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    The Abandoned - Die Verlassenen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    The Abandoned - Die Verlassenen
    Von Christoph Petersen

    Im vergangenen Jahr veranstaltete der Filmverleih Lionsgate in den USA sein erstes alljährliches AfterDark Horrorfest. Von den acht Filmen, die im Rahmen dieses Festivals in etwa 500 amerikanischen Kinos liefen, werden nun vier auf dem diesjährigen FantasyFilmFest auch in deutschen Lichtspielhäusern gezeigt. Neben Unrest, The Gravedancers und The Hamiltons wird der Grusel-Thriller „The Abandoned“ des Debütregisseurs Nacho Cerdà, der sich bisher nur durch seine Kurzfilme und einem Making-Of zu The Machanist hervorgetan hat, zu sehen sein. Und wirklich scheint Cerdà sich so einiges von „The Machanist“-Regisseur Brad Anderson abgeguckt zu haben. Für ein Budget von gerade einmal geschätzten drei Millionen Euro hat die visuelle Ausgestaltung von „The Abandoned“ mehr als nur Hand und Fuß. Doch auf der storytechnischen Seite verhob sich Cerdà dann doch ein klein wenig. Mit seinem Horror-Thriller wandelt er auf den verqueren Spuren eines David Lynch, eine für einen Filmemacher-Neuling kaum zu stemmende Last. Und so scheint der Mix aus Spukgeschichte und Lost Highway auch nicht immer hundertprozentig stimmig.

    Vor über 40 Jahren wurde Marie Jones (Anastasia Hille, The Hole) als kleines Baby in ihrer Heimat Russland von einer britischen Familie adoptiert. Mittlerweile lebt sie in den USA, hat selbst eine Tochter im Teenager-Alter. Als Marie von einem russischen Anwalt mitgeteilt bekommt, dass sie das Haus ihrer verstorbenen leiblichen Mutter geerbt hat, kehrt sie an den Ort ihrer Geburt zurück. Das heruntergekommene Anwesen liegt abgelegen mitten im Sumpf, nur mit Hilfe des schroffen einheimischen Führers Anatoliy (Carlos Reig-Plaza) findet sie überhaupt den Weg dorthin. Doch dann ist Anatoliy plötzlich verschwunden. Marie durchstöbert allein das alte Gemäuer und wird dabei sogleich von ersten übersinnlichen Erscheinungen heimgesucht. Als Retter in der Not erweist sich Nicolai (Karel Roden, Mr. Bean macht Ferien, Running Scared), der wie aus dem Nichts erscheint. Der Fremde will Marie klarmachen, dass er in Wahrheit ihr Zwillingsbruder ist, er sich genau wie sie auf der Suche nach der eigenen Vergangenheit befindet. Doch kann sie dem zwielichtigen Familienzuwachs wirklich trauen? Noch bevor sich Marie über diese Frage ernsthafte Gedanken machen kann, tauchen plötzlich zwei zombieartige Gestalten auf, die Marie und Nicolai verblüffend ähnlich sehen...

    Die größten Stärken hat „The Abandoned“ ganz eindeutig auf Seiten der Produktionswerte. Mit drei Millionen Euro ist die Produktion zwar – gerade da der Film auch den einen oder anderen aufwendigeren Effekt vorzuweisen hat - eher am unteren Ende der üblichen Budget-Leiste angesiedelt, doch Cerdà holt hier das absolut Möglichste aus seinen knappen Talern heraus, vor allem die „Zeitreise“ der Hauseinrichtung im letzten Drittel des Films hat einiges an gelungenen Schauwerten zu bieten. Die unterkühlten Hochglanzbilder aus der russischen Einöde gepaart mit den wirklich schaurigen Klängen des wohldosierten Scores von Alfons Conde hätten so sicherlich ohne Weiteres einen richtig spannenden Thriller ergeben können. Doch Cerdà gibt sich keinesfalls damit zufrieden, hier eine unterhaltsame Low-Budget-Variante von Das Geisterschloss abzuliefern, vielmehr versucht er, Regie-Enfant-Terrible David Lynch (Mulholland Drive, Inland Empire) und seinen irrwitzigen Jongliereinlagen mit parallelen Realitäten und Zeitebenen nachzueifern. Doch diese ambitionierte Annäherung ist nicht nur deshalb schwierig, weil sie die Erwartungshaltung des Horrorpublikums enttäuschen könnte, sondern auch, weil man schon ein Genie sein muss, um eine wirre Dramaturgie à la Lynch überzeugend durchzuziehen. Und auch wenn man Cerdà nach „The Abandoned“ ein gewisses Talent keinesfalls absprechen kann, ein Genie ist er nicht.

    In der ersten Stunde ergibt sich so vor allem das Problem, dass man als Zuschauer nicht weiß, was man nun eigentlich mit „The Abandoned“ anfangen soll. Die meisten Szenen deuten auf ein einfaches Gruselmärchen hin, nur hin und wieder drängt sich ein wirklich surreal-verstörender Moment dazwischen. Zunächst schiebt man diese auf Maries einsetzenden Wahnsinn, doch irgendwann nerven sie trotzdem, weil sie total beliebig und willkürlich erscheinen. Man guckt „The Abandoned“ einfach als herkömmlichen Horror-Thriller, und als solcher funktioniert der Film halt nur bedingt. Erst nach einer guten Stunde offenbart Cerdà dann endgültig, dass sich sein Werk eigentlich als eine Art Kunstfilm, der mit Genreversatzstücken ebenso wild wie mit psychologischen Erklärungsversuchen um sich schmeißt, verstanden wissen will. Und mit den Zeitschleifen und -sprüngen, mit den parallelen Universen und den Leichen zerfleischenden Wildschweinen kommt dann auch wieder ein Großteil der Spannung zurück – nur leider etwas zu spät.

    Fazit: „The Abandoned“ präsentiert sich als überzeugend inszenierter, ordentlich gespielter Grusel-Thriller der anspruchsvolleren Sorte. Allerdings führt die nicht immer stimmige Mischung aus Haunted-House-Horror und lyncheskem Kunstfilm auch zu dem einen oder anderen Spannungstief.

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