Mein Konto
    Izo - The World Can Never Be Changed
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Izo - The World Can Never Be Changed
    Von Robert Cherkowski

    Wer erst in den letzten Jahren auf das Schaffen Takashi Miikes aufmerksam wurde, der könnte den Japaner für einen Arthouse-Regisseur mit Hang zu gewalttätigen, aber geschmackvoll aufbereiteten Genre-Stoffen wie „13 Assassins" oder „Sukiyaki Western Django" halten, der sich der wohlwollender Kritik von Seiten des Feuilletons fast sicher sein kann – dabei war der Filmemacher früher ziemlich umstritten. Lange Zeit galt er als der Regie-Bad-Boy schlechthin und war immer für einen Aufreger gut. Egal ob er den Kampf der Geschlechter in „Audition" auf die blutrünstige Spitze trieb, in „Fudoh: The New Generation" eine hysterisch-geschmacklose Action-Orgie der tabulosen Sorte vom Stapel ließ oder in „Ichi the Killer" den Brutalitätspegel in ungeahnte Höhen trieb: Miike schockte, wo er nur konnte. Sein Drogen-Inzest-Exkremente-Epos „Visitor Q" braucht man dabei gar nicht erst zu erwähnen... Dennoch stellte er immer wieder eine ungeahnte Sentimentalität und künstlerischen Wagemut unter Beweis, so dass man ihn nie als reinen Bad-Taste-Onkel aus Fernost abstempeln konnte. Miike liebt es, sein Publikum zu irritieren und nimmt bevorzugt zwischen den Stühlen Platz. Das mit Abstand sperrigste und mutigste Werk seiner an sperrigen und mutigen Filmen gewiss nicht armen Laufbahn bleibt dennoch seine ebenso psychedelische wie blutige Samurai-Mär „Izo – The World Can Never Be Changed" von 2004.

    Einst war Okada Izo (Kazuya Nakayama) als Scharfrichter und gedungener Mörder im Dienste des Shogunats aktiv. Als sich der Wind jedoch dreht, landet er selbst auf der Abschussliste und findet sich an einem Holzkreuz wieder, wo man ihn mit Lanzen qualvoll und grausam zu Tode martert. Damit findet sein elendes Dasein jedoch noch lange kein Ende. Von einem brutalen Leben geprägt, findet Izos verbitterte und von nichts als Hass erfüllte Seele keinen Frieden und wandelt fortan wie eine unbesiegbare Heimsuchung durch Zeit und Raum. Begleitet und gequält von den Seelen, die durch seine Hand zu Tode kamen, schlachtet sich Izo in blinder Rage vor und zurück durch die Jahrhunderte: Gott persönlich soll sich ihm stellen...

    Was sich als Story reichlich absurd liest, gerät in den unheiligen Händen Miikes zu einem solch wüsten Tohuwabohu, dass man sich als Betrachter ständig verwundert die Augen reibt. Izo, das wird bald klar, ist weder ein Zombie, noch ein Geist oder ein Zeitreisender, sondern alles das zugleich und noch vieles mehr. Izo ist der Hass, der sich nicht legen will, und die Urgewalt, die sich keiner Institution beugt. Kazuya Nakayama („Detective Story") spielt ihn mit theatralischem Gusto und ohne Scheu vor großen Gesten. Je länger er wütet, desto mehr mutiert seine Performance zu einem reinen Grunzen und Schreien. Bald ist klar: Izo ist so etwas wie eine Naturgewalt, die die bestehenden weltlichen und spirituellen Instanzen zersetzt - egal ob sich ihm nun Militärs, Wirtschaftsbosse, Yakuza oder Politiker (Auftritt: Takeshi Kitano) entgegenstellen. Nach kurzen bedeutsamen Wortwechseln werden sie mit wütenden Schwerthieben getötet, dass das Blut nur so spritzt. Dieses Muster wird ständig wiederholt, eine ausgeklügelte Story hat „Izo" nicht zu bieten. Dafür herrscht hier ein inszenatorischer Irrwitz, der staunen lässt.

    „Izo" ist quietschbuntes, exzessives Experimentalkino, das man sehen muss, um es zu glauben. Hier fallen ohne jede Rücksicht auf Sehgewohnheiten wirklich die letzten Hemmungen. Miike präsentiert sich in Topform und fährt eine solche Vielzahl an unerhörten Ideen, irren Bildern und inszenatorischer Spielereien auf, dass einem regelrecht schwindelig wird. Wenn Izo nach dem Mord an ein paar buddhistischen Mönchen über eine Leiter zum Erdmittelpunkt (!) klettert, dort zu den (wahrlich anstrengenden) Klängen des japanischen Acid-Folk-Barden Kazuki Tomokawa mit der Erdmutter schläft (!!) und sich anschließend in einen ruppigen Messerkampf gegen zwei Vertreter mit Vampir-Zähnen (!!!) stürzt, dann erreicht der Film den Irrsinnspegel einer Nummernrevue im Monty-Python-Stil. Der harte, gewollt abrupte Schnitt verleiht dem Werk dabei einen leicht verqueren Rhythmus, der immer wieder für Verwirrung sorgt. Von einer Einstellung zur anderen kann Izo von einem Wald im 19. Jahrhundert in eine belebte japanische Großstadt von heute springen: Alles ist möglich. Und das ist durchaus wörtlich zu nehmen, denn mit seiner Anhäufung unterschiedlichster philosophischer Motive wirkt „Izo" oft genug, als wollte Miike sich mit Alejandro Jodorowskys Kultfilmen „El Topo" und „Montana Sacra - Der heilige Berg" messen. Wie in den mexikanischen Underground-Klassikern wird hier ohne Rücksicht auf Verluste dem Exzess gehuldigt. Nach 124 vollkommen irrwitzigen Minuten kann man im höchsten Maße beglückt oder erbost sein. Erschöpft ist man auf jeden Fall.

    Fazit: Letztendlich bleibt es jedem Zuschauer selbst überlassen, ob er „Izo" als ernsthaften Diskurs über Gewalt als Motor allen Fortschritts oder als irre, blutige Sketchparade versteht. Miikes Samurai-Drama steckt jedenfalls voller brillanter und verstörender Einfälle und ist ein ebenso exzessives wie unvergessliches Filmerlebnis. So oder so.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top