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    Speed Racer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Speed Racer
    Von Jürgen Armbruster

    Die Wachowski-Brüder haben mit ihren letzten Filmen viel Kredit verspielt. Sicherlich: „Bound“, der Regieerstling von Laurence „Larry“ Wachowski und Andrew „Andy“ Wachowski, ist ein grundsolider Genre-Film mit voyeuristischem Einschlag und es ist auch unstrittig, dass die beiden im Jahr 1999 mit Matrix für mächtig frischen Wind im Blockbuster-Betrieb gesorgt haben. Doch was kam danach? Matrix Reloaded und Matrix Revolutions sind weit davon entfernt, die Kult-Filme zu sein, die der erste Teil der Trilogie versprach. Die übertriebene Erlöser-Symbolik gepaart mit Botschaften auf Glückskeksniveau und auf Dauer ermüdenden Materialschlachten offenbarten schonungslos die Schwächen der Wachowskis. Und was folgte? Mit Ausnahme der Adaption von David Lloyds Graphic Novel V wie Vendetta, die von den Wachowskis als Produzenten und Autoren begleitetet wurde, lange Zeit nichts. Wenn sich die Brüder nun ausgerechnet als erstes Regieprojekt nach fünfjähriger Abstinenz die Verfilmung der amerikanischen Zeichentrickserie „Speed Racer“ (die im Übrigen auf dem japanischen Anime „Mach GoGoGo“ von Tatsuo Yoshida basiert) ausgesucht haben, ist daher Skepsis angesagt.

    Eine Real-Verfilmung des 70er-Jahre-Cartoons über einen Jungen und sein Rennauto hört sich – vorsichtig ausgedrückt – nicht unbedingt sexy an. Und als dann vor einigen Monaten die ersten pastellfarbenen, quietschbunten Bilder und Filmausschnitte veröffentlicht wurden, die wie eine absurde Mischung aus Spy Kids und den unsäglichen Podrennen aus Star Wars: Episode I - Die dunkle Bedrohung anmuteten, war das ungläubige Raunen im internationalen Blätterwald groß. Tenor: Das kann definitiv nichts werden! Somit hätten die Erwartungen nicht geringer sein können – und die anschließende Überraschung kaum größer. Denn wider allem Unken ist „Speed Racer“ tatsächlich ein richtig gelungener Film geworden, der (Achtung, festhalten!) auch – und vielleicht sogar vor allem – inhaltlich zu gefallen weiß.

    Der Racer-Clan ist eine Rennfahrer-Familie durch und durch. Rex Racer (Scott Porter) ist der Star im von Vater Pops Racer (John Goodman) geführten Rennstall Racer Motors. Auch der junge Speed Racer (jung: Nicholas Elia; alt: Emile Hirsch) hat das Benzin bereits im Blut. Er träumt davon, eines Tages in die hochoktanigen Fußstapfen seines großen Bruders zu treten. Darunter leiden seine schulischen Leistungen, was insbesondere Mom Racer (Susan Sarandon) ein Dorn im Auge ist. Doch außer für Rennwagen hat Speed eben allenfalls noch seine Freundin Trixie (jung: Ariel Winter; alt: Christina Ricci) im Kopf. Dann geschieht das Unfassbare: Zunächst kehrt Rex dem Familienunternehmen den Rücken zu und heuert bei einem großen Rennstall an, wenig später verunglückt dieser bei einem Rennunfall tödlich. Für die Familie Racer bricht in mehrerlei Hinsicht eine Welt zusammen.

    Jahre später: Nachdem sich die Racers von dem schweren Schicksalsschlag erholt haben, hat sich Speed zu einem aufstrebenden Fahrertalent entwickelt. Als er bei einem Rennen seine Konkurrenten regelrecht deklassiert, werden die internationalen Großunternehmen auf ihn aufmerksam. Der machthungrige Royalton (Roger Allam), Firmenchef von Royalton Industries, setzt alles daran, Speed für seinen eigenen Stall zu gewinnen. Doch Speed widersteht dem Lockruf des Geldes und erteilt Royaltons Werben eine Absage, wodurch er sich einen mächtigen Feind macht. Speed gerät in einem Sumpf aus Korruption, Erpressung und manipulierten Rennen. Seine einzige Chance ist es, Royalton zu Fall zu bringen – und hierfür muss er mit Inspector Detector (Benno Fürmann) von der Rennaufsicht und dem zwielichtigen Racer X (Matthew Fox) zusammen arbeiten…

