gibt einen glaubhaften ehrgeizigen, leicht arroganten und Vorgesetzten widerstrebenden Cop (ohne dabei in die typischen Klischees solcher Rollen zu verfallen) und die schöne Kelly Chen (Infernal Affairs), spielt mit Wonne eine unsympathische Karrierefrau. Richie Ren („Under Control“, „20 30 40 Liebe hin - Liebe her“) toppt das ganze noch ein bisschen, was auch an der Ausgestaltung seiner Rolle liegt. Auch hier verfolgt Johnny To den minimalistischen, eher ruhigen Weg. Richie Rens Gangster ist nicht der typische Psychopath, der durch viele ähnliche Filme wandelt, sondern wird gerade dadurch besonders glaubhaft, dass er zwischen eiskaltem Profi und Mensch balanciert.

    Johnny To hat es so wieder einmal geschafft, auf seinem Spezialgebiet (dem Actionthriller) gute Arbeit abgeliefert. Wobei dies hier untertrieben ist. Denn ist Johnny To sonst meist ein zuverlässiger Handwerker, bei dem man fast immer gute, aber selten absolut herausragende Qualität erwarten kann, liefert er hier einen von Anfang bis Ende stimmigen, atmosphärisch dichten und hoch spannenden Film ab. Wie eingangs gesagt, der vielleicht beste Film von Johnny To, für den er zu Recht Regiepreise gewonnen hat.

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