    Das, was die Wachowskis mit „Speed Racer“ auf der Leinwand veranstalten, als „gewöhnungsbedürftig“ zu beschreiben, käme der Untertreibung des Jahres gleich. Speziell die zahlreichen Rennen dürften einen Großteil der Zuschauer erst einmal gehörig vor den Kopf stoßen: Näher ist ein „Real“-Kinofilm dem typischen Look der klassischen Zeichentrickserien noch nie gekommen. Das Gesehene ist dermaßen bunt, dass selbst Farborgien wie Fear And Loathing in Las Vegas oder Hero dagegen wie kontrastlose Schwaz-Weiß-Filme wirken. Es ist schwer vorstellbar, dass irgendeine Nuance des vom menschlichen Auge wahrnehmbaren Farbspektrums nicht verwendet wurde. Banalitäten wie Physik spielen in „Speed Racer“ keine Rolle. In wahnwitzigen Manövern schlingern die Rennwagen in 360-Grad-Drehungen durch die schärfsten Kurven oder springen mit Hilfe von am Fahrzeugboden angebrachten Federn über Hindernisse und Gegner. Und als ob dies nicht schon genug wäre, geht es nicht nur darum, die Rennen zu gewinnen. Wenn der Gegner schneller ist als man selbst, so darf dieser durchaus auch von der Rennstrecke bugsiert werden. In den ersten Minuten wirkt dies alles überaus befremdlich und es drängt sich unweigerlich die Frage auf, für wen dieser Affentanz eigentlich veranstaltet wird. Dank der für die Wachowskis typischen schnellen Schnittfolgen wird das kindliche Publikum vom Bilderrausch mitunter überfordert sein. Und als Erwachsener definiert man Unterhaltung eben ein wenig anders. Doch auch wenn dies jedweder Logik widerspricht, gelingt den Wachowskis ein Kunststück, das sich nicht plausibel erklären lässt: Dieses absurde und doch beeindruckende Farbendurcheinander, das nichts anderes kennt außer Vollgas, entwickelt, nachdem die anfängliche Skepsis abgelegt ist, einen ganz eigenen Charme und beginnt tatsächlich zu unterhalten – sofern man sich eben nur darauf einlässt bzw. einlassen kann.

    Was „Speed Racer“ aber letztlich zu einer wirklichen Überraschung werden lässt, ist die inhaltliche Tiefe, die sich hinter dem Gewand dieses vordergründig lupenreinen Kinder- und Familienfilms versteckt. Natürlich werden auch die klassischen Hollywood-Themen wie die Loyalität zur Familie und das Streben nach dem amerikanischen Traum verarbeitet. Darüber hinaus bietet die 100-Millionen-Dollar-Produktion aber auch eine Geschichte über die Macht der Großkonzerne, Manipulation durch die Medien und Profitgier in einem emotionalen Sport. So gesehen kann der Film durchaus als Parabel auf die realen Geschehnisse im internationalen Rennsport im Speziellen (man denke nur an die Skandale, die unter anderem die Formel 1 innerhalb des vergangenen Jahres erschütterten) und dem Profisport im Allgemeinen verstanden werden. Spätestens aber, wenn es in der letzten Szene des Films zu einer Enthüllung kommt, die im Grunde zwar vorhersehbar, zu diesem Zeitpunkt aber doch überraschend ist, und die zuvor noch zelebrierten amerikanischen Werte offen in Frage stellt, wird klar, dass man hier keinen ganz gewöhnlichen Film gesehen hat. Wahrscheinlich ist dies auch der Grund, warum die Wachowskis mit Emile Hirsch (Into The Wild, Alpha Dog), Susan Sarandon (Igby , Im Tal von Elah), Christina Ricci (Monster, Black Snake Moan), Matthew Fox („Lost“, 8 Blickwinkel) und einigen anderen Hochkarätern eine wirklich illustere Besetzung für das Projekt gewinnen konnten. Da das Mammut-Projekt komplett vor den Green Screens in den Filmstudios Babelsberg in Berlin gedreht wurde, kommen auch einige einheimische Schauspieler zum Zug: Benno Fürmann (Anatomie), Cosma Shiva Hagen (Die Aufschneider) und Moritz Bleibtreu (Chiko, Elementarteilchen) halten unter anderem die deutsche Fahne hoch.

    Bei allen Dingen, die „Speed Racer“ zweifelsohne richtig macht, ist eines jedoch so sicher wie das Amen in der Kirche: Der nach Iron Man zweite Sommer-Blockbuster der Saison wird beim internationalen Mainstream-Publikum gnadenlos durchfallen. Für einen Erfolg an den hiesigen Kinokassen ist der gesamte Ansatz der Wachowskis viel zu aberwitzig und die Comic-Vorlage außerhalb Amerikas zu unbekannt. In den USA und wahrscheinlich auch auf dem asiatischen Markt sollte „Speed Racer“ funktionieren, anderswo wohl eher nicht. Und somit wird es aller Wahrscheinlichkeit darauf hinaus laufen, dass der künstlerisch wohl außergewöhnlichste Film der Wachowskis kommerziell leider ein unbedeutsamer bleiben wird.

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